Frau Gellenbeck, Sie haben gerade die ersten 25 Jahre Genossenschaft hinter sich gebracht.
Die taz macht das seit mehr als 25 Jahren, die Genossenschaft wurde 1992 gegründet. Bei der bin ich „erst“ seit 1996 dabei.
Anders als heute lagen damals Genossenschaftsgründungen ja nicht gerade im Trend. Wie kam es dazu?
Diese Gründung war komplett aus der Not geboren. Die taz stand damals, 1991, vor dem Aus, im Spiegel wurde schon unser Ende verkündet.
Weil die Berlinsubventionen wegfielen, die bis zur Wiedervereinigung ein wichtiger Einnahmeposten der taz waren?
Genau. Alle anderen Zeitungen haben in ihre Produkte investiert, damals boomte ja der Zeitungsmarkt, und wir hatten nichts und konnten nichts tun. Das Finanzierungskonzept, das wir mit der Genossenschaft verbanden, kam uns damals nicht besonders visionär vor, wir wollten einfach den Laden erhalten. Also sprachen wir dafür unsere Fans an: die Stammleser*innen, die an dieser linken, alternativen Zeitung hingen. Sie wollten wir stärker ans Unternehmen binden, emotional und finanziell. Heute machen das praktisch alle Medien.
Von einer Spiegel- oder gar Zeit-Genossenschaft ist uns nichts bekannt.
Ich meinte die intensiven Bemühungen um die Stammleser*innen. Daran versucht sich jede*r. Die Zeit beispielsweise kümmert sich auch sehr intensiv um diese Gruppe, und sie macht das sehr gut – trotzdem ist die Zeit in erster Linie ein journalistisches Produkt, und wir sind Familie. Ganz am Anfang unserer Genossenschaftszeit haben wir ein Ziel formuliert: „Aus Kunden Freunde machen“, und dabei bleiben wir auch.
Na ja, so richtig freundlich geht es bei Ihnen nicht immer zu.
Unter Freund*innen verschwinden ja inhaltliche Konflikte nicht einfach so – ganz im Gegenteil, die sind das Salz in der Suppe. Alles glattbürsten, das geht mit unseren Leuten nicht. Die sind dafür viel zu politisch gebildet und aktiv. Wir kennen das ja auch schon länger. Die taz startete in den Siebzigerjahren mit dem Verein „Freunde der alternativen Tageszeitung“, in dem es vom ersten Tag an ungeheuer viel Streit gab. Aber dieser Streit wurde auch immer wieder produktiv und hat das Projekt weitergebracht.
Das Unternehmen taz hat also seine Streitkultur in die Genossenschaft eingebracht.
Bei einigen Punkten war eben klar, dass sie wichtig sein werden – wie eben die Sicherung der redaktionellen Unabhängigkeit. Deshalb passt unser Konstrukt auch gut zum journalistischen Konzept der taz, denn die Journalist*innen sind wirklich frei.
Was sich ja immer erst zeigt, wenn es nicht nur um das geduldige Papier einer Satzung geht, sondern um einen echten Konflikt im echten Leben.
Auch damit kann ich dienen: Wir hatten diesbezüglich einmal einen echten GAU. Im Vorfeld der Bundestagswahl 2013 hatte die taz einen Bericht des Politologen Franz Walter über vermeintlich pädophile Strömungen bei den Grünen veröffentlicht. Innerhalb von 48 Stunden erhielten wir daraufhin 862 Kündigungen von Genossenschaftsmitgliedern, die meinten, die taz spiele damit unmittelbar vor der Wahl der CDU in die Hände. Niemals davor oder danach haben wir ein derart starkes Moment registriert.
Es wurde also Druck aus der Genossenschaft auf die Redaktion ausgeübt.
Dem wir standhalten mussten. Wir haben daraufhin alle Mitglieder angerufen, derer wir habhaft werden konnten, um mit ihnen zu sprechen. Unser wesentliches Argument war: Aus genau diesem Grund seid ihr Mitglieder bei der Genossenschaft geworden – dass kein Lobbyist, keine Partei, keine Millionärin entscheidet, was wir drucken. Sondern allein die Redaktion. Die Unabhängigkeit der Redaktion, das ist der Grund, warum man der taz Geld gibt. Und dieses Argument wirkte: Von den 862, die gekündigt hatten, haben 820 die Kündigung wieder zurückgenommen. Und in der Folge haben viele Mitglieder sogar ihr Kapital aufgestockt.
Einen öffentlichen Streit bei Ihnen konnte man vor zehn Jahren miterleben, als Kai Diekmann, damals Bild-Chefredakteur, …
Kornelia Gellenbeck, Chefin der taz-Genossenschaft:„Jede*r, der oder die sich für Pressefreiheit und journalistische Vielfalt einsetzt, ist willkommen.“