Weibliche Ejakulation

Spritzen ist politisch

Auch Frauen können beim Sex ejakulieren. Darüber spricht jedoch kaum jemand. Ein neues Buch zeigt, wie das Wissen um spritzende Vulven immer wieder vergessen wurde – und macht klar: Wir brauchen eine zweite sexuelle Revolution.

Nass spritzt es aus der Vulva einer Frau. Ein durchsichtiger Schwall ergießt sich auf ihren Schenkeln, durchfeuchtet das Bettlaken. Die Frau squirtet. Der unabhängig produzierte Film Female Ejaculation & other Mysteries of the Universe (2020) der Regisseurin Julia Ostertag zeigt zwar eine intime, private Szene im Schlafzimmer, doch was dort geschieht ist politisch. Denn man sieht einen Aspekt weiblicher Sexualität, der für viele ein Tabu ist.

Auch für die Kulturwissenschaftlerin Stephanie Haerdle ist es daher ein politischer Akt, weibliches Spritzen sichtbar zu machen, also diejenige Flüssigkeit, die bei sexueller Stimulation meist kurz vor oder während des Orgasmus und oft in größerer Menge als „normale” Lubrikation auftritt. Medizinisch kann zwischen weiblicher Ejakulation (aus der Prostata) und dem Squirting (aus der Blase) unterschieden werden, die auch unmittelbar nacheinander oder gleichzeitig auftreten können. In ihrem Buch bezieht sich Haerdle hauptsächlich auf die Ejakulation, thematisiert aber auch das Squirting, am liebsten spreche sie jedoch von Spritzen, sagt sie.

Weibliche Ejakulation ist politisch

Haerdle findet: Politisch sei es bereits, wenn eine einzelne Frau anfange, sich mit ihrem Körper zu beschäftigen. Denn: „Unser Blick auf den Körper ist immer kulturell geprägt.” Ein patriarchaler Blick auf weibliche Körper habe dazu geführt, dass man Frauen die Fähigkeit zu ejakulieren abgesprochen habe. In den vergangenen Jahrhunderten seien sowohl Wissen als auch Sichtbarkeit von weiblicher Ejakulation immer wieder verloren gegangen. Haerdle hat darüber ein Buch geschrieben: Spritzen. Geschichte der weiblichen Ejakulation.

Sie zeigt: Frauen spritzen immer schon, doch der gesellschaftliche Blick darauf hat sich über die Jahrhunderte massiv geändert. Wo mehr als 2000 Jahre alte Schriften aus China und 1300 Jahre alte Aufzeichnungen aus Indien den weiblichen Körper und auch die weibliche Ejakulation detailliert darstellen – und sowohl das Ejakulat der Frau, als auch das des Mannes als notwendig für die Zeugung erachteten – rückten weibliche Lust und Befriedigung über die Jahrhunderte immer weiter in den Hintergrund. Entscheidend war etwa, dass man im 18. Jahrhundert die Zeugung eines menschlichen Embryos aus Ei- und Samenzelle besser verstand und schließlich im 19. Jahrhundert herausfand, dass es weder für Eisprung noch für die Befruchtung einen weiblichen Orgasmus bedarf. Weibliche Lust wurde in der Folge für unnötig erklärt, galt gar als nicht tugendhaft. Weibliche Ejakulation verschwand aus dem medizinischen Diskurs und wurde bedeutungslos.

Die Geschichte der weiblichen Ejakulation ist auch eine Geschichte der Frau und ihrer Lust, des weiblichen Körpers, seiner Verehrung und Abwertung.
Stephanie Haerdle, Autorin von Spritzen. Geschichte der weiblichen Ejakulation

„Die Geschichte der weiblichen Ejakulation ist auch eine Geschichte der Frau und ihrer Lust, des weiblichen Körpers, seiner Verehrung und Abwertung”, schreibt Haerdle. Denn während die Körper von Frauen und Männern – eine binäre Einteilung, die Haerdle grundsätzlich als sozial konstruiert ablehnt – lange als sehr ähnlich interpretiert wurden, erhob man im 18. Jahrhundert den männlichen Körper zur Norm, der weibliche wurde zur Abweichung – für spritzende Frauen war da kein Platz. Ihre Ejakulation passte nicht ins Konzept von weiblicher Sexualität.

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Und das hat Auswirkungen bis heute. Wie viele Frauen tatsächlich spritzen, ist unklar. Die Studien, die Haerdle anführt, zeigen eine sehr große Bandbreite: Demnach spritzen zwischen 10 bis rund 70 Prozent aller Frauen beim Sex. Haerdle vermutet, dass viele gar nicht wüssten, dass sie überhaupt ejakulieren oder squirten. „Sie halten jede ihrer Sexualflüssigkeiten für Vaginalflüssigkeit und für größere Flecken im Bett ist der Mann ,verantwortlich‘“, schreibt die Autorin. „Ist sie doch ganz sicher, beim Sex Flüssigkeit verspritzt zu haben, muss es – meinen viele peinlich berührt – Urin sein.”

Weibliche Ejakulation und Squirting: fatale Verwechslung mit Urin

Diese Verwechslung ist für Haerdle besonders kritisch: „Die Gleichsetzung von Ejakulation mit unwillkürlichem Harnabgang ist eine der folgenschwersten Fehlinterpretationen der weiblichen Ejakulation.“ Im 20. Jahrhundert führte genau dieser falsche Schluss in der Wissenschaft zu einer Tabuisierung und Verdrängung der Ejakulation. Verantwortlich dafür sind auch die Arbeiten des bekannten US-amerikanischen Forscherpaares William H. Masters und Virginia E. Johnson aus den 1950er und 1960er Jahren. Zwar erkennen Masters und Johnson, dass die ejakulierte Flüssigkeit, die sie bei manchen Frauen bemerken, kein Urin ist. Dennoch schieben sie es auf Stressinkontinenz und raten zu Beckenbodenübungen oder gar Operationen. „Aus einem selbstverständlichen Aspekt weiblicher Sexualität wird im 20. Jahrhundert etwas Schambesetztes und Peinliches, das Frauen mit Zusammenkneifen und Anspannen zu verhindern suchen. Oder sie verzichten gleich ganz aufs Kommen. Gesunde Frauen werden pathologisiert (Befund: Inkontinenz), schlimmstenfalls sogar operiert”, erklärt Haerdle.

Doch weder beim Squirting noch bei weiblicher Ejakulation scheiden Frauen wohl Urin aus. Das zeigt Stephanie Haerdle anhand medizinischer wissenschaftlicher Literatur: Eine Metastudie der tschechischen Mediziner Zlatko Pastor und Roman Chmel aus dem Jahr 2018 unterscheidet weibliche Ejakulation von Squirting. Es handele sich um zwei Phänomene mit verschiedenen Mechanismen: Bei der Ejakulation sondere die weibliche Prostata, eine drüsige Struktur, die sich zwischen Harnröhre und Vaginalkanal befindet, während des Orgasmus „einige Milliliter dicke, milchige Flüssigkeit” ab, die Prostataspezifisches Antigen (PSA) enthält. Beim Squirting wird hingegen aus der Blase ein Stoff ausgeschieden, der kein Urin ist, jedoch Harnstoff, Kreatin und Harnsäure enthält. Das weibliche Ejakulat, so zeigt es auch eine Laborstudie aus dem Jahr 2011, ist biochemisch mit Bestandteilen des männlichen Ejakulats vergleichbar – im Gegensatz zur klaren und wässrigen Squirting-Flüssigkeit.

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Weibliche Ejakulation und Prostata hängen also eng zusammen. Entsprechend widmet Stephanie Haerdle ihr viel Aufmerksamkeit. Denn anders als die Klitoris – von der man mittlerweile weiß, dass die länglichen Schwellkörper ihrer sogenannten Schenkel, bis zu neun Zentimeter, die runderen Schwellkörper drei bis sieben Zentimeter tief in den Körper reichen und die als komplexes Organ weit mehr als die sichtbare Perle und Kapuze umfasst –, habe die weibliche Prostata noch immer selten in medizinischen Lehrbüchern und Standardwerken Eingang gefunden.

Verlorenes Wissen um die weibliche Prostata

Dabei beschrieb bereits im Jahr 1672 der niederländische Arzt Reinier de Graaf detailliert diese ausgeprägte drüsige Struktur rund um die Harnröhre. „Man wusste über das Phänomen bereits im 17. Jahrhundert viel, doch die weibliche Prostata wurde immer wieder vergessen, im 18. und 19. Jahrhundert sogar mit anderen, den Bartholin-Drüsen, verwechselt – bis schließlich kein Organ mehr mit dieser Flüssigkeit verknüpft werden konnte und man sich dachte, das ist alles Quatsch, das hat sich mal jemand ausgedacht, woher soll das denn kommen?”, sagt Haerdle. Ein weiterer Grund für das Vergessen, so schreibt sie, sei die Vielfältigkeit der weiblichen Prostata: „Sie hat unterschiedliche Formen, eine unterschiedliche Anzahl an Drüsengängen im Gewebe und kann verschiedene Abschnitte der Harnröhre umgeben. Eine Besonderheit, die die Erforschung des Organs bis heute erschwert und gleichzeitig eine Erklärung dafür, dass nicht alle Frauen ejakulieren.”

Dabei wurde bereits 2001 der Begriff  „weibliche Prostata” in die Terminologia Histologica, ein internationales Standardwerk für humananatomische Fachbegriffe, aufgenommen. Stephanie Haerdle nennt dies in ihrem Buch einen Meilenstein für die weibliche Prostata.
Ein weiterer Meilenstein: A New View of a Woman’s Body. Das Buch aus dem Jahr 1981 bezeichnet Haerdle mitunter wegen seiner detaillierten Zeichnungen und Fotografien als „wichtigste und nachhaltigste Publikation der Lesben- und Frauengesundheitsbewegung”, die sich etwa aus (Selbst-)Untersuchungen und aktivistischer Arbeit in Frauengesundheitszentren speise. Darin wird das Drüsengewebe um die Harnröhre als weibliche Prostata anerkannt und auch die weibliche Ejakulation erklärt. Die feministische Frauengesundheitsbewegung nennt sie Freudenfluss.

In praktischen Workshops das Abspritzen lernen

Laura Méritt brachte das Buch 2012 in deutscher, überarbeiteter Fassung – Frauenkörper neu gesehen – heraus. Méritt, feministische Sexologin, Betreiberin des feministischen Sexshops Sexclusivitäten und Mitbegründerin der PorYes-Bewegung führt in praktischen Workshops Frauen und ihre Partner*innen an die weibliche Ejakulation heran. In ihrem dreistündigen Workshop zu weiblicher Ejakulation und G-Fläche mit dem kampfeslustigen Titel „Wir spritzen zurück!“ lernen 10 bis 15 Frauen entweder allein oder mit Partner*innen zunächst mehr über Anatomie und betrachten dann gegenseitig ihre Vulven (sofern sie dies möchten, versteht sich). Während die Frauen schließlich auf Handtüchern und Decken auf dem Boden liegen, gibt Méritt ihnen Ratschläge wie „Verändere doch mal den Winkel, fühl weiter rechts. Wie fühlt sich das jetzt an, wenn du weiter nach hinten gehst?” Von einer Anleitung zum Ejakulieren möchte sie nicht sprechen. „Ich unterstütze einfach dabei, herauszufinden, wie es gehen kann. Jede Person hat ihren eigenen Zugang.” Denn Méritt ist überzeugt: Jede*r kann ejakulieren. „Alle Menschen sind mit diesen anatomischen, sexuellen Möglichkeiten ausgestattet.” Tatsächlich ejakulierten jedes Mal mehr als die Hälfte der Teilnehmenden direkt im Workshop, sagt Méritt. Lachend betont sie jedoch auch: „Ich gebe keine Spritz-Garantie.” Denn viele Frauen setzen sich selbst unter Druck, spritzen zu müssen. „Dann klappt das natürlich meistens nicht, denn es hat auch viel mit Loslassen zu tun.”

Dieser Druck entspringe unter anderem dem Einfluss des Mainstream-Pornos. Lange fanden sich Bilder von spritzenden Frauen hauptsächlich dort, sagt Méritt. Sie kritisiert, dass Wissen darüber anderswo unterdrückt wurde und sexpositive Sexualaufklärung noch immer recht schwer zugänglich sei und nicht staatlich unterstützt werde. Tatsächlich floriert Squirting in der Porno-Industrie. Das zeigen Zahlen von Pornhub, eine der weltweit größten Pornowebsiten. Demnach hat die Popularität von Squirting-Videos zwischen 2013 und 2015 stark zugenommen. Vor allem jüngere Frauen suchten nach solchen Pornos.

Mainstream-Pornos können unseren Blick verzerren

Häufig werde in solchen Mainstream-Pornos ein sehr normiertes Bild von weiblicher Lust und eben Ejakulation gezeigt, kritisiert Méritt. Perfekte Körper, schnelles Spritzen in großen Mengen, zum Gefallen des Mannes. Mit ihrem Einsatz für feministische, diverse Pornografie und auch mit ihren Workshops will sie das ändern – und sich damit auch gegen die jahrhundertelange Unterdrückung und körperliche Maßregelung von weiblichen Körpern einsetzen.

Auch Stephanie Haerdle sieht das so und bezieht sich auf die Arbeit der feministischen Autorin Laurie Penny: „Wir erwarten von Frauenkörpern besondere Dinge: Wir sollen unsere Körper kontrollieren, sie sollen sauber sein. Die Gesellschaft und eben auch die Frauen selbst sind sehr streng mit ihren Körpern. Das Ejakulieren und Spritzen wird als unkontrollierbar erlebt – auch wenn es das nicht sein muss – und wenn es sehr viel ist, kann es für Frauen irritierend sein.” Die Gesellschaft sei sehr streng mit Flüssigkeiten, sei es Menstruationsblut, Schweiß, Urin oder eben Ejakulat. „Ejakulieren passt nicht in unser Weiblichkeitskonzept, das eher ein kontrolliertes, trockenes, fettfreies und klinisches ist. Denn Ejakulieren kann ganz schön wild sein – und nass.”

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Für Haerdle ist Pornografie zweischneidig. Einerseits könne sie aufklären, andererseits vermittele sie falsche Erwartungen, denn wenn Frauen Flüssigkeit aus der Prostata ejakulieren seien die Mengen um einiges geringer als beim Squirting aus der Blase. „Manche Frauen ejakulieren ganz kleine Mengen, nur ein paar Tropfen, einen Fingerhut voll. Wenn sie die riesigen Mengen im Porno sehen, kann das enttäuschen und irritieren. Das kann auch bei Männern völlig falsche Erwartungen wecken.” Außerdem würde mitunter Fake-Ejakulat eingesetzt. Eine urologische Studie von 2013, die Haerdle in ihrem Buch anführt, macht jedoch auch Hoffnung: 78,8 Prozent der Frauen und 90 Prozent ihrer Partner*innen sagen demnach, dass sie die Ejakulation „als Bereicherung ihres Sexuallebens” empfinden.

Dennoch ist Haerdle überzeugt: „Bei uns steht noch einmal eine sexuelle Revolution an.” Sie plädiert neben besseren Informationen und Aufklärung auch für mehr Neugier, Humor und Entspanntheit: „Ich möchte keine neuen Standards, die sagen, dass es besserer Sex ist, wenn Frauen ejakulieren. Aber ich möchte, dass keine Frau, die spritzt, mehr denkt, dass sie pinkelt oder dass das unnormal oder komisch ist. Spritzen kann ein Aspekt weiblicher Lust sein.”

Doku-Tipp der Redaktion: Die neue, sehenswerte Wissenschafts-Dokumentation „Vulva und Vagina – Neue Einblicke in die weibliche Lust” ist aktuell in der 3sat-Mediathek verfügbar. Die weibliche Ejakulation beziehungsweise Squirting sowie die weibliche Prostata werden darin jedoch leider nur sehr kurz und nicht vollständig richtig thematisiert.

Dainis Graveris/Unsplash

Die Flüssigkeiten von weiblicher Ejakulation und Squirting unterscheiden sich. Urin ist beides nicht.

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