Aktion Eiszeit
Der russische Geophysiker Sergey Zimov und sein Sohn Nikita wollen in Sibirien den Permafrost retten
Mit dem grauen Zopf und dem vor Kälte glühenden Gesicht sieht Sergey Zimov ein wenig aus, wie man sich einen russischen Mystiker an der Schwelle zum 20. Jahrhundert vorstellt. Er blickt in eine Ebene aus Nadelbäumen und Sträuchern, hebt den Kopf und stößt ein langes „hohohoho!“ aus. Die Kamera fährt zurück. Zimov sitzt auf einer runden Baracke, auf deren Dach eine riesige Satellitenschüssel steht.
Sergey Zimov, so zu sehen in einer Arte-Reportage aus dem Jahr 2017, ist Geophysiker. Sein Ziel: den Permafrost retten. Mit seinem Sohn Nikita hat er den Pleistozän-Park gegründet – zwanzig Quadratkilometer am ostsibirischen Fluss Kolyma, wo sie eine Welt erschaffen wollen, wie sie vor mehr als 10.000 Jahren hier existierte. Bis Menschen auftauchten und sich das von Mammuts und Tigern durchstreifte Weideland in eine schweigende Welt aus genügsamen Pflanzen zurückzog.
Auf Social Media zeigen aktuelle Posts Pferde und zottelige Büffel, von den Zimovs im Park angesiedelt, inmitten verschneiter Weite. Eine Interview-Anfrage beantwortet Nikita Zimov: Er ist busy, gerade weit draußen, in zwei Wochen erst zurück in der Zivilisation, dann könne man sprechen.
Was haben große Säugetiere mit dem Permafrost zu tun – gefrorenem Boden, der droht, zu Schlamm zu werden und dabei riesige Mengen Treibhausgase in die Atmosphäre auszuatmen? Denn mit seinem Auftauen erwachen im Permafrost enthaltene Mikroben aus einem jahrtausendelangen Schlaf. Sie beginnen, Pflanzenreste zu fressen, die ebenfalls auftauen. Dabei entstehen Kohlendioxid und Methan.
Der Plan von Nikita und Sergey Zimov: Rentiere, Elche, Moschusochsen sollen den Schnee im Park so dicht trampeln, dass die Kälte im Winter besser in den Boden eindringen kann. Das schützt den Permafrost. Zudem fressen die Tiere die jetzige Vegetation aus Sträuchern und Bäumen so stark ab, dass sich im Sommer wieder Grasland ausbreitet. Das helle, nährstoffreiche Grün böte den Tieren, die derzeit im Park noch zusätzlich gefüttert werden müssen, ausreichend Nahrung und reflektierte zudem die Sonne besser als die braune Tundra – der Boden bliebe kühler.

Die Idee findet weltweit Beachtung: Unter anderem konnten die Zimovs ihr Projekt im Fachmagazin Nature vorstellen, Zeitungen wie National Geographic oder die New York Times berichteten. Torben Windirsch, Permafrostexperte am Alfred-Wegener-Institut in Potsdam, sagte zum Wissenschaftsmagazin
Spektrum, er halte die Theorie der Zimovs für spannend, weil die Pflanzenfresser das Tauen des sibirischen Bodens auf unterschiedliche Weise bremsen könnten.
Einen Tag vor dem Interview die finale Absage. Er werde länger bleiben, schreibt Nikita Zimov. Eine Mail mit Fragen bleibt unbeantwortet. In Studien aber berichten die Zimovs von ihren Messungen: Seit Beginn des Experiments 1996 hätten sich vermehrt Gräser im Park ausgebreitet, der Boden speichere mehr Kohlenstoff, die Bodentemperatur sei gesunken. Doch sind die Zimovs möglicherweise nicht nur unkonventionelle Visionäre – sondern auch ein wenig durchgeknallt? Immerhin würden sie eines Tages gern Mammuts im Park ansiedeln. Andererseits: Ohne ein wenig Verrücktheit wäre ein spendenfinanziertes Projekt wie der Pleistozän-Park kaum machbar. Wie sagt Sergey Zimov in der Doku? „Ich will, dass das Leben hier wieder Einzug hält.“
Bauen, wo die Gletscher schmelzen
Der dänische Architekt Kasper Pielemand konstruiert nachhaltige Gebäude in Grönland
Rund 250 Kilometer nördlich des Polarkreises schmiegt sich ein futuristisches Gebäude in die verschneite Felslandschaft. Stahl, Holz und Glas tragen das gebogene Flachdach. Das Icefjord-Center in Ilulissat, Westgrönland, ist das erste Arktis-Projekt der dänischen Architektin Dorte Mandrup. 2016 erhielt sie den Zuschlag für die Planung, eine völlig neue Aufgabe. „Wenn wir in Kopenhagen bauen, haben wir etwa 95 Prozent des Wissens, das wir brauchen. Bei der Arbeit in Grönland wussten wir gerade mal 5 Prozent“, sagt Kasper Pielemand. Er ist für die Arktis-Projekte verantwortlich.
Die Planung des Icefjord-Centers war für ihn das erste Projekt in der Region. Über Wochen suchten Pielemand und sein Team nach dem besten Design, den richtigen Materialien. Im Sommer 2019 startete der Bau. Sechsmal reiste Pielemand zur Stippvisite nach Grönland. Immer wieder musste das Team seine Pläne an die arktischen Bedingungen anpassen. Auch die Corona-Pandemie erschwerte die Arbeit. Jeder Besuch hieß Quarantäne, die Pielemand mit Dutzenden Spaziergängen durch die Landschaft verbrachte. „Ich habe die großartige Natur erlebt, um die es bei dem Projekt geht.“ Das Icefjord-Center liegt in direkt am Sermeq-Kujalleq-Gletscher, einem der wenigen, durch den das grönländische Inlandeis ins Meer gelangt. Zu dem vielen Schmelzwasser und Schnee kommen starke Winde und extreme Temperaturen. „Unsere Dacheindeckung muss Temperaturen von plus 50 bis minus 40 Grad standhalten“, erklärt Pielemand.

Ergebnis ist ein Gebäude, das an die Flügel einer Schneeeule erinnern soll. Durch die aerodynamische Form fegt der Schnee im Winter sowohl über als auch unter das Gebäude, damit der Eingang nicht zuschneit. Wenn es wärmer wird, fließt das Schmelzwasser unter dem Bau hindurch. Der Eingriff in die Umwelt ist minimal. „Wir haben ein festes Fundament am Ende des Gebäudes, der Rest steht auf Pfeilern.“
Erst sollte der Bau fast ausschließlich aus Holz entstehen. „Aber Temperaturen und Feuchtigkeit haben sich in den letzten 20 Jahren ziemlich dramatisch verändert. Stahl ist besser geeignet und weniger wartungsaufwendig“, sagt Pielemand. 80 Prozent des Stahls sind recycelt und wiederverwertbar. Allerdings gibt es keine lokale Produktion von Stahl, Holz und Glas, weder in Grönland noch anderswo innerhalb des Polarkreises. Für das Icefjord-Center musste alles über Dänemark importiert werden. Das ist teuer und, natürlich, nicht wirklich nachhaltig.
Nachhaltig bauen in der Arktis, geht das überhaupt? „Bauen trägt immer zum Klimawandel bei, egal wie.“ Aber auch soziale Nachhaltigkeit spiele bei Bauprojekten in der Region eine wichtige Rolle. Weil durch den Klimawandel die Jagd als Lebensgrundlage für die lokale Bevölkerung immer schwieriger werde, könnten Bauprojekte behutsam den Tourismus fördern und so die Gesellschaft vor Ort erhalten. Das Icefjord-Center erklärt Besucher:innen zudem in der Ausstellung, wie der Klimawandel die Eisdecke in Grönland immer weiter zerstört – damit sie verstehen, warum es so wichtig ist, sie zu schützen.
Nicht mal zwei Jahre nach Baubeginn eröffnete das Icefjord-Center. Weil es im Sommer kaum dunkel wird, konnte teilweise rund um die Uhr gebaut werden. Zwei weitere Arktis-Projekte der Firma in Norwegen und eines in Kanada sind gestartet. Bauen in der Arktis hat Zukunft, glaubt Pielemand. „Es wird eine wachsende Nachfrage geben und hoffentlich auch den Wunsch, dabei möglichst nachhaltig vorzugehen.“
Der Geophysiker Sergey Zimov (links) und der Architekt Kasper Pielemand (rechts) setzen sich für eine lebenswerte Zukunft in der Arktis ein.