Als sich die jungen Frauen vor der mit Graffiti bemalten Wand im Kreis drehen, bauschen sich ihre Kleider im Wind, die Schleifen im Haar flattern und die Schürzen der Trachten wirbeln hoch. Zwischen den Tänzerinnen steht Lil Hanrij, schiefe Cap auf dem Kopf, und macht großformatige Gesten. Er feuert Fingerguns in Richtung eines waldgrünen Saab-Cabrios und rappt in die Kamera. Lil Hanrij heißt eigentlich Peter Zieschwauck und ist Sänger der Band Skupina Astronawt. Der Clip ist nicht weniger als ihr Versuch einer kleinen Revolution. Denn ihr Song „Straight Outta Łužica“ ist ein sorbischer Rap.
Sorbisch ist kein deutscher Dialekt, sondern eine eigene Sprache mit Wurzeln im Slawischen, ähnlich dem Polnischen oder Tschechischen. Ober- und Niedersorbisch sind Amtssprachen in Brandenburg und Sachsen, wo noch etwa 60.000 Sorb:innen leben. Nicht alle sprechen Sorbisch, doch eine kleine, aber selbstbewusste Minderheit wächst noch immer mit Sorbisch als Muttersprache auf.
So auch Jurij Hantusch, der in der Band singt und Violine spielt. „Zu Hause sprechen wir Sorbisch. Deutsch habe ich auf der Straße gelernt“, erzählt der 24-Jährige. Ebenso erging es Bandkollege Zieschwauck. Rappt er heute in seiner Muttersprache, fühlt sich das vertraut an: „Ich kann einfach so rappen, wie ich spreche.“ Mit seinen scharfen Zischlauten und dem harten Klang passt Sorbisch gut zum Rap. Doch für die Band stand es ohnehin nie zur Diskussion, in einer anderen Sprache Musik zu machen. „Wir haben zwar alle einen deutschen Pass – aber wir sind Sorben, die auch Deutsch können. Das Sorbische steht an erster Stelle“, sagt Matej Zieschwauck, Peters Onkel, der die Band mitgegründet hat.
Funktioniert Musik in einer Sprache, die nur rund 20.000 Menschen aktiv sprechen? Vielleicht. Ganz sicher aber braucht eine Sprache, damit sie eine Zukunft hat, eine Gegenwart. „Je da w Serbach jen MC? Hač dotal žanoh njeznaju, jenož toho w špihelu“, rappt Peter Zieschwauck: „Gibt es einen MC unter den Sorben? Ich kenne keinen – nur den im Spiegel.“
Sorbisch im digitalen Zeitalter
Für Zieschwauck ist wichtig, Sorb:innen die Chance zu geben, junge Musik in ihrer Muttersprache zu hören. In seinen Lyrics ruft der 20-Jährige die sorbische Jugend dazu auf, selber zum Mikrofon zu greifen: „Hip-Hop ist heute das Ding, Rapper wie Ufo, Kurdo, Shindy, Rin, Capital Bra, Kontra K werden von der Jugend gefeiert. Ihre deutsche Musik wird in unseren sorbischen Clubs gespielt. Deshalb brauchen wir dringend sorbische Rapper.“
Dazu gibt es im Video zwar prätentiöse Protzgesten, die aber eher überzeichnet und selbstironisch wirken. Damit junge Sorb:innen an Sprache und Kultur festhalten, müssen die zu ihrer Lebenswelt passen, glaubt Peter Zieschwauck. Es muss auch nicht immer Rap sein. Musikalisch hat sich die Band bewusst nicht festgelegt. Mal macht sie Rap, mal Pop-Balladen – nur keinen Schlager, der bislang zum Standardrepertoire sorbischer Musik gehörte. Wichtig ist nicht nur der Klang, sondern auch der Look: „Bisher gab es nicht wirklich coole sorbische Musikvideos“, sagt Peter Zieschwauck. Skupina Astronawt gibt es seit gut einem Jahr, im Juli 2020 veröffentlichte die Band ihr erstes Musikvideo. Knapp 50.000 Aufrufe haben ihre Videos auf YouTube bisher. Eine beachtliche Zahl, findet Peters Onkel Matej: „Als wir die Videos auf YouTube gestellt haben, haben wir gemerkt, cool, das kommt an.“ Die Produktionen werden zudem von der Stiftung für das sorbische Volk gefördert, die wiederum auch Landes- und Bundesgelder erhält.
Auch das erstes Konzert von Skupina Astronawt im August 2020 war schnell ausverkauft. Dass die Band durch Corona momentan nicht auftreten kann, ist für den 33-jährigen Matej Zieschwauck nicht so schlimm. Die Verbreitung ihrer Musik auf Social Media sei wichtiger: „Wir wollten das Sorbische ins digitale Zeitalter holen.“ Wer sich interessiere, solle im Internet sehen, dass die Volksgruppe im Jahr 2021 angekommen sei. Im Kern besteht Skupina Astronawt aus vier Leuten: Matej und Peter Zieschwauck, Jurij Hantusch und Oliver Böhm, doch bei den Aufnahmen und Konzerten unterstützen weitere sorbische Musiker die Band. Nur Böhm, der Schlagzeuger, spricht kein Sorbisch. „Ich frage immer nur, worum es in den Liedern geht. Dass ich die Sprache nicht spreche, spielt für mich keine Rolle.“ Damit alle die Lyrics verstehen können, veröffentlicht die Band ihre Songtexte oft in englischer Übersetzung unter den Videos. So können die Lieder nicht nur „in der Oberlausitz am Küchenradio gehört werden“ , sagt Matej Zieschwauck.
Nicht bloß Kirchenlieder
Viele sorbische Familien leben seit mehr als 1.300 Jahren auf einer Art Sprachinsel am äußersten östlichen Rand Deutschlands, in der Lausitz. Hier sind die Straßenschilder zweisprachig, es gibt sorbische Gottesdienste, Radioprogramme und Tageszeitungen sowie bilinguale Kindergärten und Schulen. Lange mussten die Sorb:innen um diese Anerkennung kämpfen. Immer wieder war die Volksgruppe der Willkür Herrschender unterworfen. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialist:innen 1933 verschärfte sich die Situation dramatisch. Sorbische Vereine wurden eingedeutscht oder verboten, sorbische Medien gleichgeschaltet und einflussreiche Sorb:innen in Konzentrationslager gebracht. Das Ziel: Kultur und Sprache ausradieren und so die sorbische Identität auslöschen.
In der DDR wurden die Sorb:innen zwar als Minderheit anerkannt und sollten offiziell geschützt werden. So rief die Regierung in den 50er-Jahren das Motto „Die Lausitz wird zweisprachig“ aus, um die sorbische Kultur nach der Unterdrückung im Nationalsozialismus zu stärken. Doch wenig später änderte sich das Motto zu: „Die Lausitz wird sozialistisch“. In den Schulen wurde die Sprache vernachlässigt. Führende Sorb:innen wurden wegen des Verdachts auf „antistaatliche Aktivitäten“ überwacht. Auch nach der Wende war die sorbische Kultur gefährdet und ist es noch. Seit Jahrzehnten nagen die Braunkohlebagger an den sorbischen Siedlungsgebieten. Über 130 sorbische Dörfer mussten deswegen schon weichen. So wird die Sprachinsel in der Lausitz immer kleiner.
Den meisten Deutschen sind die Sorb:innen dennoch wegen ihrer Traditionen und Bräuche ein Begriff. Das Osterreiten zieht jedes Jahr Tausende Besucher:innen in die Region. Am Ostersonntag reiten die Männer der katholischen Gemeinden in die Nachbardörfer, um singend und betend die Botschaft von Jesu Auferstehung zu verkünden. Aber dass es heute immer noch junge Sorb:innen gibt und die Kultur sich weiterentwickelt, das wissen die wenigsten Deutschen, glaubt Matej Zieschwauck: „Wir wollen zeigen: Sorben können auch mal vor einer Graffitiwand rappen und nicht bloß Kirchenlieder singen.“ Trotzdem geht es Skupina Astronawt nicht darum, Althergebrachtes aufzugeben. Tradition, ja bitte – aber ohne zu viel Staub. Statt einer Goldkette wippt auf Lil Handrijs Brust ein großes Kreuz bei seinen Rapmoves mit. Religion und Sorbentum sind eng miteinander verwoben. Peter Zieschwaucks Rap-Alias Lil Handrij ist inspiriert von Handrij Zejler, der als Begründer der modernen sorbischen Dichtkunst gilt. In den Songtexten geht es mal um sorbische Sagenfiguren wie Krabat, dann wieder um die Schönheit der Landschaft oder um die Liebe.
Nieder- und Obersorbisch
Auch wenn sie Musik mit Mission machen, sind Skupina Astronawt mehr als eine Verjüngungsinitiative für eine Minderheitensprache. Ihre Musik ist Identitätssuche und Neuentdeckung zugleich, neue Impulse sind wichtig. Denn: Niedersorbisch sprechen nur noch ein paar Tausend Menschen, Obersorbisch, der Dialekt der Band, ist zumindest verbreiteter. „Gerade passiert total viel, besonders mit der Musik“, sagt Sänger Jurij Hantusch und freut sich auf das, was kommt. Die Mitglieder von Skupina Astronawt hoffen, dass ihre Geschichte den Beginn einer größeren Bewegung darstellt: „Wir versuchen, den Anstoß zu geben, dass auch andere Leute Videos machen und online stellen“, sagt Hantusch. Im Song „Straight Outta Łužica“ heißt es: „Unser kleines Volk ist in Nöten, wir sind abhängig von jedem Einzelnen, der unsere Kultur weiterentwickelt, damit wir als Sorben eine Zukunft haben.“
Die Band Skupina Astronawt singt und rappt auf Sorbisch, um die vom Aussterben bedrohte Sprache zu erhalten und die sorbische Kultur weiterzuentwickeln.