Als sich im Indischen Ozean nach einem Erdbeben Todeswellen formen, ist Tauchlehrer Chris Cruz mit einer Gruppe unterwegs. Es ist der 26. Dezember 2004. Delfine tauchen auf, springen um die Boote herum. Cruz nimmt es als Aufforderung, ihnen zu folgen. So entfernt sich die Tauchcrew nicht nur vom Festland, sondern auch von den umliegenden Inseln – und gelangt in Sicherheit. Lebensretter Delfin? Abwegig ist das nicht, Delfine gehören zu den schlausten und empathischsten Tieren der Welt. Längst retten sie auch indirekt. Ein Jahr nach der Katastrophe wurden die Tsunami-Warnsysteme vor Indonesien mit einer neuen Technik ausgestattet, die sich an der Sprache von Delfinen orientiert.
Delfine plaudern gerne. Mal laut, mal still – zumindest für uns Menschen. Denn oft erzeugen Delfine Töne, die wir nicht hören können. Was wir wahrnehmen, liegt im Frequenzbereich von 20 bis circa 20.000 Hertz und klingt für uns wie Klicks, Pfiffe, Türknarren, Grunzen oder Zwitschern. Schallwellen unter 20 Hertz (auch genannt Infraschall) oder über 20.000 Hertz (Ultraschall) kriegen wir nicht mit. Ultraschall kennen wir aus der Medizin, nutzen ihn etwa, um Organe oder Embryos sehen zu können. Ebenso senden und empfangen Delfine Schallwellen, um im trüben Meerwasser durchzublicken. Ihre Töne flitzen durch den Ozean wie eine unsichtbare Berührung, die alles abtastet, was ihr begegnet.
Beute, Freund oder Feind? Der Schall wird von anderen Tieren oder Schiffen reflektiert. Dieses Echo transportiert enorme Details, etwa zur Beschaffenheit und Größe des Gegenübers bis hin zum Skelett und Tempo seines Herzschlags. Holzboot oder Stahlschiff? Orca oder Beluga? Gesund oder in Not? Im Gehirn des Meeressäugers entsteht ein 3D-Bild. Wie lange das Echo unterwegs ist, verrät ihm außerdem, wie viele Meter oder Kilometer etwas entfernt ist. Unglaublich, denn Schall breitet sich unter Wasser zwar gut fünfmal schneller aus als in der Luft, wird aber viel öfter gestört. Die Lösung: Delfine senden ihre Schallimpulse in vielen verschiedenen Frequenzen aus – und das sogar gleichzeitig. Mit dem ständigen Frequenzwechsel lassen sich Störgeräusche kompensieren.
Songs statt Funk
Rudolf Bannasch hat sich diese Strategie zunutze gemacht. 2000 gründete der Biologe EvoLogics, 2005 wurde sein Kommunikationstool „S2C“ erstmals im Ozean installiert, 370 Kilometer vor Indonesien. Das Ziel: Tsunami-Warnungen schneller und sicherer übermitteln. Bis dato wurde Funk eingsetzt, also eine konstante Frequenz. Bannasch: „Das funktionierte akustisch unter Wasser nicht, denn es hallt extrem. Wie am Bahnsteig, wenn sich mehrere Lautsprecher-Durchsagen überlappen und die Reisenden nur noch Bahnhof verstehen.“ Genau hier bewährt sich der Trick der Delfine: Singsang. „Delfine ändern ständig die Tonhöhe, sie zirpen, tschilpen und trällern. Also bauten wir singende Modems.“ Diese werden in bestehende Bodenstationen, die per Sensorik seismische Aktivitäten überwachen, in bis zu sechs Kilometern Tiefe integriert. Messen die Sensoren ein Erdbeben, wie etwa 2014 nahe Japan, kommen EvoLogics’ Modems ins Spiel: Sie übertragen die Daten über verschiedene Frequenzen zu Satelliten-Bojen an der Oberfläche. Ein so stabiles Verfahren, sagt Bannasch, dass es Industriestandard wurde.
Heute kann die Technik noch viel mehr, etwa den Meeresboden vermessen, Segmentschichten durchleuchten oder Objekte unter Wasser registrieren – und steckt in autonomen Unterwasserfahrzeugen. „Unsere Roboter können etwa Seestern-Populationen zählen oder Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg aufspüren.“ Zu Bannaschs Kunden gehören Forschungsinstitute, Offshore-Windparks und Fischzuchtanlagen, Gasunternehmen oder die Polizei. Dank smarter Vernetzung und Künstlicher Intelligenz liefern die Roboter statt großer Datenmengen direkt Informationen, wie zum Beispiel „Hier ist ein Mensch ertrunken“ oder „Vorsicht, ökologisch sensibler Bereich“. Dabei gleiten sie durchs Wasser wie Meerestiere. Ein Modell hat die glatte Form eines Mantarochens und kann dadurch dicht am Meeresboden arbeiten. Ein anderes, pinguinartiges, bewegt sich extra effizient fort, erzählt Bannasch, der als Biologe lange auf Pinguine spezialisiert war und neun Expeditionen in die Antarktis und Arktis leitete.
Bleibt die Frage: Geht all das umweltschonend? Oder trägt die Technik zur Ruhestörung der Meeresbewohner bei, die ohnehin gestresst sind durch lärmende Schiffsmotoren und Offshore-Baustellen? Bannasch: „Weil wir singende Töne einsetzen, kommt es bei den Tieren nicht zu Zellschädigungen. Delfine werden sogar angelockt, zwitschern mit – bis sie irgendwann merken, dass die Geräte nicht in ihrer Sprache antworten.“ Der 71-Jährige wittert hier eine Chance für die Zukunft. „Würden wir die Signale entsprechend anpassen, könnten wir einen Dialog führen – sie verstehen lernen.“ Doch bislang fehlte ihm die Zeit.
Delfine nutzen Echo-Ortung beim Jagen, wie hier im Ostpazifik.