Interview mit dem Fotografen Henrik Spohler

„Unsere Lieferketten sind eine seelenlose Maschinerie“

Der Fotograf Henrik Spohler hat auf seinen Bildern die absurden Dimensionen der modernen Lieferketten eingefangen, von Bilbao bis Shanghai. Seine Bilder sind Warnung und Annäherung zugleich.

Herr Spohler, Containerhäfen, Frachthallen, Flughafenkreuze – was treibt Sie als Fotograf in diese monströsen Hinterhöfe der Globalisierung?

Der Wunsch, ihnen auf den Grund zu gehen. Wie sehen diese Orte aus, an denen unser Alltag zusammengesetzt wird? 1980 haben wir noch von Transport gesprochen, von Logistik oder Lieferketten redete niemand. In den 1990ern veränderte sich die Wirtschaft völlig und mit ihr unser Leben. Waren aus der ganzen Welt wurden omnipräsent. Einen Pantoffel aus China bei Amazon bestellen, einen Tag später liegt er auf der Fußmatte – wie geht so was? Und wie kann ich das in Bilder fassen?

Sie sind dann einfach mal hingefahren.

Na ja, es beginnt mit trockener Recherche. Ich musste erst mal die Netzwerke, die Systeme verstehen. Was wird wie wohin verladen? Vom Flugzeug auf das Schiff auf den Lkw? Wo genau sind die Drehkreuze dieser Maschinerie? Ich habe die großen europäischen Seehäfen besucht, von Hamburg über Rotterdam bis Bilbao, einige zentrale Frachtflughäfen, DHL Leipzig, Lufthansa in Frankfurt am Main, in Köln/Bonn…

… 2015 sind Sie sogar nach Shanghai geflogen …

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… zum größten Hafen der Welt. China ist die Werkbank der Welt, das wollte ich sehen. Das Containerterminal liegt auf einer Insel mitten im ostchinesischen Meer vor der Stadt. Auf der Insel gibt es ein sechs Kilometer langes Containerterminal, an dem unabhängig von Ebbe und Flut verladen werden kann. Allein diese Hafeninsel macht bis heute mehr Containerumsatz als der gesamte Hamburger Hafen.

Wie fotografieren Sie dann?

Nun, ich versuche, aus Dingen eine Erzählung zu schaffen. Ich bin ein sehr sachlicher Fotograf mit einer zurückhaltenden Bildsprache. Dann treffe ich auf die Realität. Wo sind Momente, die erzählen? Ich komponiere meine Bilder in Ruhe und Kontemplation. Oft mache ich nur drei, vier Aufnahmen von einem Ort. Es ist eine Annäherung, ein stetes Wahrnehmen und sich selbst Sensibilisieren.

Zum Beispiel?

Im Verladehafen von VW in Emden habe ich mich lange mit der Anordnung der Autos, der Tätigkeiten vor Ort, dem Licht, dem Winkel des Bildes beschäftigt. Auf dem Grundstück eines Logistikers in Spanien waren es gelbe Lieferautos, die das Motiv plötzlich besonders machten. Ich arbeite wie ein Musiker, der improvisiert. So entsteht aus meinen Erfahrungen und der Begegnung mit der Wirklichkeit eine neue Komposition – irgendwas dazwischen, in between.

Ihre Fotos zeichnen ein Muster, das die Welt umspannt. Ein Muster aus Lieferketten und Logistikwegen.

Ich werde oft gefragt: Wieso kommen bei dir keine Menschen vor? Ich frage zurück: Warum sollten sie vorkommen? Die globalen Lieferketten sind komplett menschenlos funktionierende Welten. Da sitzt vielleicht mal jemand in einem Kran oder Lkw, das wars. Mit meinen Fotos lade ich die Betrachtenden ein, mit dieser gewaltigen, seelenlosen Maschinerie in Kontakt zu treten. Ich möchte mit meinen Fotografien eine Welt konstruieren, die zweierlei zeigt: Einerseits die Faszination dessen, was die Menschheit mit ihrer Ingenieurskunst und ihrem Fortschrittsglauben hervorbringt. Andererseits den Kipppunkt eines Weltwirtschaftssystems, das sehr fragil ist, wie wir gerade sehen. Emotional ist das ohnehin ein Horror. Wer würde je sagen, hurra, da, in dieser Welt, möchte ich leben?

Bild: Henrik Spohler

Ein Containerterminal in Yangshan, China.

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