Nachhaltige Festivals

„Heute ist die Umwelt fundamental – für alle“

Der Ticketverkauf läuft, die Festivalsaison beginnt in ein paar Monaten. Etwa 400 Millionen Umsatz macht die Branche im Jahr in Deutschland. Doch der Co2-Ausstoß ist hoch. Welche nachhaltigen Festivals gibt es?

Jeden Sommer, auf den Wiesen und Feldern irgendwo draußen im Land, ist es für Timo Liebergesell wie ein Rausch: Festivalsaison. „Ich stolpere von Highlight zu Highlight“. Beschwingt von der Musik, dem Feeling von Gemeinschaft, Offenheit und neugierig-entspanntem Kennenlernen auf den Festivals der Republik. „Ich habe noch nie Menschen erlebt, die auf andere herabschauen, sondern nur Respekt und Toleranz.“ Das Eintauchen in den Mikrokosmos von Musik und Miteinander ist, findet der 31-jährige Kommunikationsstudent, wie Reisen in die Ferne. „Raus aus dem Alltag, auf zur Entdeckung einer neuen Kultur.“

Der Kurztrip zum Konzertmarathon auf dem Land, zu stillgelegten Tagebauten, Flugplätzen oder Rennstadien ist seit Jahren Trend. Rock am Ring, Splash, Toolwood, Hurricane, Melt!, Lollapalooza, – allein in Deutschland gibt es jährlich hunderte Veranstaltungen. Zu den großen wie der Fusion in Mecklenburg-Vorpommern kommen 80.000 Besucher, die kostenlosen wie Bochum Total locken sogar bis zu 600.000 Fans. Etwa 400 Millionen Umsatz macht die Branche im Jahr.

Bis zu fünfzig Prozent Billigzelte werden zurückgelassen

Doch Festivals sind Co2-Booster. Viele Besucher reisen von weither an, an den oft wenig erschlossenen Festivalstätten muss eine Infrastruktur aufgebaut werden, mit Bühnen, Generatoren, manchmal temporären Straßen. Wasser, Abwasser, Catering, Musiktechnik alles schluckt Energie. Zu schweigen vom Müll, den die Festivaltraveler produzieren. Bis zu fünfzig Prozent lassen sogar ihre Billigzelte auf dem Festivalgelände zurück.

„Wir wollen zeigen, dass es auch anders geht“, sagt Holger Schmidt. Vor zehn Jahren hat er Sounds for Nature gegründet. Der Verein entwickelte einen Leitfaden, an dem sich Festivals orientieren, um umweltfreundlicher zu werden. Später zog Schmidt die Konferenz Green Events auf, um die Debatte über mehr Nachhaltigkeit international in Gang zu bringen. Seitdem hat sich in punkto nachhaltige Festivals einiges getan.

Die größte Umweltbelastung ist die Anreise
Holger Schmidt, Sounds for Nature Foundation

Zum Beispiel beim Müll. So hat das St Gallen Open Air Musikfestival einen Zeltpfand eingerichtet, den Besucher erst bei der Abreise mit Zelt wiederbekommen. Rückgabequote 2019: 92 Prozent. Andere geben Gästen beim Eintritt gegen eine Gebühr Müllsäcke in die Hand, nur gegen einen vollen Sack gibt es sie zurück. „Die größte Umweltbelastung aber ist die Anreise“, so Schmidt. Denn 44 Prozent der Musikfans sind 2019 laut der Studie Going outside 100 bis 300 Kilometer bis zum Festivalgelände unterwegs, die meisten mit dem Auto. Veranstalter organisieren daher inzwischen Busreisen, Carpooling oder ermäßigte Bahntickets. Beim Melt! nahe Dessau können Besucher ihre Emissionen mit einem Green Pass kompensieren, der Umweltbeitrag fließt in Waldschutzprojekte.

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Der zweitgrößte Posten für den Co2-Abdruck ist das Catering, genauer: der Fleischkonsum. Immer noch sind Festivals ein Eldorado für Grillwürstchen-Fans, „ach komm, die drei Tage gönn ich mir was“, den Satz hört Festivalexperte Schmidt oft. Doch zunehmend bieten die Organisatoren vegetarisches Streetfood an, manchmal 100-Prozent bio wie auf der Tollwood in München. Die Fusion oder Way Out West in Göteborg sind sogar konsequent fleischlos. Zudem setzen Betreiber auf Ökostrom, Wasserstoffaggregate statt Dieselgeneratoren oder entwickeln Smart Power Pläne, damit Strom nicht ungenutzt verpufft.

Nachhaltige Festivals: Maßnahmen wie Zeltpfand und Mehrwegbechern

Die grünsten Festivals werden jedes Jahr mit dem Green Operations Award ausgezeichnet. Gewinner 2020: Open Air St. Gallen. Mit Maßnahmen wie Zeltpfand, Mehrwegbechern, Flyerverbot und Trash Heros, die Besucher zum Müllsammeln animieren, sank der Müllberg von 2018 auf 2019 um 30 Prozent. Es gibt nur regionales Fleisch, ein neues Sanitärkonzept reduziert den Wasserverbauch um 90 Prozent. Auf die Anreise per Zug erhalten Traveler 50 Prozent Rabatt, die meisten Parkplätze wurden gestrichen, nur noch 17 Prozent der Besucher kommen mit dem Auto. Die Restemissionen kompensiert St. Gallen mit Investitionen in Klimaschutzprojekte. Das Festival ist das erste klimaneutrale Schweizer Open Air Event.

Gut so, findet Timo Liebergesell. Auf seinen ersten Festivals vor acht Jahren hatte er sich keine großen Gedanken um die Umwelt gemacht. „Heute ist sie fundamental – für alle“. Inzwischen arbeitet Liebergesell mit einer Crew von Freunden selbst für Festivals. Ihre Company Ramschakl entwirft Bühnendekos aus Abfällen und recycelt alte Aufbauten. Benutzt jeden Nagel mehrfach, sprüht nicht mehr mit Lackfarbe, sondern malt mit Kreide. Wenn ein Festival auf Umweltschutz nicht viel gibt, sagt Ramschakl ab. Wie neulich beim Distortion in Kopenhagen. Liebergesell: „Richtig grün werden Festivals wohl nie, aber in der Gemeinschaft lernt man zu hinterfragen und nimmt dieses Bewusstsein nach dem Urlaub mit in den Alltag.“

Nachhaltige Festivals

www.welovegreen.fr
We love Green in Paris gehört zu den nachhaltigsten Events der Musikszene. 80000 Bäume werden gepflanzt, etwa einen für jeden Besucher. Essensreste werden kompostiert, Ökoklos sind Standard. Bis 2025 will das Festival 100 Prozent grün sein.
6.-7. Juli 2020, Paris

www.pohodafestival.sk
Das Musikfestival in der Slowakei hat jüngst auch durch Nachhaltigkeit von sich reden gemacht. Es speist sich aus Solarstrom und bietet günstige Bahnanreisen für Musikfans.
9.-11. Juli 2020, Trencin, Slowakei

BILD: UNSPLASH/JOE GREEN

Musikfestivals wie Glastonbury im Südwesten Englands (im Bild: Arcadia Area) bilden einen eigenen Mikrokosmos. Doch das beschwingte Gemeinschaftsgefühl geht oft auf Kosten der Umwelt.

Anja Dilk

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