Braunkohlegegner*innen haben am Sonntag einen Kohlebagger im rheinischen Tagebau Garzweiler besetzt. An der Kundgebung beteiligten sich nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 1000 und 3000 Menschen. Sie stellten sich, unter Einhaltung der Abstandsregeln, in einem Ring um das Dorf Lützerath, das zur Braunkohlegewinnung weggebaggert werden soll. Am Nachmittag beendete die Polizei die Aktion.
Anti-Kohle-Proteste: Fünf Dörfer sollen für den Tagebau abgerissen werden
„Inmitten der Klimakrise alte Dörfer samt historischer Kirchen, Schulgebäuden und fruchtbaren Äckern für einen riesigen Tagebau zu opfern ist ein unverzeihlicher Fehler“, kritisierte der Greenpeace-Klimaexperte Bastian Neuwirth. „Wenn Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) als potenzieller Kanzlerkandidat Verantwortung für ganz Deutschland übernehmen will, dann muss er jetzt in seiner Heimat mit Klimaschutz anfangen.“
RWE will fünf Dörfer für den Tagebau abreißen. Das sei Teil des von Bund und Ländern erzielten Kohlekompromisses, argumentiert der Konzern. Der Kohleausstieg sei gesetzlich beschlossen, und RWE leiste dazu einen großen Beitrag. Die Kohle unter den Dörfern werde bereits von 2024 an benötigt.
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Auch die Klimaaktivistin Luisa Neubauer beteiligte sich vor Ort an einer Kundgebung und verteidigte die Besetzung des Baggers. Die Ungerechtigkeit sei hier so groß, dass man sich dagegen wehren müsse, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Neubauer bezeichnete den Anfang 2019 erzielten Kohlekompromiss als überholt. „Seit der Kohlekommission haben sich die Verhältnisse radikal verändert“, sagte die 24-jährige Fridays-for-Future-Aktivistin. „Ein Kohlekompromiss, wie er damals geschlossen worden ist, wäre heute schon undenkbar. Wir verstehen heute, wie schnell wir aus der Kohle aussteigen müssen, um das Pariser Klimaabkommen einhalten zu können. Und wir wissen auch, dass wir das können.“ Die Braunkohleförderung in Garzweiler sei ja „kein rentables Geschäft, sondern ein staatlich subventioniertes Verlustgeschäft“. Dies geschehe zum einen auf Kosten der Anwohner*innen, die ihre Dörfer verlassen müssten, und zum auf anderen auf Kosten von Menschen weltweit, die unter der Klimakrise zu leiden hätten.
„Ministerpräsident Laschet und Co repräsentieren uns nicht!“, sagte Britta Kox aus dem bedrohten Dorf Berverath dem lokalen Bündnis „Alle Dörfer bleiben.“ „Sie treiben die Zwangsumsiedlungen von hunderten von Menschen voran. Als Mutter von vier Kindern kann ich das nicht zulassen. Ich werde um jeden Meter vor unseren Dörfern kämpfen. Der heutige Tag zeigt, dass die Klimabewegung sich mit uns den Baggern entgegenstellt.“
Handgreiflichkeiten zwischen Extinction Rebellion und RWE
Bei der Besetzung des Baggers am frühen Morgen kam es zu Handgreiflichkeiten. Die Umweltschutzbewegung Extinction Rebellion beschuldigte Sicherheitsleute von RWE, sie hätten Beteiligte gewürgt, geschubst und eine Journalistin zu Boden geworfen. Außerdem hätten sie ihr den Presseausweis abgenommen und ihre Kamera zerstört.
Ein RWE-Sprecher wies diese Darstellung zurück. Vielmehr seien zwei RWE-Mitarbeiter gewaltsam überrannt worden. Sie hätten Anzeige erstattet. Da trotz mehrfacher Aufforderung gegen das Film- und Fotografierverbot verstoßen worden sei, sei eine Kamera sichergestellt und der Polizei übergeben worden. Extinction-Rebellion-Sprecher Lukas Schnermann bestritt das: „Von uns ist ganz sicher keine Gewalt ausgegangen“, sagte er. Die Besetzer*innen seien auch als erste auf dem Bagger gewesen, danach erst seien die Sicherheitsleute gekommen.
Die Polizei teilte am Abend mit, sieben Menschen seien auf den Kohlebagger gestiegen und hätten diesen besetzt. Eine Aktivistin habe die Plattform des Baggers schließlich freiwillig verlassen; die anderen seien bis zum Nachmittag vom Bagger „entfernt“ worden. Insgesamt zwölf Aktivist*innen seien zur Identitätsfeststellung in polizeiliches Gewahrsam genommen worden.
Laut einer Pressemitteilung von Extinction Rebellion befinden sich derzeit noch 10 Aktivist*innen der Organisation, die auch an der Besetzung des Baggers beteiligt waren, in Polizeigewahrsam, wo sie bis Freitag, 4. September, festgehalten werden sollen. Aus Protest gegen die ungewöhnlich lange Dauer des Polizeigewahrsams sind die Aktivist*innen laut Extinction Rebellion nun in den Hungerstreik getreten.
Hunderte Menschen protestieren auch in Turów
Hunderte Menschen aus Deutschland, Tschechien und Polen haben am Sonntag außerdem am Dreiländereck gegen den geplanten Ausbau des Braunkohletagebaus im polnischen Turów protestiert. Die Demonstrant*innen fürchten, dass die Ausweitung des Tagebaus nahe der deutschen und tschechischen Grenze Trinkwasserreservoirs gefährden und zu erhöhter Lärm- und Feinstaubbelastung führen könne, wie die tschechische Nachrichtenagentur CTK berichtete. Auf polnischer Seite gab es demnach eine Gegendemonstration mit ebenfalls mehreren Hundert Teilnehmer*innen, die den Braunkohletagebau unterstützen.
Der polnische Energiekonzern PGE betont, dass der Tagebau Turów den Umweltstandards entspricht und Tausende Arbeitsplätze in der Region schafft. Zudem gebe es jenseits der Grenze in Tschechien und Deutschland größere Grubengelände, argumentiert PGE.
Dem Unternehmen wurde jüngst die Genehmigung für eine Fortsetzung seiner Aktivitäten bis 2026 gewährt. PGE würde die Laufzeit gerne bis 2044 verlängern, bis das gesamte Braunkohlevorkommen abgebaut ist. Gegner*innen des Tagebaus wünschen sich indes eine Schließung binnen zehn Jahren. Polen produziert derzeit fast 80 Prozent seines Stroms aus Braun- und Steinkohle.
Umsetzbagger im RWE Braunkohletagebau Garzweiler, Rheinisches Braunkohlerevier.