Montag, 18. Mai, 28°C
Ich liebe diese leisen Momente in der Früh. Wenn der Asphalt noch kühl ist und sich die Stadt langsam für den Tag bereit macht. Die Vögel sind da schon lange wach. Und laut. Sogar der Kiebitz lebt wieder im Park, seit die Flächen sanft verwildern dürfen. Ich sitze mit einem Kaffee am Fenster, gluckernd schickt die Gebäude-KI Wasser über die bepflanzte Fassade. Heute war wieder ein Trio der Nachbarschaftsinitiative vom Haus gegenüber unterwegs. Bäume gießen, Abfall aufsammeln, die grünen Lounge-Areale in den ehemaligen Parktaschen pflegen. Später sitzen die Nachbar:innen dort auf Stühlen vor dem Haus, Kaffeetassen in der Hand, manchmal trinke ich einen mit. Platz genug ist ja, seit ein Parkplatz in der Innenstadt 1.000 Euro im Jahr kostet, Senior:innen und Menschen mit Beeinträchtigungen ausgenommen. Selbst mein Kumpel Timo hat seine Karre verkauft. Seit fast zehn Jahren sind neue Verbrenner jetzt verboten, Sprit für die alten bekommt man kaum noch. „Das Auto ist das Pferd von heute“, hat ein Verkehrsexperte vom Wissenschaftszentrum Berlin vorhin im Webradio gefrotzelt. „Ein Hobby für Liebhaber:innen.“
Im Nachhinein ist es immer noch unglaublich: 50 Millionen Autos gab es Mitte der 2020er in Deutschland, nur acht Prozent der Wege legten die Menschen mit ihnen zurück, den Rest standen die Dinger rum. Etwa 20 Tonnen CO2 wurden allein bei der Herstellung verballert. Pro Auto. Wäre der CO2-Preis nicht auf 800 Euro die Tonne gestiegen, wie es Expert:innen bereits vor zwanzig Jahren vorgeschlagen hatten, wär die Zahl der Autos vielleicht wirklich bis 2030 auf 75 Millionen geklettert. Auf einfach alles kommt ja nun der CO2-Aufschlag drauf wie einst die Mehrwertsteuer. Zudem überschlägt die KI der Finanzämter bei der Einkommenssteuererklärung noch das individuelle CO2-Budget. Wer mehr als sieben Tonnen verprasst, muss doppelt zahlen. Alles fürs Auto raushauen? Wer will das noch?
Erst hat niemand daran geglaubt, dass das Geld in die Öffis geht. Überall entstanden „Mobi-Knoten“, die Bahn, Rad, städtische E-Autos und Automatic Lanes verbinden, auf denen selbst fahrende Kleinbusse über einige Hauptadern der Stadt schnurren. Aber dann gab es diesen „Willy-Brandt-Moment“ in der Verkehrspolitik, wie es die Medien genannt haben. Urs Kop-Sievert war der Mann der Stunde, als niemand mehr damit gerechnet hatte. Verkehrspolitiker mit Vision. Die staatlichen Investitionen in die Öffis verdreifachten sich, und weil alle die Angebote nutzten, wurde alles viel billiger. Energiekonzerne stiegen ein, mit Mobility-Apps und KI-gesteuerten Robotaxen machten sie immer noch Gewinne. Fast jede:r hat inzwischen ein Mobility-Abo, auch in den Außenbezirken läuft das. Wer weniger als 20.000 Euro brutto im Jahr verdient, bekommt es sogar umsonst, genau wie den Kitaplatz. Oma und Opa lieben die kleinen fahrerlosen Robotaxen, die elektrisch auf die Einfahrt ihres Einfamilienhauses rollen: „Kind, Fahrrad können wir doch nicht mehr fahren, Roller schon gar nicht.“ Komisch eigentlich, dass sich E-Autos nie flächendeckend durchgesetzt haben. Nur auf dem Land, wo es immer noch zu wenige Alternativen gibt. „Überall sonst ist es halt uncool geworden“, sagte der Verkehrsexperte vorhin.
Verflixt, heute ist Planungsmeeting. Einen Schluck Kaffee noch, dann los.
Dienstag, 19. Mai, 25°C
Verena und Flo gehen mir so auf den Zeiger. Seit zwanzig Jahren arbeiten die jetzt in der Reisebranche und immer noch hoffen sie auf Wasserstoff. Alles Unsinn, auch wenn Airbus gerade sein erstes Wasserstoffflugzeug rausgebracht hat, acht Jahre später als angekündigt. Reif für den Massenmarkt ist das noch lange nicht, für Fernreisen reichen die Tanks ohnehin nicht und für die Mittelstrecke sind sie so groß, dass ein Flieger gerade mal 100 Leute mitnehmen kann. Biofuels, E-Flieger – die Flugbranche hat es verpennt. Wir müssen uns damit erst mal arrangieren: Die Welt wird enger. Fliegen ist gefährlicher geworden – Stürme, Waldbrände, Unruhen in vielen Ländern, die einst Reiseziel waren. Und fossile Flüge kann sich keine:r mehr leisten. Reisen zur Herkunftsfamilie ausgenommen, zum Glück gibt es dafür inzwischen Fördermittel. Wie sollen die Menschen mit Migrationsgeschichte sonst Verbindung halten? Aber ein Standardflug Berlin-Kambodscha – 3.000 Euro. Die Flugscham ist in Deutschland seit 2019 immer weiter gestiegen, plus zwei Prozent jährlich. Die Hälfte der Emissionen des globalen Tourismus geht schließlich auf den Flugverkehr. Kein Wunder, dass die wenigen Fernreisenden meist nur noch hinter vorgehaltener Hand von ihrem Urlaub erzählen.
Na und? Unser Job als Reiseplaner:innen ist doch, geile Alternativen zu erdenken. Natürlich wollen viele Leute trotzdem andere Kulturen kennenlernen, ihren Horizont erweitern, überall auf der Welt. Ich stelle für unsere Agentur gerade eine Liste zusammen mit Start-ups, die Live-Touren via App mit Einheimischen in allen möglichen Ländern anbieten, Universalübersetzung in Echtzeit inklusive. Ein Tag mit Neo beim African Eletronic Music Festival in Laos. Eine Woche Naturbaden in Australien mit Ranger Marc. Ein Wochenende unterwegs mit Nordseefischerin Helke und Familie.

Ich glaube, das neue große Ding werden Langreisen statt Fernreisen, alle fünf Jahre vielleicht. Die meisten Menschen arbeiten nur noch vier Tage, auf Auszeiten am Stück hat jede:r Anspruch. Drei Monate nach Südamerika – das lohnt sich auch mit Green-Fuel-Schiffen. Slow Travel wie Slow Food. Ob ich Verena und Flo auch die Idee meines alten Kollegen Janosh vorstelle? Er setzt mit seinem Social Start-up auf das Revival der Kreuzfahrt. What? Jap. Im XXS-Format: 30 Kilometer raus auf die Ostsee fahren, ankern, eine Woche effizienzoptimierte Rundumbespaßung. „10.000 Menschen auf so kleinem Raum ist das Nachhaltigste, das man machen kann“, sagt Janosh, hat er detailliert ausgerechnet. Die Freizeittanker sind kompakte Kleinstädte der Kreislaufwirtschaft.
Das nächste Planungsmeeting ist in zwei Wochen, in einem Talk-and-roll-Business-Abteil der Bahn auf der Fahrt an die Ostsee zur Karibik-2.0-Messe. Abkühlen an den weißen Stränden des Nordens. Da werde ich ihnen alles servieren.
Mittwoch, 20. Mai, 26°C
23 Uhr, Milo hat Mucken gemacht. Mein Digital-Assistent hing plötzlich, aber schon um 15 Uhr meldete sich der zentrale KI-Service. Das funktioniert mittlerweile EU-weit super. Ohne Milo könnte ich es mir nicht mehr vorstellen. Für fast alle Computerarbeitenden sind Milos Standard geworden. Meiner ist mittlerweile so gut auf meine Stimme trainiert, dass ich nur noch diktiere, statt selbst zu schreiben. Milo überarbeitet meine Texte, korrigiert und verschickt, baut mein Netzwerk aus, recherchiert für mich online. Einige der digitalen Live-Reiseführer:innen hat er für mich ausfindig gemacht. Kein Wunder, dass der Energieverbrauch der IT weltweit immer weiter steigt. Schon 2030 machte sie vier Prozent der Emissionen aus, doppelt so viel wie 2021. Auf jedem Computerscreen läuft jetzt automatisch ein CO2-Zähler mit, ein kleiner Reminder: schon fünf Kilogramm heute mit Surfen verbraucht. Klar, auf der anderen Seite sorgt Smart Tech für große Effizienzgewinne. Aber noch immer streit…
Am Fenster: Lily Pernot erzählt ihrem digitalen Assistenten von ihrem Tag.