Schwerpunkt: Freiheit der Wissenschaft

Rettet die Wissenschaft

Vertrauen bröckelt, Budgets schrumpfen, Ideologien drängen sich vor Erkenntnisse. Wie konnte es so weit kommen? Und wie retten wir die Forschung?

Er sieht aus, als würde er gleich explodieren. Unter seinen Brillenrändern sammelt sich Schweiß, die Stimme zittert. Scheinwerfer sind von allen Seiten auf ihn gerichtet, Millionen Menschen schauen zu. Und doch hört ihn niemand. „Ein Komet rast auf die Erde zu“, sagt der Astronom Dr. Randall Mindy, gespielt von Leonardo DiCaprio, im Film Don’t Look Up. „Wir haben ihn mit eigenen Augen gesehen. Er wird alles Leben auslöschen.“ Stille im TV-Studio. Dann ein schrilles Lachen der Moderatorin: „Bitte, lasst es uns leicht und lustig halten.“ Mindys Botschaft geht im Show-Tumult unter. Irgendwann brüllt er das Publikum an: „Was zum Teufel ist mit uns passiert? Wie reden wir miteinander? Ich versichere Ihnen, dass ich weder auf der einen noch auf der anderen Seite stehe, ich sage Ihnen nur die fucking Wahrheit.“

Der Blockbuster von 2021 ist zwar als Sci-Fi-Komödie kategorisiert – trifft jedoch einen wunden Punkt: Wissenschaftliche Expertise wird immer häufiger ignoriert, runtergespielt, missbraucht oder politisiert. Sie dringt immer seltener durch. Nicht, weil die Fakten fehlen, sondern weil sie nicht ins Programm passen. Und Menschen ihr nicht mehr glauben.  Das macht sich auf der ganzen Welt bemerkbar: Präsident Recep Tayyib Erdoğan kann in der Türkei seit 2016 Professuren per Dekret besetzen. In Russland findet ein massiver Braindrain statt, mehr als 2.500 Wissenschaftler:innen sind seit Kriegsbeginn abgewandert, im Iran werden Studierende willkürlich verhaftet. Seit 2021 müssen in China alle Hochschulen und Forschungsinstitute Schulungen zur „Xi-Jinping-Ideologie“ verpflichtend durchführen, Veles, eine Stadt in Mazedonien, ist sogar bekannt als Hauptstadt der Fake News: Etliche Leute verdienen dort ihr Geld damit, Unwahrheiten im Netz zu streuen.

Wissenschaftliches Highlight: Aufnahme eines frisch befruchteten menschlichen Eis mit kolorierter Raster-Elektrografie – wichtiges Bildmaterial für die Reproduktionsmedizin, Foto: David Spears, Imago/Ardea

Wissenschaftsfeindlichkeit scheint sich auszubreiten wie ein Virus – auch auf demokratische Länder wie die USA. Bislang Forschungsnation Nummer eins der Welt, top finanziert, führend bei den meistzitierten wissenschaftlichen Arbeiten, Vorreiter in Bereichen von KI bis Quantencomputing. Das wissenschaftliche Rückgrat der Welt. Doch seit Donald Trumps zweiter Amtszeit ändert sich das radikal: Er kürzt Budgets und entlässt Forschende. Begriffe wie „women“, „disability“ oder „trauma“ sind seit Anfang 2025 in der US-Bundesförderung als verboten markiert, Projekte zur Geschlechterforschung oder zum Klimawandel werden nicht mehr gefördert. Besonders betroffen sind die Gesundheitsbehörde (NIH) und die National Science Foundation (NSF), deren Budgets man um bis zu 55 Prozent reduzierte – insgesamt wurden bereits Mittel in zweistelliger Milliardenhöhe gestrichen. Beim National Cancer Institute will das Weiße Haus 2,7 Milliarden Dollar einsparen – das wird Leben kosten.

Auch die renommierte Columbia University musste im Frühjahr 2025 rund 180 Mitarbeitende aus drittmittelfinanzierten Projekten entlassen. Wegen Visaproblemen mussten rund tausend internationale Studierende ihre Forschung in den USA abbrechen. Laut einer Studie im Wissenschaftsmagazin Nature erwägen etwa 80 Prozent der Postgraduierten und 75 Prozent der Promovierenden einen Wegzug nach Kanada, Europa oder Australien.

Was zum Teufel ist mit uns passiert? Ich versichere Ihnen, dass ich weder auf der einen noch auf der anderen Seite stehe, ich sage Ihnen nur die fucking Wahrheit
Astronom Randall Mindy, gespielt von Leonardo DiCaprio, im Blockbuster Don’t Look Up

Das hat globale Konsequenzen. Denn viele internationale Forschungsprojekte sind auf US-amerikanische Partner, Budgets, Labore und Datenbanken angewiesen. Fehlen dort die Mittel, geraten ganze Kooperationsnetzwerke ins Wanken. Die USA betreiben zum Beispiel einige der leistungsfähigsten Satellitensysteme zur Erdbeobachtung. Werden diese Programme – wie bei der US-Klimabehörde NOAA geplant – gekürzt oder Daten gänzlich gelöscht, fehlen auch europäischen Klimainstituten verlässliche Informationen zur Erderwärmung. Organisationen wie das Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften (TIB) in Hannover versuchen deshalb, US-Datensätze zur Klimaforschung zu sichern.

Auch hierzulande bröckelt das Vertrauen in die Wissenschaft: Deutschland liegt nun leicht unter dem globalen Durchschnitt, das bestätigte eine Befragung mehrerer unabhängiger Forschungsteams von 2023. In puncto Wissenschaftsfreiheit lag Deutschland noch 2022 laut dem Academic Freedom Index, der von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und der Universität Göteborg herausgegeben wird, weltweit auf dem ersten Platz. 2024 ist es immer noch in der Spitzengruppe, aber auf Platz 11 abgerutscht. Fast die Hälfte aller Forschenden in Deutschland fühlen sich in Forschung und Lehre eingeschränkt. Immer mehr von ihnen erleben Anfeindungen. Nach einer Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (Projekt KAPAZ) sehen 70 Prozent eine Zunahme der Wissenschaftsfeindlichkeit in den letzten Jahren – von Diskriminierung und Hassreden über Drohungen und Vandalismus bis zu physischen Angriffen.

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