Prof. Brözel, warum reisen wir nicht nachhaltig?
Die „Findus“-Studie des Instituts für Tourismusforschung (NIT) gibt einige Anhaltspunkte: Die meisten suchen erst gar nicht nach nachhaltigen Angeboten. Über Jahrzehnte hat uns die Branche beigebracht, nach anderen Kriterien vorzugehen, Preis und Destination. So sortiert sie ihre Produkte, danach richten wir uns. Und es gibt schlicht kaum Alternativen. Versuchen Sie mal nach „nachhaltigen Reisen“ zu suchen – da kommt fast nichts. Zudem ist nachhaltig Reisen immer noch wahnsinnig teuer. Eine Zugfahrt für vier Personen und einen Hund nach Schweden zu buchen kostet richtig viel Geld. Welche Familie kann sich das leisten? Und wir dürfen nicht vergessen: Bei solchen Umfragen geben viele sozial erwünschte Antworten. Wer sagt schon freiwillig, „Umweltschutz, faire Gehälter? Mir doch egal.“?
Was sollte geschehen, damit sich etwas ändert?
Die Branche muss standardisierte Nachhaltigkeitsangebote machen, die dem Verbraucher klare Orientierung bieten. Einheitlich und transparent. Bislang brauchen User ja fast ein Studium, um zu entschlüsseln, wie nachhaltig ein Reisepaket wirklich ist. Man könnte analog zum europäischen Biosiegel einen Kriterienkatalog entwickeln, der ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit abbildet. Zahlt der Anbieter faire Löhne, bezieht er Energie aus erneuerbaren Quellen, sind die Unterkünfte ressourcenschonend gebaut? Man könnte Angebotspakte auf unterschiedlichen Levels schnüren, Anreise per Zug, mit dem Flieger und so weiter. Die Kunden sollten daher Druck machen – indem sie beharrlich immer wieder nach dem Kriterium „Nachhaltigkeit“ oder „CO2-neutrale Anreise“ eine Reise suchen. Die Anbieter tracken jede Suche und werden früher oder später reagieren.
Was, wenn nachhaltiges Reisen nicht Mainstream wird?
Vielleicht kommen Verbote. Wie: Niemand darf dieses Jahr mehr raus aus Deutschland. Oder: Jeder Bürger hat nur xy Flugkilometer pro Jahr zur Verfügung. Mit vielen Freiheiten ist es dann vermutlich bald vorbei. Auf dem Tourismusgipfel 2019 hat Klimaforscher Hans-Joachim Schellenhuber da mit den Schultern gezuckt: „Wenn wir so weiter reisen, werden bald viele Gegenden der Welt eh nicht mehr da sein.“ Es ist schon recht spät, das stimmt, aber die Moralkeule zu schwingen und zu resignieren, bringt uns nicht weiter. Jeder muss bei sich anfangen, und das auch gern in kleinen Schritten, um nicht in Schockstarre zu verfallen. Jeder da, wo er kann. Und darauf darf man auch mal stolz sein. Das gibt die Energie, die wir brauchen um es zu schaffen.
Analog zum europäischen Biosiegel sollte es einen Kriterienkatalog geben, der ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit abbildet, fordert Claudia Brözel, Professorin für Tourismusökonomie und digitale Transformation.