Im Fokus: „Glokale“ Lieferketten

Mit Sodastrom und Wetterwissen

Weizen wird knapp, Wasser auch. Seltene Mineralien sind hart umkämpft. Wie können wir unabhängigere Lieferketten schaffen und wertvolle Rohstoffe sparen? Wir präsentieren vier nachhaltige Ideen: Vom Traditionskorn Hirse für mehr Nahrungssicherheit bis hin zu Batterien, die aus heimischem Natrium produziert werden.

Wasser: Der Regenflüsterer

Ohne Wasser geht gar nichts. Die lebensnotwendige Ressource ist Spekulationsobjekt und in trockenen Regionen hart umkämpft. Vor allem in vielen Regionen des Globalen Südens führt der weniger und unzuverlässiger werdende Regen schnell zu lebensbedrohlichen Lagen. Zahlreiche Menschen dort bauen Obst, Gemüse und Getreide an, um ihre Familie zu ernähren. Der Zugang zu Grundwasser ist oft schwierig, das Flusswasser meist zu schmutzig. In Deutschland setzen Landwirtschaftsbetriebe inzwischen auf spezielle Wetterdienste, die ihnen ziemlich genau sagen, wann es regnet und wie der Sommer basierend auf Klimadaten wahrscheinlich ausfällt. Doch Menschen im Globalen Süden haben auf solche Daten meist keinen Zugriff, oder es gibt sie schlichtweg nicht.

Dieses Problem will Harald Kunstmann angehen. Dabei macht sich der stellvertretende Leiter des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ein Problem von Mobilfunkanbietern zunutze: „Regen dämpft das Mobilfunksignal, also den Handyempfang“, erklärt er, „schon kleine Schauer sind für Telekommunikationsanbieter eine große Herausforderung.“

Kunstmann und sein Team haben ein Programm entwickelt, das aus den sogenannten Dämpfungsdaten errechnet, wie viel Regen wo gefallen ist. Beobachtet man diese Daten über einen längeren Zeitraum, lässt sich auswerten, wie sich das Klima verändert – und das ganz ohne neue Forschungseinrichtungen. „Wir arbeiten mit Daten, die Mobilfunkbetreibern ohnehin vorliegen, und werten sie gezielt aus“, sagt Kunstmann. Theoretisch kann diese Methode überall angewandt werden, wo es Mobilfunk gibt. Also auch im Globalen Süden.

Zurzeit testen Kunstmann & Co die Software in Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos. Die Menschen in dem westafrikanischen Land sind stark abhängig von der Landwirtschaft. Früher konnten sie sich auf die Regenzeit verlassen. Heute kommt diese später und ist kürzer, erzählt Kunstmann: „Wenn wir unser System im ganzen Land etablieren können, wissen die Landwirt:innen viel genauer, wann etwa die Regenzeit beginnt, wie sie ihre Felder bestellen müssen und wann ein guter Erntezeitpunkt ist.“

Getreide: Die Hirse kehrt zurück

Seit Russland die Ukraine angreift, schießen die Preise für Weizen durch die Decke; beide Staaten gehören zu den größten Produzenten der Welt. Ein Problem ist das insbesondere in Afrika. Im Norden des Kontinents wird traditionell viel Weizen gegessen; in anderen Ländern haben günstige Importe aus Europa über Jahrzehnte das Traditionskorn Hirse von den Tellern der Menschen verdrängt. Besonders abhängig von Importen sind nach Angaben der Entwicklungsorganisation ONE Djibuti, Eritrea, Somalia und der Sudan. Dort wird zwar weniger Weizen verzehrt als in manchen Ländern Nordafrikas. Doch er kommt fast ausschließlich aus Russland und der Ukraine.

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Um Engpässe zu umgehen und hohe Preise zu verhindern, könnten Produzent:innen bald wieder vermehrt auf traditionelle Getreidesorten setzen. Hirse & Co wachsen auf dem afrikanischen Kontinent schnell, sind resistent gegen Schädlingsbefall und harte klimatische Bedingungen. Und Kleinbäuer:innen können sie selbst anbauen. Organisationen wie Brot für die Welt empfehlen schon seit Langem, die Abhängigkeit von den drei Sattmachern Weizen, Mais und Reis, und damit auch von deren Importeuren, zu reduzieren.

„Wir können die Strukturen nicht von heute auf morgen verändern“, sagt Francisco Marí, Referent für Welternährung, Agrarhandel und Meerespolitik bei dem evangelischen Hilfswerk. „Doch die Grundlagen sind vorhanden – und die müssen wir ausweiten.“ Bereits heute sind kleinbäuerliche Strukturen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Etwa ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts Afrikas geht auf diese zurück. Das Saatgut, das es braucht, wird dabei häufig auf lokalen Märkten angeboten. Ernährungs-Experte Marí schlägt vor, den Handel damit künftig innerhalb größerer Regionen zu stärken – um damit schneller für Alternativen zu Weizen zu sorgen.

Nachhaltige Ressourcen: Batterien aus Soda

Wir alle haben Lithium zu Hause, im Smartphone-Akku, Laptop oder in der Fernbedienung. Auch für die Verkehrswende sind Batterien entscheidend – weswegen der Rohstoff vor allem in der Autoindustrie äußerst nachgefragt ist. Stimmt die Prognose des Informationsdienstleisters Benchmark Minerals, wird 2028 weltweit fünfmal so viel Lithium benötigt wie 2018, mehr als 1,5 Millionen Tonnen. Mit Kobalt und Nickel braucht es für Lithium-Ionen-Batterien außerdem noch zwei weitere kritische Rohstoffe. Um den wachsenden Bedarf zu stillen, werden sie importiert, vor allem aus China. Nachhaltig ist weder der Abbau noch das Verschiffen der Rohstoffe.

Doch es gibt Alternativen. Schon länger gehandelt werden Lithium-Eisenphosphat-Batterien, die ohne Kobalt auskommen. Ford und Tesla verbauen sie bereits, auch in Elektrobussen werden sie eingesetzt. Was bleibt, ist das Lithium-Problem: „Das liegt daran, dass bisher immer im Fokus stand, wie man die leistungsstärksten Batterien herstellt“, sagt der Materialwissenschaftler Philipp Adelhelm von der Humboldt-Universität zu Berlin. „Um die beste Performance zu erreichen, kommt man um Lithium nicht herum.“

Recht neu ist das Forschungsziel: Wie können wir Batterien in puncto Nachhaltigkeit und Lieferkettenstabilität optimieren? Eine Lösung sind Natrium-Ionen-Batterien. Sie sind zwar nicht ganz so leistungsstark, ihre Vorteile jedoch bestechend: Natriumcarbonat kommt weltweit in Hülle und Fülle vor und ist damit günstig. Zudem ähnelt die Herstellung der neuen Batterieart der des Lithium-Ionen-Modells, sodass die selben Fabriken und Infrastrukturen genutzt werden können. Und was ist mit der Performance? „Bei Premiumfahrzeugen mit langer Reichweite hat die Lithium-Ionen-Batterie die Nase vorn“, sagt Adelhelm, „aber für kleinere Elektrofahrzeuge ist die neue Batteriegeneration ausreichend.“ In China produziert der Batteriehersteller CATL bereits Auto-Akkus ohne Lithium und Kobalt.

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In Europa hat sich noch niemand auf die Produktion von Natrium-Ionen-Akkus spezialisiert. „Es wurde abgewartet, ob sie tatsächlich für die Praxis taugen“, schätzt Adelhelm. Da die chinesische Konkurrenz das inzwischen bewiesen hat, dürfte der Produktion eigentlich nichts mehr im Wege stehen.

Seltene Mineralien: Der Zauber des Kreislaufs

Erst ein Jahr alt ist das Münchner Start-up Tozero, und schon eine Erfolgsgeschichte. Die Gründerinnen Sarah Fleischer und Ksenija Milicevic Neumann haben sich dem Recycling von Batterien verschrieben. Mit ihrer innovativen Anlage können sie nicht nur Lithium, sondern auch andere wertvolle Materialien wie Nickel, Kobalt und Graphit aus entsorgten Energiespeichern zurückgewinnen. Auch das Aachener Start-up Cylib hat sich des Themas angenommen.

Dass die Ambitionen zunehmen, ist kein Zufall. Ab dem kommenden Jahr gelten in der Europäischen Union für die in Batterien verbauten Elemente Recycling-Quoten. Bislang beschränkten sich Unternehmen darauf, nur besonders teure Rohstoffe wiederzuverwerten, etwa Kobalt und Kupfer. „Lithium in den Kreislauf zu überführen, gilt als kompliziert. Weil die Engpässe früher überschaubar waren, bestand nur wenig Interesse daran“, sagt Christin Stallmeister vom Institut für Metallurgische Prozesstechnik und Metallrecycling der RWTH Aachen.

Mangel, Lieferkettenprobleme und die verschärfte Regulierung sorgen nicht nur für neue Start-ups. Auch große Player springen auf den Batterie-Recycling-Zug auf. Der Chemieriese BASF baut eine entsprechende Anlage, der Kupferproduzent Aurubis hat ein Pilotprojekt gestartet. „Zu 100 Prozent werden wir die Inhaltsstoffe von Batterien nie in den Kreislauf überführen können“, sagt Stallmeister. „Aber der Ehrgeiz ist da, technologisch in ein paar Jahren auf mehr als 80 Prozent zu kommen.“

Um Engpässe zu umschiffen, kommt es jedoch nicht nur aufs Recycling an. Forschende tüfteln auch daran, Batterien durch Reparieren länger am Laufen zu halten. Und auch hier gibt es Erfolge. Statt Lithium-Akkus für Elektrofahrräder, Roller und Autos auszurangieren, verschafft das 2019 gegründete Unternehmen Nowos ihnen bereits eine bis zu doppelt so lange Laufzeit. Im vergangenen Jahr konnte das niederländische Start-up – nach eigenen Angaben – von knapp 30.000 Batterien 92 Prozent wieder nutzbar machen.

Foto: Unsplash / danilo.alvesd

Die meisten Batterien enthalten Lithium, Kobalt und andere kritische Rohstoffe. Doch langsam kommen Alternativen auf den Markt.

Jennifer Garic
Marie Welling
Anne Hünninghaus

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