Mit Apps gegen die Einsamkeit

Ein Wisch zur Freundschaft

In Zeiten von Selbstisolation und Social Distancing laden sich viele Menschen Freundschafts-Apps herunter. Was können Apps wie 25friends oder Meetup wirklich – und was nicht?

Schon mit seinem ersten Foto sorgt Levin für ein Lächeln: Der 26-Jährige steht in der Küche, er hält einen Topf in der Hand und trägt dazu eine pinkfarbene Blümchenschürze. Ein Bild weiter posiert der Hochschulabsolvent mit seinem etwas wilden Bart und halblangen, dunkelblonden Haaren am Ufer eines Flusses. Es sieht so aus, als schreie er sich dort in der Natur die Seele aus dem Leib. Gesellig ist Levin aber auch, wie sein drittes Foto beweist: ein Selfie mit einer Gruppe Freunden auf einer Party.

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Trotzdem sucht Levin neue Freunde. In der App Bumble (Die sowohl für Dating als auch für das Schließen neuer Freundschaften verwendet wird) bekommen andere Nutzer sein Profil vorgeschlagen und können sich entscheiden. Levins Bild nach links wischen heißt: wir werden keine Freunde. Ein Swipe – englisch für Wisch – nach rechts bedeutet, man will ihn kennenlernen. Was Tinder für die moderne Liebe schon ist – der wohl bekannteste digitale Marktplatz für Flirts und Dates – wollen zahlreiche Plattformen nun für moderne Freundschaften werden. Im Prinzip ist es die logische Weiterentwicklung eines Trends, den es schon länger gibt. Laut einer Studie des Pew Research Center aus 2015 haben sich in den USA bereits 57 Prozent der 13- bis 17-Jährigen Freunde über das Internet kennengelernt, mehr als jeder vierte Jugendliche hat digital sogar fünf oder mehr Bekanntschaften geschlossen. Und auch hierzulande sind virtuelle Welten längst ein wichtiger Ort, an dem Freundschaften gepflegt werden.

Freundschafts-Apps für Gruppentreffen

Die meisten Freundschafts-Apps kommen aus den USA. Sie heißen Skout, Happn, Spontacts oder Patook und bedienen sich oft genug der simplen Swipe-Logik, die Tinder so berühmt gemacht hat. FriendsUp oder „Hey! VINA“ richten sich sogar ausschließlich an Frauen, die eine neue beste Freundin suchen. Apps wie Meetup wiederum organisieren die User in Gruppen und wollen so zu gemeinschaftlichen Aktivitäten animieren. Mit diesem Ansatz versuchen auch deutsche Plattformen wie 25friends, den Markt zu erobern.

25friends wurde von drei Freunden in Hamburg entwickelt und ist seit Sommer 2017 auf dem Markt. Die Nutzer können bei dort unterschiedlichen Gruppen beitreten oder selbst welche gründen. Die Namen sagen meist, worauf sich Mitglieder einstellen können: „Neu in Berlin“, „Kino & Filmliebhaber“ oder schlicht „Badminton“. In Zeiten der Coronakrise kann man sich zwar nicht mehr draußen treffen, aber dennoch über gemeinsame Interessen austauschen. Eine App kann ein guter Weg aus der Einsamkeit sein, insbesondere für Menschen, die alleine wohnen.

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In einigen Gruppen dürfen nur Frauen Mitglied werden. Außerdem ist es möglich, sich Gruppen zufällig zuordnen zu lassen. Frese vergleicht das mit einer Schulklasse: Man wird zusammengewürfelt mit unbekannten Menschen und findet trotzdem Freundschaften, die jahrelang halten. „Dieses Gefühl der Geborgenheit wollen wir mit der App geben.“

Start mit Whatsapp-Chats

Angefangen hat alles mit einer vernachlässigten Freundschaft: Ramin Ataei, Freund und Mitgründer Freses, war zusammen mit anderen Teilnehmern eines Fitnessprogramms in einer Facebook-Gruppe gelandet – und chattete über sein Handy permanent mit dieser. Frese saß oft nur daneben und war von seinem Freund genervt. Doch aus der Facebook-Gruppe ergaben sich schließlich echte Freundschaften und Frese überlegte: Das hätte ich gerne gehabt, als ich aus Süddeutschland nach Hamburg gezogen bin. So entstand die Idee zu 25friends.

Los ging es um das Jahr 2016 mit mehreren Gruppenchats über Whatsapp, die innerhalb weniger Wochen auf 3000 Mitglieder anwuchsen. Davon las auch Tanja Weber, eine der ersten Nutzerinnen, und meldete sich direkt an. Die gebürtige Badenerin war 2015 im Anschluss an ihren Masterabschluss nach Berlin gezogen. Zwar war sie nicht komplett ohne sozialen Kontakt – ihre Schwester war nur ein halbes Jahr vorher nach Berlin gekommen, eine alte Studienfreundin lebte ebenfalls schon in der Hauptstadt und dann war da noch der damalige Freund. Aber „jeder hat sein eigenes Leben, niemand hat immer Zeit. Da ist es gut, den eigenen Freundeskreis in der Wahlheimat zu erweitern“, sagt Weber. „Ich habe das Gefühl, Teil einer Gruppe zu sein, vermisst. Deswegen war 25friends für mich die vielversprechendste Option.“  In der App habe man einen Pool an Leuten, die an der gleichen Sache interessiert sind  und dann „kann man sich immer noch mit Einzelnen verabreden und so etwas wie eine Freundschaft entwickeln“.

Forscher beobachten einen Bedeutungszuwachs von Freundschaften – und das nicht nur bei der jungen Generation: Laut einer Studie der Michigan State University, die Daten von mehr als 270.000 Menschen verglichen hat, werden Freundschaften besonders im Alter oft bedeutsamer als Familien. Eine Untersuchung auf Basis des Deutschen Alterssurvey ist zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen: Betrachtet man die letzten beiden Jahrzehnte, wenden sich ältere Menschen immer häufiger an Freunde, wenn sie Rat brauchen oder Trost suchen.

Freundschafts-Apps: Ein Ersatz für Familie?

Aber werden Freundschaften deshalb auch ein Ersatz für die Familie? Janosch Schobin forscht an der Universität Kassel zu den Themen Freundschaftssoziologie und Soziale Isolation und hat sich historische Studien angesehen und mit der aktuellen Situation verglichen, um genau das herauszufinden. Er schätzt: Für etwa zehn Prozent der Bevölkerung seien Freunde bereits am wichtigsten, Partner und Familie nachgestellt.

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Experten wie der Psycho- und Paartherapeut Wolfgang Krüger kritisieren zwar solche Vergleiche, da Freundschaft und Familie völlig unterschiedliche Konstrukte seien. Der Familie fühle man sich eher verpflichtet, auch wenn man sich persönlich nicht möge, erklärt er. „Sind mir Freunde unsympathisch, ziehe ich mich von denen zurück.“ Einig sind sich Krüger und Schobin allerdings, dass digitale Angebote wie 25friends, Bumble oder Meetup Freundschaften eher nutzen, als ihnen zu schaden – weil sie die Hürde für den Erstkontakt erheblich senken. Zudem helfen sie, in Kontakt zu bleiben und die Freundschaft zu pflegen. Besonders Letzteres ist wichtig, betont Krüger. Je größer die Bedeutung von Freunden ist, desto mehr müsse man sich ihnen auch widmen und sich darum bemühen, „die alltägliche Kunst der Freundschaftzu erlernen“, wie es der Therapeut ausdrückt. In seinem Buch „Freundschaft – beginnen, verbessern, gestalten“ beschreibt er, wie das geht. Er rät zum Beispiel, sich einen Abend pro Woche, mindestens drei Stunden, für ein Treffen mit Freunden freizuhalten. Entscheidend sei dabei langfristig der Schritt von der virtuellen Welt ins reale Leben.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien ursprünglich 2018 und wurde am 30.03.2020 aktualisiert.

imago images / fStop Images

Sind Freundschafts-Apps eine Lösung in Zeiten von Isolation und Einsamkeit?

Vincent Halang
Xenia von Polier

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