Histourismus

Werden wir ein vereintes Irland sehen?

Laut dem heute veröffentlichten Zensus gibt es erstmals eine katholische Mehrheit in Nordirland. Immer mehr Menschen wollen eine Wiedervereinigung mit dem Süden des Landes. Das wäre eine historische Zäsur. Wie konnte das passieren und wie wahrscheinlich ist ein Referendum?

Drei Tage nach dem Begräbnis von Queen Elizabeth II, 70 Jahre lang Gallionsfigur der britischen Identität, ist das Vereinigte Königreich so uneins wie nie. In Schottland ergab eine Umfrage der Sunday Times im Juli 2022, dass 48 Prozent der Befragten Schott:innen für die Unabhängigkeit von Großbritannien waren, 47 Prozent dagegen und 5 Prozent unentschieden. In Nordirland zeigte eine Studie im August: 57 Prozent der befragten 18- bis 24-Jährigen und insgesamt 41 Prozent aller Erwachsenen würden bei einem Referendum für ein vereinigtes Irland stimmen. Bricht das Vereinigte Königreich in den nächsten zehn Jahren auseinander? 

Geschichte der Gewalt

Seit 1921 ist Großbritanniens Nachbar-Eiland geteilt in die Irische Republik im Süden und Nordirland, das zum Vereinigten Königreich gehört. Seit mehr als 100 Jahren tobt in Nordirland ein gewaltsamer Konflikt zwischen katholischen Republikaner:innen, die eine Wiedervereinigung mit dem Rest der Insel wollen, und protestantischen Loyalist:innen, die dem Vereinigten Königreich die Treue halten. Die politischen und ökonomischen Verhältnisse, die den britischen Nationalismus des Loyalist-Lagers dabei jahrzehntelang stützten, haben sich jedoch komplett umgedreht: Früher war die Irische Republik eine arme Agrarnation, gebeutelt von 800 Jahren englischem Kolonialismus. Das protestantische Nordirland dagegen prosperierte als ein Zentrum der Industrialisierung und bot als Teil der UK wesentlich bessere Lebensbedingungen. 

Nordirland fühlt sich von Westminster verraten

Heute dagegen hat die Irische Republik ein höheres Bruttoinlandsprodukt als Großbritannien – Dublin, das europäische Steuervermeidungs-Mekka Nummer eins für Techfirmen, macht es möglich. Nordirland dagegen versinkt in der Bedeutungslosigkeit: Der nordirische Haushalt muss mit zwischen 9 und 11 Milliarden Pfund Sterling pro Jahr von London subventioniert werden.

Dazu kommt, dass selbst die nationalistischsten Nordir:innen sich mittlerweile von Westminster betrogen fühlen: Während Ex-Premier Boris Johnson der Provinz versprochen hatte, dass es keine irische Meer-Grenze geben werde,  ist genau das in den Verhandlungen mit der EU festgelegt worden. Und das, obwohl eine Mehrheit in Nordirland unbedingt in der EU bleiben wollte. 

Die Bedeutung der Religion im Konflikt schwindet

Triebkraft für den nordirischen Konflikt war außerdem stets die Frage: Katholisch oder protestantisch? Doch der heute veröffentlichte Zensus zeigt: Das erste Mal in der Geschichte Nordirlands leben auch dort mehr Katholik:innen als Protestant:innen. Nur noch 31.86 Prozent definieren sich nach dem Zensus als nur britisch. Dadurch verliert die jüngere Generation die Verbundenheit zum traditionellen Rahmen nordirisch-loyalistischer Identität – Protestantismus und Britischsein. Gleichzeitig verliert der katholische Glaube in der Irischen Republik immer mehr an Bedeutung. Kurz: Die beiden Teile Irland nähern sich einander an. Zudem bietet Irland einen sicheren Platz in der EU, während das Vereinigte Königreich sich abkapselt. Das zieht gerade junge Menschen an, die sich für religiöse Fragen ohnehin immer weniger interessieren.

Ein Referendum für ein vereintes Irland wird wahrscheinlicher

Grafik: Enorm Redaktion

Die Irische Insel ist seit fast einem Jahrhundert geteilt. Ein Referendum zur Wiedervereinigung wird immer wahrscheinlicher.

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