enorm Kolumne Einigeln, Teil 13: Mit den Augen lächeln
„Das Ohr ist stumm, der Mund ist taub; aber das Auge vernimmt und spricht. In ihm spiegelt sich von außen die Welt, von innen der Mensch“, schrieb Goethe. Und auch die Wissenschaft gibt ihm Recht: Der größte Teil menschlicher Kommunikation findet nicht durch unsere Worte statt, sondern durch die sogenannte nonverbale Kommunikation: Das können Körperhaltung und Gesten sein, vor allem aber auch der Ausdruck in Gesicht und Augen.
In Zeiten der Corona-Pandemie sind wir alle plötzlich gezwungen, der nonverbalen Kommunikation besondere Aufmerksamkeit zu schenken: Es herrscht Maskenpflicht, wenn wir in Supermärkte und Läden gehen. Als ich diese Woche also das erste Mal vermummt an der Kasse stand, kam ich mir etwas verloren vor. Der Supermarkt war auf einmal zu einer Versammlung voller anonymer Gestalten ohne Alter und Persönlichkeit geworden. Es hatte etwas Bedrückendes und Kaltes. Auch, wenn manche der Masken um mich herum aus wunderschönen, farbenfrohen Stoffen genäht waren.
Für die meisten Menschen in Deutschland ist es, glaube ich, immer noch ein starkes Warnsignal, wenn sich jemand vermummt. Unser Instinkt will einordnen können, welche Absichten die Menschen um uns herum haben. Sieht man ihre Züge nicht, so alarmiert uns das mangelnde Wissen über sie, man verbindet mit Masken Theater und Täuschung, Verbrecher*innen auf dem Weg zum Banküberfall oder das Gesicht des Zahnarztes, während er im eigenen Mund schreckliche Sachen anrichtet.
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Genau in diesem Moment, als ich so unsicher die Stacheln hängen lies, sah die ebenfalls maskierte Kassiererin mich an, und sagte mit unglaublich freundlicher Stimme: „Guten Tag!“ Ich hörte an ihrer Stimme, und ich sah an den kleinen Falten um ihre Augen, dass sie lächelte, obwohl ich den Rest ihres Gesichtes nicht sehen konnte. Das freute mich so, dass ich ebenfalls lächeln musste und versuchte besonders herzlich zu klingen; Es klang fast künstlich, so übermütig erwiderte ich ihre Begrüßung.
Nach dem Verlassen des Supermarktes fiel mir auf, dass mich draußen insbesondere die nicht verhüllten Menschen anstarrten, als sei ich eine Bedrohung. Ich machte also das Experiment und lächelte erneut, die Maske immer noch auf meinem Gesicht. Und siehe da: Sofort entspannte sich der Herr, der mich so nervös gemustert hatte. Ich werde jetzt fleißig üben, mit den Augen zu lächeln. Es wäre doch schön, wenn das alle täten und sich in dieser seltsamen und schwierigen Zeit gegenseitig mit einem freundlichen Blick aufmuntern.
Unser Igel-Experte hält sich an die Maskenpflicht und lernt jetzt, auch mit verhülltem Gesicht zu lächeln.