Im Fokus: Handwerk

Book a Queen: Wie ein queerfeministisches Start-up Handwerk revolutioniert

Für Frauen, nicht-binäre, queere und Transmenschen kann es gefährlich sein, Handwerker ins Haus zu lassen. Charly Machin hat mit dem Start-up Driller Queens eine Alternative geschaffen.

Über das Porzellan auf der Bettdecke wacht eine Heiligen-Kerze mit Harry-Styles-Konterfei. Anne Flint, den Laptop unter den Arm geklemmt und in einer sommerlichen Leinenbluse, hat das Geschirr aus den kaputten Küchenschränken geräumt und auf ihre Matratze gebettet, Kaffee gekocht und einen halben Morgen im Homeoffice eingeplant. Also all das, was man für gewöhnlich macht, wenn man weiß, dass Reparaturen im Haus anstehen und sich Handwerker angekündigt haben. Nur zwei Dinge sind an diesem Septembermorgen anders, als sie die Tür zu ihrer Wohnung in Berlin-Mitte öffnet: Sie fühlt sich bei dem Gedanken wohl, Fremde in ihre eigenen vier Wände zu lassen. Und: Die Handwerker sind Handwerker:innen.

Zuerst kommt Keren Gerlitz herein, eine kleine Frau mit einem beeindruckenden Schimpfwörter-Repertoire in mehreren Sprachen. Sie ist Goldschmiedin in Israel und Köchin in halb Europa gewesen, bevor es sie nach Berlin verschlug. Obwohl sie sich den Knöchel verstaucht hat, klettert sie bald schon flink von Stuhl zu Stuhl, hängt die Schranktüren aus und bohrt neue, saubere Löcher rein. „Scheiße, mir macht diese Arbeit viel mehr Spaß als meine Arbeit als Schmuck-Schmiedin. Früher habe ich immer for free Dinge von Freund:innen repariert. Jetzt werde ich dafür bezahlt“, erzählt sie.

Hinterher kommt Mar Soulier*, blauer Lidstrich und die pinke Handwerkstasche um die Hüfte gekonnt mit Regenbogen-Karabiner gestylt. Soulier war lange im Nahen Osten für die Deutsche Welle Akademie in der Medien-Entwicklungszusammenarbeit tätig. Dann entschied Soulier, dass es an der Zeit war, etwas mit den eigenen Händen zu machen. Neben Arbeiten wie hier zum Beispiel auch auf Filmsets. „Ich habe mein Handwerk unter anderem bei einem queeren Tischler:innen-Kollektiv in der Schokofabrik in Kreuzberg gelernt.“ Gerlitz und Soulier* identifizieren sich beide als queer und arbeiten für die Driller Queens, ein queerfreundliches Start-up, das die Waliserin Charly Machin 2019 in Berlin gegründet hat.

Die beiden Driller Queens helfen sich gegenseitig. Foto: Morgane Llanque

Drückt man auf der bunten Website auf „Book a Queen“, dann kommen die König:innen ins Haus, um all die Arbeiten zu erledigen, auf die man entweder keine Lust hat oder für die man einfach nicht kompetent genug ist: Glühbirnen einschrauben, Wände streichen, Vorhangstangen befestigen. Eine Art Hausmeister:innenservice deluxe. Soulier lacht. „Im Moment machen wir auch jede Menge Catsultations, also zum Beispiel Balkone katzensicher.“

Eine bunte Alternative

Aber wie gründet man ein queerfeministsches Handwerkskollektiv?

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„Indem man Geld braucht“, sagt Gründerin Charly Machin in einem Videocall. „Für mich ist es das Normalste der Welt, Dinge zu reparieren. Meine Mutter war handwerklich 100-mal begabter als mein Vater, von ihr habe ich das alles gelernt.“ Als Machin nach Berlin zog, arbeitete sie als Brand-Designerin bei einem Start-up, das Gehalt war schlecht. Um sich etwas dazuzuverdienen, setzte sie die Facebook-Seite Girl with a Drill auf. Auf ihr bot sie an, mit Bohrer und Werkzeugkasten durch Berlin zu touren, um Dinge zu reparieren. Ohne offizielle handwerkliche Ausbildung, aber mit viel Lebenserfahrung. Der Job machte Machin nicht nur viel mehr Spaß als ihre Stelle, sondern zog auch immer mehr Kundschaft an. Nur durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Bald konnte sie die Aufträge nicht mehr allein bewältigen. „Fast alle Kund:innen sind selbst Frauen, nicht binäre oder queere Personen. Sie fühlen sich mit einer Driller Queen, die ihre Umstände versteht, oft wohler“, sagt Machin.

Werkzeug-Künstlerinnen sind in Deutschland Mangelware: 2022 waren nur 10,8 Prozent aller Mitarbeitenden in Handwerksbetrieben weiblich. Es sind meist die Hausverwaltungen, die Klempner, Maler und Elektriker in die Wohnungen schicken, wenn etwas zu reparieren ist. Mieter:innen müssen sich mit ihnen arrangieren, auch wenn sie sich mit einem männlichen Handwerkstrupp vielleicht nicht wohlfühlen. So beschloss Machin Ende 2019, Driller Queens zu gründen. „Drei Monate später hatten wir Covid und alle wollten ihre Wohnung schöner machen. Also wuchsen wir.“ Heute hat das Unternehmen etwa 20 Mitarbeiter:innen.

Der Unterschied zu gängigen Betrieben ist nicht nur, dass fast alle Handwerker:innen sich als FLINTA** identifizieren. Sie sorgen auch dafür, dass die Reparaturen in einem Safe Space stattfinden, in dem niemand Angst vor Diskriminierung oder gar sexueller Belästigung haben muss. „Bei vielen Handwerkseinsätzen dringt man tief in die privaten Räume der Menschen ein“, sagt Machin. „Badezimmer, Schlafzimmer. Das erfordert viel sensible Kommunikation und Vertrauen.“

Den Wunsch nach so einem Safe Space spürte auch Anne Flint, als sie über ein TikTok-Video auf die Driller Queens stieß. „Ich hatte leider oft unangenehme Erfahrungen mit Handwerkern. In meiner alten WG haben wir immer darauf geachtet, zu zweit zu Hause zu sein, wenn einer kam, weil wir uns als Frauen alle schon mal in so einer Situation unsicher gefühlt hatten“, so Flint. „Bei Driller Queens bin ich entspannt und habe das Gefühl, Fragen stellen zu dürfen, ohne mir gleich einen blöden Spruch anhören zu müssen.“

Flint hat Driller Queens heute gleich doppelt gebucht: einmal, um ihre aus der Wand hängenden Regale wieder flott zu bekommen, und einmal, um im Erdgeschoss ihren Vermietern auszuhelfen – einer Architekturfirma, für die die Driller Queens einen Fernseher, ein Kunstwerk und einen Kalender aufhängen sollen. Für handwerkliche Reparaturen und Installationen verlangen Driller Queens 65 Euro pro Stunde, für Malarbeiten gibt es separate Preise. „Wenn die Kund:innen eine Leiter haben, geben wir Rabatt, weil das oft bedeutet, dass wir nicht mit dem Auto fahren müssen. Wann immer es geht, kommen wir mit dem Rad oder der Bahn, wir wollen so nachhaltig arbeiten wie möglich“, sagt Machin.

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Das Handwerk ist nicht nur Männersache: Jetzt wird angepackt. Foto: Morgane Llanque

Driller Queens: überleben in einer Männerbranche

Es ist 10 Uhr morgens und durch die Fenster von Flints Wohnung in Mitte scheint die Sonne. Keren Gerlitz hilft ihrer Kolleg:in passende Scharniere und Schrauben in einem Beutel voll von klimperndem Metall zu finden. „Du fluchst nicht genug, wenn du mehr fluchst, findest du es immer sofort“, sagt sie. Die beiden teilen ihre Arbeit auf: Während Soulier ein Stockwerk tiefer im Architekturbüro ein riesiges Schwarz-Weiß-Kunstwerk aufhängt, kümmert sich Gerlitz um die Küche. „Dieses Gefühl, nicht sicher zu sein, hat man auch, wenn man als Handwerkerin zu Männern allein nach Hause geht“, erzählt sie, während sie Scharniere austauscht. „In Israel sind mir auf der Arbeit gruselige Sachen passiert, hier zum Glück noch nicht. Man ist stärker in der Gruppe.“ Auch Soulier sieht sich bei Driller Queens gut aufgehoben. „Wenn wir uns bei Kund:innen nicht wohlfühlen, dann brechen wir ab, so einfach ist das.“

Anne Flint stellt schnell noch den Zucker für den Kaffee bereit, dann muss sie los zur Arbeit. Vorher will sie noch eine Frage loswerden: „Werdet ihr von männlichen Kollegen ernst genommen? Ich bin Informatikerin und weiß, was es heißt, in einer Männerbranche zu arbeiten.“ Gerlitz deutet auf ihre Arbeitsuniform, die aus einem ärmellosen Top mit Driller-Queens-Logo und einer Jeans besteht. „Wenn wir so angezogen sind, werden wir meistens schon akzeptiert.“ Auch Machin hat ähnliche Erfahrungen gemacht: „Im Baumarkt werde ich im Sommerkleid nur weggelächelt. Wenn ich meine Kluft anhabe, hören sie mir zu. Ein Journalist sagte mir wiederum bei einem Dreh: Kannst du bitte deinen Nagellack abmachen, das passt nicht zu deinem Job. Aber warum können wir nicht Handwerkerinnen und gleichzeitig feminin sein?“

Als Frau, queere, Trans- oder nicht binäre Person sei es auf der ganzen Welt oft schwierig in der Handwerksbranche. Eine Driller Queen wurde vor ihrer Transition in ihrem australischen Handwerksbetrieb sehr geschätzt, aber danach nur noch gemobbt. Machin: „Sie war so glücklich, bei uns einen Ort zu haben, an dem sie keine Angst haben muss. An dem auch kleine Details wichtig sind, wie zum Beispiel geschlechtsneutral formulierte Arbeitsverträge.“

Keren Gerlitz war schon Goldschmiedin und Köchin, bevor sie Driller Queen geworden ist. Foto: Morgane Llanque

Dürfen heterosexuelle Männer eine Driller Queen werden?

„Absolut“, sagt Machin. „Wer inklusiv arbeiten will, darf niemanden ausschließen. Wir versuchen nicht, eine Alternative zur Handwerksbranche zu sein, wir versuchen, die Standards für alle zu erhöhen. Und das kann man nicht in seiner kleinen Bubble.“ Bisher gibt es nur zwei Männer im Team, „aber sie sind großartig. Und Botschafter dafür, dass natürlich nicht alle männlichen Handwerker Arschlöcher sind.“

Nach Erfahrung der Driller Queens leiden durchaus auch die männlichen Kunden unter Stereotypen. Immer noch wachsen viele mit der Erwartung auf, dass das Handwerks-Einmaleins zu ihrem angeborenen Repertoire gehören müsse. Ein Mann habe doch zu wissen, wie man Haus und Hof instand hält. Machin: „Oft schämen sich meine männlichen Kunden vor mir und entschuldigen sich, dass sie etwas nicht selbst hinbekommen haben. Dabei müssen sie das doch gar nicht, nur weil sie Männer sind.“

Die Driller Queens wollen 2024 in andere deutsche Städte expandieren, zum Beispiel nach Hamburg. Machin will mit der Handwerkskammer zusammenarbeiten, um zukünftig vielleicht auch selbst mal Azubis ausbilden zu können. Völlig egal, welches Geschlecht sie haben.

Am frühen Nachmittag sind die Küchentüren in Anne Flints Wohnung wieder heil, und der Fernseher der Architekt:innen hängt. Kerzen-Harry-Styles lächelt noch immer.

*Mar Soulier lehnt es ab, mit Pronomen bezeichnet zu werden, deshalb wird Soulier in diesem Text immer mit dem Namen benannt.
**Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, Trans- und agender Personen

Foto: Morgane Llanque

Driller Queen Machin: “Können wir nicht Handwerkerinnen und gleichzeitig feminin sein?”

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