Feature: Jordanische Clean-up-Initiative

Mülltauchen im Roten Meer

Auch das rote Meer ist voller Plastik. Zwei jordanische Taucher:innen  kämpfen für mehr Umweltbewusstsein in der Region: Indem sie unter Wasser aufräumen.

Als die Taucher:innen den Müll aus dem Roten Meer sortieren, halten sie plötzlich inne. Eine Getränkedose bewegt sich, ein junger Oktopus wölbt sich aus dem Inneren. Sein weicher Körper ist umgeben von scharfen Kanten aus Aluminium. Behutsam bringen die Taucher den Oktopus zurück ins Wasser.

Etwa zwei Jahre ist das her. Seif Al Madanat und Beisan Al Sharif lässt dieser Moment bis heute nicht los. Normalerweise finden Oktopusse in Muschelschalen oder leeren Schneckenhäusern Unterschlupf. Dieser wohnte in einer Dose. Für die beiden Mittdreißiger ein Schlüsselerlebnis: „Der Oktopus hat uns wieder vor Augen geführt, wie wichtig es ist, die Meere sauber zu halten.“

Zu zweit fingen sie an, bei jedem Tauchgang vor der jordanischen Küstenstadt Akaba Müll zu sammeln. Mit der Zeit wurde daraus eine kleine Bewegung. Mehr als 150 Menschen aus vierzig Ländern haben inzwischen bei den Clean-up-Aktionen mitgemacht und über sieben Tonnen Abfall aus dem Roten Meer geholt. Der Frauenanteil liegt bei mehr als fünfzig Prozent, für ein Land im Nahen Osten außergewöhnlich hoch. Als Al Sharif vor etwa zehn Jahren mit dem Tauchen begann, war sie häufig die einzige Frau im Tauchzentrum. „Clean-up-Initiativen gibt es weltweit viele. Was ,Project Sea‘ so besonders macht, ist unsere Vielfalt – und unser Zusammenhalt.“

Seif Al Madanat reicht gesammelten Müll aus den Tiefen des Meeres, Foto: John Goodwin

Jordanien ist eines der wasserärmsten Länder der Welt. Wer das Rote Meer besuchen will, muss bis in den Süden an den Golf von Akaba fahren. Dort schmiegt sich die einzige Küstenstadt an das Rote Meer wie eine Oase – der Rest des Landes besteht vor allem aus Wüste. Das macht Jordanien besonders anfällig für den Klimawandel. Forscher:innen schätzen, dass der Niederschlag bis Ende des Jahrhunderts um bis zu dreißig Prozent abnehmen wird.

Seit Jahren steckt Jordanien in einer wirtschaftlichen Krise. Natürliche Rohstoffe gibt es kaum, die Industrie ist nur schwach ausgebaut. Ein Viertel der Bevölkerung sucht Arbeit. Der Tourismus ist eine der wenigen tragenden Säulen des Königreichs – und die Unterwasserwelt vor Akaba eine der wichtigsten Attraktionen. Rund zwei Millionen Reisende haben Akaba 2022 besucht. Bevölkerung und Infrastruktur der Küstenregion sind rasant gewachsen. Und mit ihnen der Plastikmüll, der im Roten Meer landet. Pro Minute gelangen etwa zwei Lastwagenladungen in die Gewässer der Welt. Das zeigt eine aktuelle WWF-Studie. Jährlich kommen so bis zu 23 Millionen Tonnen zusammen. Über Flüsse, Abwasser oder den Landweg gelangt falsch entsorgter Abfall in die Meere. Ein Recyclingsystem oder Mülltrennung gibt es nicht. Alles landet auf der Deponie oder im Meer. Bislang beschränke sich die Wiederverwertung von Müll vor allem auf die Initiativen einzelner Aktivist:innen, schreiben die Autor:innen des Plastikatlas 2019. Es fehlen staatliche Pläne und Programme.

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Zwar hat das jordanische Umweltministerium 2017 angekündigt, Gebühren auf Plastiktüten zu erheben. In der Praxis jedoch müssen weder Supermärkte noch Verbraucher:innen mit Strafen rechnen. Bis heute werden Einkäufe an der Kasse kostenlos in hauchdünne Plastiktüten verpackt. „Das Umweltbewusstsein fehlt“, sagt Al Sharif. Ihr Ziel: Umdenken in der Bevölkerung anzustoßen. Weg von der Wegwerfmentalität, hin zu bewusstem Konsum.

„Ein Oktopus in einer Dose hat uns vor Augen geführt, wie wichtig es ist, die Meere sauber zu halten“

— Seif Al Madanat und Beisan Al Sharif, Project Sea

Müllsammeln im geheimnisvollen Korallenriff

An einem warmen Morgen in Akaba brechen die Müllsammler:innen zu ihrem nächsten Einsatz auf. Um zehn Uhr verlässt ihre Yacht den Hafen. Ihr Einsatzgebiet liegt heute im Unterwasser-Militärmuseum, einem Besuchsmagneten Akabas. Vor einigen Jahren haben die Behörden hier etwa zwanzig Relikte vor der Küste versenkt, darunter einen Panzer, einen Krankenwagen und einen Militärkran. Die neuen Attraktionen sollten noch mehr Tourist:innen anziehen – und so die natürlichen Riffe im Golf von Akaba entlasten. Taucher:innen und Schnorchler:innen aus aller Welt erkunden seitdem die Kriegsfahrzeuge unter Wasser. Und Müllsammlerin Al Sharif hat alle Hände voll zu tun. „Etwa achtzig Prozent des Mülls, den wir aufsammeln, wird von den Stränden nahe des Museums angespült.“

Seit einiger Zeit stehen sie und Al Madanat im Austausch mit lokalen Behörden. Sie wollen dafür sorgen, dass mehr Recycling-Mülleimer entlang der Küste aufgestellt werden. Denn immer wieder beobachten die Müllsammler:innen, wie schnell das Meer nach ihren Aktionen erneut verschmutzt. Al Sharif: „Wenn wir die Müllflut dauerhaft stoppen wollen, müssen wir an Land ansetzen.“

Am Hauptdeck bereitet die Crew die Tauchausrüstung vor. Sauerstoffflaschen zischen, der Motor dröhnt. Ein Stockwerk darüber sitzen Al Madanat und Al Sharif und schwören die 22 Freiwilligen ein. Dreißig Minuten bleiben ihnen unter Wasser, zum Müllsammeln sind sie mit Stoffbeuteln ausgerüstet. Handschuhe schützen vor scharfen Gegenständen. Wichtigste Regel: Was lebt, bleibt unberührt im Wasser. Die Stimmung an Bord ist voller Energie. Auch drei Kinder streifen sich nach dem Briefing Neoprenanzüge über. Der zwölfjährige Mohammed ist gemeinsam mit seinen Eltern angereist. Darum geht es, sagt Al Sharif: eine Gemeinschaft für alle schaffen, die das Meer lieben und schützen wollen. Unabhängig von Alter und Herkunft.

Neben „Project Sea“ leitet die 34-Jährige in Amman ein Gemeindecamp für Geflüchtete aus Palästina. Im Jabal El- Hussein Camp stellen Frauen nun Tragetaschen aus recyceltem Plastik her, bestickt mit dem „Project Sea“-Logo. Die Initiative verkauft die Taschen bei Clean-up-Aktionen oder über Social Media; die Erlöse gehen an die Herstellerinnen. Eine wichtige Einnahmequelle: Fast ein Drittel der Menschen im Camp leben unterhalb der Armutsgrenze.

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Al Sharif leitet auch die Logistikfirma ihrer Familie, Al Madanat ist Pharmazeutiker. Etwa vier Stunden brauchen sie von Amman mit dem Auto ans Meer. Gerade mal 27 Kilometer misst der Küstenstreifen Jordaniens. Dennoch leben hier mehr als 150 Korallenarten und 500 Fischarten. Einige von ihnen findet man nirgendwo sonst auf der Welt.

Ins Rampenlicht der Forschung gerückt sind die Riffe allerdings wegen einer anderen Besonderheit: Die Korallen im Golf von Akaba sind besonders hitzebeständig. Trotz Klimawandel könnten sie ein weiteres Jahrhundert überleben. Ein internationales Forscher:innenteam ist jetzt auf Mission im Roten Meer, um das Geheimnis der resilienten Korallen zu entschlüsseln.

Gegen Mittag ankert die Yacht. Letzte Sicherheitschecks laufen, Stoffbeutel und Handschuhe werden herumgereicht. Mit einem Scherenschritt geht es ins Meer. Im klaren Wasser schwirren Clownfische, Sardinen und Rotfeuerfische. Joghurtbecher, Getränkedosen und Plastiklöffel, sogar Wasserkanister und Türklinken treiben zwischen Korallen und Seegras. Der Plastikmüll kann das Gewebe der Korallen verletzen, Infektionen verursachen. Manchmal trägt er Bakterien mit sich, die Korallen krank machen. Nach einer halben Stunde sind die Stoffbeutel der Taucher:innen voll.

Die Jugend aufklären für mehr Umweltbewusstsein

Wie verschmutzt die Unterwasserwelt im Golf von Akaba inzwischen ist, sieht Abdullah Al-Momany jeden Tag. Seine Tauchschule ist eine der ältesten der Stadt, vor 25 Jahren übernahm er sie von seinem Vater. Nebenher hat er in der „Marine Science Station“ in Akaba gearbeitet. Bei seinen Tauchgängen holt auch Al-Momany Müll aus dem Wasser oder durchtrennt Fischfangleinen, die sich wie tödliche Stricke um die Korallen legen. Mehr als eine Notfallmaßnahme sei das jedoch nicht. „Wenig später landet schon die nächste Ladung im Wasser.“

„Wir haben die Chance, eines der letzten gesunden Korallenriffe der Welt zu schützen“
— Ali Al-Sawalmih, Leiter der Marine Science Station in Akaba

2020 wurde die Küste südlich von Akaba daher zur geschützten Meereszone erklärt. Wie der Mensch in die Unterwasserwelt eingreift, soll künftig strikter kontrolliert werden. In der Praxis aber, sagt Al-Momany, würden die Regeln oft nur lasch umgesetzt. Es fehlen Geld und Personal. Aber es gebe auch kulturelle Barrieren. „Wir müssen erst ein Problembewusstsein schaffen und weiterbilden.“ Auch Ali Al-Sawalmih, Leiter der „Marine Science Station“, sieht Aufklärung als Schlüssel im Kampf gegen die Müllflut: „Wir haben hier die Chance, eines der letzten gesunden Korallenriffe der Welt zu schützen“, sagt er. „Wenn den Menschen das klar wird, werden sie achtsamer mit der Unterwasserwelt umgehen.“

Al Sharif und Al Madanat wollen die Jugend deshalb so früh wie möglich mit an Bord holen. Die Bevölkerung Jordaniens ist eine der jüngsten weltweit. Über sechzig Prozent sind nach Unicef-Angaben unter dreißig. Regelmäßig besuchen die „Project Sea“-Gründer:innen Schulen, informieren über Meeresverschmutzung, das weltweite Korallensterben. Und darüber, was jede:r tun kann. Bald wollen die Gründer:innen ein Kinderbuch veröffentlichen.

Zurück an Land schütten die Müllsammler:innen die Stoffbeutel aus. Vor ihren Füßen landet ein Meer aus Joghurtbechern, Plastikflaschen, Kanistern. 10.000 Stück. Eine Weile stehen sie schweigend vor ihrer Auslese. Dann fischt Al Madanat ein Plastikherz heraus, von dem ein Stück abgebrochen ist. Es ist wie ein Symbol für die Stimmung der Taucher:innen: Ein Knacks bleibt, aber beim Müllsammeln hatten sie Erfolg. Immerhin, ein Anfang.

Foto: John Goodwin

Die Taucher:innen von Project Sea haben bislang insgesamt sieben Tonnen Abfall geborgen.

Annika Brohm

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