Der Zusammenhang zwischen Fleisch und Klimawandel

Fleisch und Klima: Ausgeschnitzelt

Wenn wir den Klimawandel in den Griff bekommen wollen, müssen wir unseren Fleischkonsum halbieren. Aber wie?

Fast-­Food­-Ketten bleiben auf ihren Burgern sitzen, Eltern belegen die Schulbrote mit Gurken und Käse statt Bierschinken, innerhalb kurzer Zeit bricht der Fleischkonsum massiv ein. Eine vegetarische Utopie? Nein, alles schon passiert, mitten in Deutschland. Als im November 2000 die Tagesschau über den ersten deutschen BSE-Fall in Schleswig­-Holstein berichtete, begann eine ganze Nation, ihren Ernährungsstil zu ändern. Es war sicher keine nachhaltige Entwicklung, aber sie zeigt: Ein Wandel ist möglich. Laut einer Greenpeace­-Studie zur Agrarwende müssen wir bis zum Jahr 2050 den Fleischverzehr um die Hälfte reduzieren. Heißt konkret: Statt 80 nur noch 40 Kilo Fleisch im Jahr.

Immerhin zehn Prozent aller Deutschen verzichten nach Schätzungen des Vegetarierbundes bereits vollständig auf Fleisch, insgesamt geht der Konsum laut Fleischatlas der Heinrich­-Böll-Stiftung jährlich um 0,5 Prozent zurück. Damit stehen wir im Vergleich mit anderen Industriestaaten zwar nicht schlecht da, es reicht aber längst nicht. Warum schaffen es 90 Prozent der Deutschen (der Autor eingeschlossen) nicht, auf Fleisch zu verzichten?

Birgit Hamm, Food-Expertin und Bestseller-Autorin („Heimwehküche“) beschäftigt diese Frage schon lange. Sie sei „im Herzen Veganerin“ und trotzdem lande auch bei ihr mehr als einmal die Woche Fleisch im Kochtopf: „Die Reduzierung des Fleischkonsums ist eine Sache des Verstandes. Leider ist der Mensch bei der Nahrungsbeschaffung vom Instinkt getrieben.“

Erlernte Muster beim Fleischkonsum

Woher kommt dieser Instinkt? Annelie Sieveking forscht an der Leuphana Universität in Lüneburg zum Thema Ernährungswende und zieht folgenden Schluss: „Unsere Ernährung hat viel mit Identität und Sozialisation zu tun – welche Rolle Fleisch auf meinem Speiseplan spielt, wird schon in der Kindheit entscheidend geprägt.“ Studien haben gezeigt, dass sich das Geschmacksempfinden entsprechend ausbildet, wenn Fleisch ein gewohnter Bestandteil des Essens ist. „Wir essen eben gerne, was wir kennen und womit wir schöne Erlebnisse aus der Kindheit verbinden.“ Menschen, die von Geburt an grundsätzlich weder Steak noch Keule mögen, seien allerdings eine Ausnahme, so Food-Expertin Hamm.

Die Wissenschaft streitet über die Ursachen. Gesichert ist, dass in kälteren Regionen mehr Fleisch verzehrt wird als in wärmeren Erdteilen. Die These dahinter: Für unsere Ahnen war in unwirtlichen Gegenden der Kalorienbedarf höher. Nach einer Untersuchung der Hochschule Bremen ist der Fleischkonsum zwar ein wichtiger Bestandteil in der Evolution des Menschen, allerdings war Fleisch in der Steinzeit weit weniger verfügbar als heute. Ein täglicher Konsum liege daher nicht in der Natur des Menschen.

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Junges Mainstreamprodukt

Tatsächlich war die Küche in Mittel­ und Nordeuropa bis in das 20. Jahrhundert hinein vor allem Gemüse­ und Getreide ­betont. Die Alltagsnahrung der meisten Menschen bestand aus Kohl, Rüben und Kartoffeln. Erst mit steigendem Wohlstand rückte Fleisch in den Mittelpunkt des Speiseplans. Durch die industrialisierte Produktion wurde es ein verfügbares und immer günstigeres Mainstreamprodukt – mit den Folgen leben wir heute.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) kritisiert, dass wir die gesundheitlich verträgliche Wochenmenge von maximal 600 Gramm weit übertreffen. Noch in den 1960er Jahren aßen die Menschen weniger Fleisch als heute. Laut Bundesverband der deutschen Fleischindustrie liegt er heute bei 90 Kilogramm pro Kopf. 1960 waren es etwa 60. Wir sind sozial und kulturell an Fleisch gewöhnt, das ist ein Problem.

Teste sich jeder selbst: Wer bei dem Gedanken an einen Blumenkohl eine größere Freude verspürt als an ein Stück dampfendes Fleisch mit soßenglänzender Kruste, muss eine Ausnahmeerscheinung sein. Selbst Vegetarier nutzen Tofu und Saitan manchmal nicht nur als Eiweißlieferant, sondern als psychologischen Fleischersatz; etwa in der Bolognese oder als Geschnetzeltes. Umfragen zum Fleischkonsum in Deutschland zeigen zwar, dass der Mehrheit die Schädlichkeit eines hohen Fleischkonsums bewusst ist. Dennoch ändert sich wenig.

Sozialwissenschaftlerin Sieveking bringt hier das Konzept der „Kognitiven Dissonanzen“ ins Spiel: So bezeichnet die Psychologie das Gefühl, das entsteht, wenn wir Unterschiede zwischen unseren Werten und unserem Verhalten spüren. Diesen Spannungszustand versuchen wir auszugleichen – manchmal einfach durch Ausblenden. Sieveking: „Vielleicht müssen wir noch öfter mit den negativen Konsequenzen des Fleischkonsums auf Umwelt und Gesundheit konfrontiert werden, damit das Ausblenden nicht mehr so einfach gelingt.“ Einer ihrer Studenten hat in seiner Bachelorarbeit die Wirkung der drastischen Warnhinweise auf Tabakprodukten untersucht. Ergebnis: Vergleichbare Informationen auf Fleischverpackungen könnten auch den Fleischkonsum nachhaltig verringern.

Nachhaltiger Mentalitätswechsel?

Mit oder ohne Schockbilder: Eine Gesellschaft wird ihren Fleischkonsum nur reduzieren, wenn ein grundsätzlicher Mentalitätswechsel gelingt. Der braucht wohl ein paar Generationen, aber erste Schritte sind getan. In einem Interview mit dem Greenpeace Magazin resümierte Markus Keller, deutschlandweit erster Professor für vegane Ernährung an der Fachhochschule des Mittelstandes (FHM), dass immer mehr junge Menschen sich für eine vegane oder vegetarische Ernährung entscheiden.

Gerade die „Millennials, also die heute 15- bis 34-Jährigen, essen wesentlich weniger Fleisch, als der gesellschaftliche Durchschnitt.“ Sobald sie selbst Kinder haben, kann der nachhaltige Mentalitätswechsel also beginnen.„Es braucht aber noch mehr gesellschaftliche Impulse“, sagt Sozialwissenschaftlerin Sieveking und erinnert an den umstrittenen „Veggie-Day“. Trotz aller öffentlicher Empörung, sei er keineswegs ein politischer Rohrkrepierer gewesen. Im Gegenteil: In vielen Kantinen habe ihren Beobachtungen nach tatsächlich ein Umdenken begonnen. So weit wie in den USA, wo das 6000 ­Mitarbeiter-Unternehmen „Wework“ gerade Fleisch ganz strich, wird nicht so schnell kommen. Aber jeder dieser Schritte macht das Thema mainstreamfähig.

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Mehr Staat, weniger Lobby

„Die Reduzierung des Fleischkonsums ist auch eine Frage des politischen Willens“, wirft Birgit Hamm ein. Noch allerdings bremse eine machtvolle Fleischlobby erfolgreich den Wandel. Sinnvoll, sagt Leuphana­-Wissenschaftlerin Sieveking, sei auch eine Lenkung über den Preis – eine Fleischsteuer etwa. Gerade für die bei Lebensmitteln höchst preissensiblen Deutschen wäre das ein nachhaltiger Anreiz.

„Angesichts der Klimarelevanz könnte ich mir zudem gut die Einrichtung eines staatlich institutionalisierten Beratungsservices vorstellen für alle, die ihren Fleischkonsum reduzieren wollen, egal ob es Privatpersonen, Restaurants oder Kantinen sind“, so Sieveking. „Energieberatung ist ja heute auch gängig und ihr Nutzen akzeptiert.“

Food-­Expertin Hamm ist sicher: „Keiner muss ganz auf Fleisch verzichten, aber wer sein Verlangen an der Fleischtheke hinterfragt, der ist nicht mehr Teil des Problems, sondern der Lösung.“ Dann falle es auch leichter, dauerhaft auf weniger fleischbetonte Gerichte umzusteigen. Die asiatische oder indische Küche beispielsweise, in der häufig Gemüse und Reis dominieren, bietet Alternativen.

In Esskulturen, in denen Fleisch in Stückchen untergemischt wird, wirkt ein Teller mit wenig oder ganz ohne Fleisch nicht wie eine unterschwellige Anklage – hallo, hier fehlt was. Auch das hat uns Mitteleuropäer verwöhnt: Gerichte sind oft um das Fleisch herum kreiert, die einzelnen Bestandteile liegen separiert auf dem Teller; Kartoffeln, Brokkoli, das Schnitzel. Aber auch deutsche Hausmannskost bietet Alternativen: „Eintöpfe zum Beispiel, in der nur eine geschnippelte Wurst schwimmt oder einige Schinkenwürfel“, sagt Hamm. Männer, die (wie der Autor) trotzdem glauben, sie schaffen es nie, ihre Schnitzellust um die Hälfte zu drosseln, schauen bitte auf die Frauen: Die essen schon heute nur halb so viel Fleisch.

Titelbild: Andrey Niqi / Pexels

„Unsere Ernährung hat viel mit Identität und Sozialisation zu tun – welche Rolle Fleisch auf meinem Speiseplan spielt, wird schon in der Kindheit entscheidend geprägt“, erklärt Food-Experin Birgit Hamm

Jan Abele

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