Mobilität der Zukunft

Wie viel Auto verträgt die Stadt?

Die Zukunft der Mobilität wird in den Städten entschieden. Auch Amsterdam und Hamburg verteilen den Platz zwischen Autos, Fahrrädern und anderen Verkehrsmitteln gerade neu – mit unterschiedlicher Akzentsetzung

An manchen Tagen ist es wie verhext. Kein Platz, nirgends. Das Parkhaus – besetzt. Die Stellplätze am Bahnhof – alle voll. Und man kann ja nicht einfach den Bürgersteig zustellen und hoffen, dass es niemand sieht. Bei wichtigen Terminen, für die sie ihren Zug nicht verpassen darf, ignoriert Cornelia Dinc die Parkverbotsschilder trotzdem. „Ein, zwei Stunden geht das gut. Aber nach spätestens sechs Stunden wirst du abgeschleppt.“

Neulich saß sie wieder mal im Bus der Genervten zum „Fietsdepot“, dem Sammelplatz für abgeschleppte Räder. 35 Euro später hatte sie ihr heiß geliebtes Fahrrad zurück. Für knapp das Doppelte hätte sie es sich auch via Smartphone-App nach Hause bringen lassen können. „Ärgerlich“, sagt Dinc. Andererseits: „ein Luxusproblem“. Denn dass an manchen Tagen die knapp 5000 Fahrradstellplätze rund um den Bahnhof nicht ausreichen, um alle Räder unterzubringen, bestätigt Dinc in ihrer Mission. Die Fahrradlobbyistin und Bloggerin („Sustainable Amsterdam“) kämpft dafür, ihre Wahlheimat von einer schönen in eine perfekte Radlerstadt zu verwandeln. Und nebenher die ganze Welt. Einfach, weil Radfahren „das beste Mobilitätskonzept für die Lebensqualität der Menschen ist“. Mehr Platz in der Stadt, bessere Luft, entspanntes Tempo. „Ich bin in Calgary in Kanada aufgewachsen“, erklärt Dinc. „Da mussten wir für jeden Einkauf das Auto nehmen. Dass wir in Amsterdam gar nicht mehr wissen, wohin mit den Rädern, ist da eigentlich ein Erfolg.“

Sie erinnern an eine Entenfamilie: vorn die Eltern, ein fetter, silbergrauer Audi Q5 und ein wuchtiger VW Tiguan, dahinter ein Smart und ein niedlicher Fiat 500. Zum dritten Mal rollen die Autos nun schon durch den Eppendorfer Weg. Im Schritttempo wirken die beiden Stadtgeländewagen unfreiwillig komisch. Mit ihrer bulligen Kraft, die ihnen in der komplett zugeparkten Straße so gar nichts nützt. Der Audifahrer kompensiert das ein wenig, indem er gleich nach dem Rechtsabbiegen ein bisschen Gas gibt. Wozu hat man seine 230 PS? Aber ein paar Meter später muss er schon wieder bremsen. Ein Radfahrer mit Leuchtjacke wagt sich zwischen parkenden Autos auf die Straße. Alle Auffahrten sind zugestellt. Einen Radweg gibt es nicht. Der Audi zischt knapp am Radler vorbei. Auch der Tiguan schnaubt unwillig. Erst der Fiat lässt ihn mit auf die Bahn.

Eine Stunde Zuschauen in Hamburgs teurem Altbauviertel Eppendorf und man glaubt wieder an Klischees. Dabei ist es eigentlich egal, wo man zusieht. Ob im Schanzenviertel, in Winterhude, Ottensen oder Uhlenhorst. Spätestens ab 18 Uhr tobt hier der Straßenkampf um jeden Meter. Über die Hälfte aller Wagen, die um diese Zeit durch die Stadt stottern, sind gerade auf Parkplatzsuche, ergaben Studien. Dass die Wagen immer größer und dicker werden, erleichtert die Sache nicht gerade. Der erste Golf zum Beispiel, Baujahr 1974, 3,70 Meter lang, wog 750 Kilogramm. Heute bringt er es auf 1,2 Tonnen und 4,34 Meter. Ganz zu schweigen davon, dass heute ohnehin Geländewagenund SUV-Modelle die Verkaufsschlager sind. Als würde man ständig zunehmen und trotzdem immer engere Hosen shoppen.

Mobilität in den Städten hat erst einmal viel mit Immobilität zu tun. Autos sind wahre Flächenfresser und stehen im Schnitt 23 Stunden pro Tag nur herum. Im „Verteilungskampf um die Räume zwischen den Häusern“, wie das Martin Bill von den Hamburger Grünen nennt, ringen Fußgänger, Radler, PKW, Busse, Taxen, Transporter und LKW miteinander. Da in der Welt von morgen immer mehr Menschen in urbanen Zonen wohnen und arbeiten, entscheidet die städtische Mobilitätspolitik auch über unsere zukünftige Lebensqualität. Werden wir am Immer-Mehr der Autos, Menschen und Bauten kollabieren? Rollen wir in einigen Jahren durch ergrünte Fahrradstädte, in friedlicher Gemeinschaft mit knuffigen selbstfahrenden Autos, die allen zur Verfügung stehen? Leben wir in einer vollständig vernetzten Stadtlandschaft, in der uns sämtliche Mobilitätsangebote mit einem Wisch auf unseren Smartphones zur Verfügung stehen? Oder kommt nur ein diffuses Dazwischen, in dem wir auch in zehn Jahren noch verzweifelt nach Parkplätzen und freien Strecken für unsere Räder suchen?

Zwei Städte als Zukunftslaboratorien

Wie wir uns in den Städten von morgen bewegen werden – und ob überhaupt – hängt von vier großen Fragen ab: Wie verteilen wir den „Raum zwischen den Häusern“? Wie regeln wir den Wirtschaftsverkehr? Welche Verkehrsmittel nutzen wir selbst? Und wie vernetzen wir diese mit der Mobilität der Stadt?

enorm hat sich angesehen, wie Hamburg und Amsterdam diesen Herausforderungen begegnen: Zwei beliebte Hafenstädte, die jährlich Millionen Touristen anziehen; zwei wachsende Wirtschaftsmetropolen, die gewaltige Verkehrsströme organisieren und ihre Luft verbessern müssen. Beide Städte fungieren dabei als Laboratorien unserer mobilen Zukunft. Amsterdam als innovative „Smart City“, regelmäßig zur besten Fahrradstadt der Welt gekürt. Hamburg als größte Industriestadt der Republik und als europäisches Logistikzentrum, das 2021 Gastgeber des „Intelligent Transport System“-Weltkongresses werden will. Als deutsche Großstadt, die zur Nummer 1 beim Radverkehrsanteil werden will, als Vorzeigestadt für einen digital perfekt vernetzten öffentlichen Nahverkehr, der Busse, U- und S-Bahnen mit Carsharing und Leihfahrradsystem kombiniert.

Zwei Metropolen, eine Frage: Wie viel Auto verträgt die Stadt?

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Titelbild: Denys Nevozhai / Unsplash

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Fred Grimm

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