Sternekoch Micha Schäfer

„Kochen ist doch immer politisch“

Regional, ökologisch, saisonal: Das Berliner Sterne-Restaurant Nobelhart & Schmutzig geht radikal diesen Weg. Chefkoch Micha Schäfer erklärt, warum der Geschmack dadurch noch besser wird.

Herr Schäfer, wie schmeckt Berlin und Brandenburg?

Nach Kartoffel, Apfel und Zwiebel. Wer’s mag, für den auch nach Blutwurst. Himmel und Erde. Das ist für mich der Geschmack im Umkreis von zwei Stunden Autofahrt. Das habe ich neulich für mein Personal gekocht.

Die Klassiker sind Eisbein und Currywurst.

Und Kebab!

Könnte das auf Ihrer Speisekarte stehen?

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Kebab vielleicht nicht. Aber wir servieren vorneweg ein Ayran-Gericht. Das gehört schon zum Geschmack der Stadt. Jeder, der nach Berlin kommt, hat nachts um vier mal einen Ayran getrunken.

Sie verzichten auf sehr viele Geschmäcker: Pfeffer, Zitrone, Olivenöl, Kaviar, bretonischer Steinbutt…

Für mich ist das kein Verzicht. Das schränkt meine Kreativität nicht ein – im Gegenteil. Innerhalb dieses regionalen Limits kann ich mich viel besser fokussieren auf das optimale Produkt, seinen Geschmack, seine Struktur. Ich setze mich intensiv mit den Produzenten auseinander und mit den Möglichkeiten der regionalen Landwirtschaft. Ich kaufe bei einem Gemüsebauer Kohlrabi, beim zweiten Zwiebeln, wieder ein Landwirt hat die beste Rote Bete. Nur so kann ich dem Gast besondere Qualität bieten. Sonst wäre kochen wahnsinnig langweilig.

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Sie haben Getreide auf der Karte. Können Sie erklären, wie Sie bei Roggen vorgehen?

Wir arbeiten seit ungefähr einem Jahr am Thema Getreide. Es ist viel Feldforschung: Wie reagiert das Getreide, wenn wir es vor der normalen Ernte ernten? Wir haben viele Mühlen in Brandenburg besucht. Wir haben mit den besten Bäckern der Stadt gesprochen und nach Bauern gesucht, die Getreide nicht auf Menge anbauen. Dieser Weg ist zeitintensiv und sehr oft frustrierend.

Warum frustrierend?

Jeder, der nachhaltig Landwirtschaft betreibt, ist frustriert von der Politik, vor allem von der EU Landwirtschaftspolitik. Die Politik möchte die Landwirtschaft möglichst gut kontrollieren. Das bevorzugt Betriebe mit großen Flächen, gleichmäßigen Lebensmittel-Produktionen und möglichst nur einer Sorte. Resultat sind dann globalisierte Märkte und monotone Geschmäcker. Nehmen wir Milchprodukte. Ein EU-Gesetz regelt die Fermentation von Produkten sehr genau. So werden in Deutschland dafür nur gefriergetrocknete Kulturen eingesetzt. Alles schmeckt dann nach denselben Kulturen – nicht nach der Tiefe, die eine Milch haben kann. Da geht so viel mehr!

Was ist denn die bessere Alternative?

Unser Milchbauer David Peacock vom Erdhof Seewalde säuert mit Sauermilch, er pflegt diese alternativen Kulturen. Er hat zehn Kühe, die nur draußen stehen. Die werden gemolken, aus ihrer Milch wird Sauermilch, der Rahm wird abgeschöpft und hier zu Butter geschlagen. Dann reifen wir die Butter. Wir haben mal eine Butter drei Jahre lang reifen lassen, das geht nur mit dieser Produktqualität. Das ist ein ganz anderer, tiefer Geschmack. Einzigartig.

Micha Schäfer, 32, ist seit 2015 Küchenchef des Berliner Sterne-Restaurants Nobelhart & Schmutzig. Zusammen mit Wirt und Sommelier-Größe Billy Wagner verfolgt er einen radikal regionalen Produktansatz. Mit wenigen Ausnahmen – zum Beispiel Salz aus Göttingen – kommen alle Lebensmittel aus Berlin und Brandenburg. Zuvor arbeitete Schäfer im Tandreas in Gießen und in der Villa Merton in Frankfurt/Main. Während des Corona-Lockdowns hat Schäfer eine „Mahlzeit“ entwickelt, die vorgekocht nach Hause geliefert wird, sie muss dann nur noch aufgewärmt werden. Bild: Sara Reuter

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Wie hat sich Ihr Kochen verändert?

Wir mussten unsere Kenntnisse erweitern. Wir haben Seminare besucht zu Säure-Fermentation von Gemüse; zu Einmachen, Einkochen und Einlegen. Also Haltbarmachung, um das ganze Jahr über Lebensmittel verfügbar zu haben. Wir verwenden auch alles vom Tier – jeder hier muss ganze Tiere zerlegen können.

Es gibt immer mehr junge Spitzenköche, die sich auf das Regionale rückbesinnen. Woran liegt das?

Eine Bewegung von Spitzenköchen in meiner Generation hat Lust, noch tiefer in die Produkte und in das Handwerk einzusteigen, weil die Wertvorstellungen der Menschen komplexer geworden sind. Es ging lange Zeit darum, dass die Menschen geflasht werden wollten, wenn sie 200 Euro für ein Zehn-Gänge-Menü ausgegeben haben. Sie wollten Dinge schmecken, die sie noch nie erfahren haben. Dadurch wurden die Teller immer komplexer aufgebaut. Es brauchte immer ein Produkt, eine Kombination, die es so noch nie gab.

Und jetzt spielen andere, nachhaltigere Werte eine Rolle?

Es gibt eine Generation, die das nicht mehr vom Hocker haut. Sie wollen einfach nur sitzen, mit ihrem Freund, ihrer Freundin. Sie wollen in Ruhe richtig gut essen – und einen Wein dazu trinken, der schmeckt. Fertig. Es geht um Entspannung.

Sie verstehen sich als politisches Restaurant. Gibt es wirklich politische Sterneküche?

Ja, jetzt schon. Kochen ist doch immer politisch. Es ist ein wirtschaftliches Statement, wem du dein Geld gibst. Dem Produzenten vor Ort oder dem Großmarkt. Wir haben in dieser Coronazeit von unseren regionalen Erzeugern so viel wie möglich abgenommen, obwohl unser Restaurant dichtmachen musste. Wir haben gesagt: Wir brauchen sie nach dem Lockdown ja auch wieder. Ein direkteres politisches Statement kann man sich nicht vorstellen.

Dieses Interview erschien zuerst im Fokus „Lebensmittel“ in der aktuellen Ausgabe des Magazins.

Foto: Sara Reuter

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Thilo Knott

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