Vacoa und Vanille

La Réunions Rückkehr zur Natur

Früher war es auf der französischen Übersee-Insel La Réunion schick, alles aus Frankreich zu importieren. Jetzt entdecken die Bewohner:innen ihre eigenen Ressourcen wieder – und wehren sich gegen Umweltzerstörung.

Halb verborgen von uralten Riesenfarnen steht die kleine Maison Folio. Durch die Flügeltür mit weißen Blumen-Ornamenten und tannengrünen Fensterläden schreitet eine Dame in bunter Tunika hinaus in den Garten. Flankiert von zwei Katzen bleibt sie zwischen dem Pavillon und dem Springbrunnen stehen. Es duftet nach Zimtbäumen.

Der Garten von Solange Folio, die alle nur Madame Folio nennen, ist eine botanische Schatztruhe: Er birgt die ganze Vielfalt der Natur von La Réunion. Die Insel, auf der es Korallenriffe und weiße Strände, Regenwald, eine Wüste und einen der aktivsten Vulkane der Welt gibt, ist gerade mal so groß wie das Saarland. Und obwohl sie vor der Küste Afrikas liegt, ist sie doch ein Département von Frankreich und damit Teil der EU. Im Talkessel Salazie im Herzen der Insel stürzen Wasserfälle von 2.000 Meter hohen Bergen hinab. Hier, im Dorf Hell-Bourg, hat Madame Folio ihr kreolisches Haus für Besucher:innen geöffnet. Im Garten führt die 94-Jährige auf eine Reise durch die Eigenschaften der Früchte und Kräuter ihrer Insel. Sie züchtet hier Orchideen, baut Kurkuma und die „Vier-Gewürze-Pflanze“ an, die gleichzeitig nach Muskat, Pfeffer, Zimt und Nelken duftet, und natürlich die Chayote, die auf La Réunion Chouchou genannte Lieblingsfrucht der Réunionnais. Der grün-gelbe Kürbis schmeckt wie eine zitronige Zucchini und dient als Zutat für Currys und ein vegetarisches Gratin. Vom Garten kann man in das offene Fenster des Schlafzimmers hineinblicken, in dem eine Reihe von Strohhüten hängt. „Auf Réunion machen wir traditionell aus den Stängeln von Chouchou oder den Blättern des Vacoa-Baumes ein Garn und flechten es zu Hüten, zu Flip-Flops und zu Taschen“, erklärt sie. Dann nimmt sie einen anderen Hut zur Hand. „Dieser hier ist aus Longose.“

Longose, so heißt die gelb, weiß oder rosa blühende Pflanze auf Französisch, die wir als Schmetterlingsingwer kennen. Auf Réunion nennt man sie  „das schöne Unkraut“. Sie ist ein invasives Gewächs, das aus Asien eingeschleppt wurde und nun die endemischen Pflanzen der Insel verdrängt. Der Umweltverein Srepen veranstaltet seit einem Jahr Aktionswochen, in denen Dorfgemeinschaften den wuchernden Wild-Ingwer ausreißen. „Wir erleben gerade eine Rückbesinnung auf Réunion“, erzählt Madame Folio. „Früher hat sich niemand für Umweltschutz interessiert, die Leute wollten alles aus Frankreich importieren. Jetzt sehen sie, was die Insel uns alles gibt.“ An jeder großen Straßenkreuzung steht auf Plakaten „Kauft lokal, auch wenn das Produkt aus Frankreich genauso viel kostet!“

Süßgras festigt den Boden

Nico Cyprien, eindringliche, blaue Augen und auf dem Kopf eine Baseballcap gegen den warmen, tropischen Regen, der auf ihn hinabfällt, spaziert neben Madame Folio her und deutet auf ein Gras-Gewächs in einem ihrer Beete. „Das ist mein Parfum“, sagt er lächelnd, „Vetiver.“ Das Öl mit dem rauchig-erdigen Aroma, das man aus dem Süßgras gewinnt, ist eine der Zutaten des berühmtesten Duftes der Welt: Chanel Nr. 5. „Früher waren wir ein Hauptlieferant von Vetiver, dann wurde das Produkt an anderen Orten massenproduziert, die Preise fielen und es lohnte sich für die Leute hier nicht mehr, es anzubauen. Heute gibt es wieder zwei kleine Betriebe, die das Öl herstellen und vertreiben. Wir benutzen es hier auch als Mittel gegen Akne und andere Hautkrankheiten“, erzählt Cyprien.

Er arbeitet als Englischlehrer und als Guide auf La Réunion, in seiner Freizeit engagiert er sich in mehreren Umw…

Bild: Morgane Llanque

Die kleine französische Übersee-Insel La Réunion im Indischen Ozean bietet eine vielfältige und reichhaltige Natur. 

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