Gastbeitrag zum Future Policy Award

Polit-Oscar gegen Gift-Chemie

Der Future Policy Award zeichnet die besten Maßnahmen zum Schutz vor gefährlichen Chemikalien weltweit aus.

Duschgel, Wandfarbe, Kinderspielzeug – Industriechemikalien stecken in fast allen Gegenständen unseres Alltags. Etwa 40.000 sind auf dem Markt, jedes Jahr kommen Hunderte dazu. Viele von ihnen wurden nie auf ihre Sicherheit für Mensch und Umwelt getestet. Auch in Europa sind wir trotz guter Gesetzgebung schädlicher Chemie ausgesetzt, etwa durch Insektizide in den Gärten oder Mikroplastik. Sind diese Substanzen einmal in die Umwelt gelangt, können sie dauerhaft schwere Schäden anrichten. Weltweit werden bei den meisten Neugeborenen schädliche Stoffe nachgewiesen, denen die Mutter während der Schwangerschaft ausgesetzt war. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation sind im Jahr 2016 mehr als 1,6 Millionen Menschen direkt oder indirekt durch gefährliche Chemikalien gestorben.

Die gute Nachricht: Es gibt bereits viele politische Lösungen, allem voran natürlich Gesetze, die uns vor den Auswirkungen gefährlicher Chemikalien schützen. Der Future Policy Award der Hamburger Stiftung World Future Council zeichnet die besten Gesetze in einem ausgewählten Bereich aus. Während in vergangenen Jahren Biodiversität, der Schutz der Meere oder Kinderrechte im Fokus standen, befasst sich der Award 2021 mit gefährlichen Chemikalien.

Miriam Petersen

Miriam Petersen gehört seit 2017 zur Hamburger Stiftung World Future Council. Die NGO macht weltweite Innovationen in den Bereichen Klima, Kinderrechte, nachhaltige Ökosysteme und Frieden bekannt und zeichnet einmal im Jahr Gesetze und Maßnahmen mit dem Future Policy Award (FPA) aus. 66 Gesetze und Praxisbeispiele haben den FPA bisher erhalten.

55 Gesetze und Politikinstrumente – also Verordnungen, Richtlinien, Aktionspläne oder Programme – aus 36 Ländern wurden für den Polit-Oskar nominiert. Die Gesetze sind in der Regel bereits einige Jahre in Kraft – denn erst über einen längeren Zeitraum wird ihre Wirksamkeit sichtbar. Fünf Gewinner wurden ausgezeichnet: Gesetze aus Schweden und Kirgisistan erhielten Gold, Sonderpreise gingen an Kolumbien, die Philippinen und Sri Lanka.

Stockholm: Rote Liste für gefährliche Chemie – Die schwedische Hauptstadt zum Beispiel hat 2012 als Teil ihres Umweltprogramms zwei „Ausstiegslisten“ für gefährliche Stoffe herausgegeben. Diese Listen sammeln nicht nur, welche Chemikalien in chemischen Produkten verwendet werden, sondern geben auch einen Überblick über Substanzen in Artikeln im Gesundheitswesen, in der IT oder in Textilien. Die Transparenz macht Unternehmen Druck. Mit Erfolg: Seit 2012 ist die Zahl der gelisteten Stoffe im Gesundheitssektor um 90 Prozent zurückgegangen.

Die Stadt prüft auch Alltagsgegenstände, die schon länger im Umlauf sind. So wurde Kunststoffspielzeug für Vorschulen untersucht. Resultat: 90 Prozent der Spielzeuge enthielten organschädigende Phthalate. Eine Spielzeugeidechse bestand zu 42 Prozent aus diesen Stoffen. Die Spielzeuge wurden durch sichere Alternativen ersetzt.

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Philippinen: Endlich bleisichere Farben – Laut UN-Schätzung gehen 743.000 Todesfälle und Fälle von geistiger Behinderung bei Kindern auf Bleibelastung zurück. Mit der Chemischen Kontrollverordnung für Blei und Bleiverbindungen (2013-14) waren die Philippinen das erste südostasiatische Land, das eine Verordnung für bleisichere Farben umsetzte. Die Verordnung will mehr öffentliches Bewusstsein für die Gefahr durch Bleibelastung schaffen und sichere Alternativen bereitstellen. Seitdem wurde der Bleigehalt in allen Farben unter den von der UN empfohlenen Maximalgrenzwert von 90 Teilchen pro Million reduziert;
dies schließt auch Industriefarben mit ein, die im Durchschnitt eine zehnfach höhere Bleikonzentration enthalten.

Kolumbien: Medikamente sicher entsorgen – Die Zulassung von Medikamenten wird in den meisten Ländern streng reguliert. Nicht so gut bestellt ist es um die sachgemäße Entsorgung von Medikamenten. Oft werden abgelaufene Medikamente die Toilette hinuntergespült, auch durch unsere Ausscheidungen gelangen sie in die Umwelt – und richten Schaden an. In deutschen Gewässern etwa konnten Diabetes-Medikamente, Schmerzmittel oder die „Anti-Baby-Pille“ nachgewiesen werden. Sie reduzieren die Fruchtbarkeit von Fischen oder schädigen ihre Organe.

Kolumbien hat 2009 als erstes Land in Lateinamerika die Pflicht zur sicheren Medikamentenentsorgung eingeführt. Fast 2.600 Rücknahmestellen wurden eingerichtet, sie erreichen 70 Prozent der Bevölkerung. Heute kennen 78 Prozent der Kolumbianer:innen das Rückgabeprogramm. An den Rücknahmestellen werden Medikamente gesammelt und entsorgt. Arzneimittelhersteller und Importeure sind für die fachgerechte Entsorgung verantwortlich. Aber auch Apotheken, Drogerien und Gesundheitszentren sind in das Programm involviert. Sie informieren zum Beispiel Kund:innen über die Umwelt- und Gesundheitsrisiken von falscher Medikamenteneinnahme und -entsorgung.

Manche der Maßnahmen und Gesetze, die mit dem Future Policy Award ausgezeichnet wurden, haben bereits Schule gemacht: Die Region Stockholm unterstützt die schwedischen Städte Göteborg und Uppsala beim Aufbau ähnlicher Programme. Und die Beteiligung vieler Interessengruppen an der philippinischen Blei-Kontrollverordnung inspirierte die Macher:innen des UN-Umweltprogramms, einen ähnlichen Passus in ihr Regulierungsgesetz aufzunehmen. Um Mensch und Umwelt dauerhaft vor den Auswirkungen von gefährlichen Chemikalien zu schützen, ist aber noch viel zu tun. Die Gewinner der Polit-Oscars zeigen, wie der Weg dorthin aussehen kann.

Weiterdenken

Future Policy Award 2021: Hier gibt es Einblick in die Arbeit der Gewinner
Webinar-Serie „Forward Thinkers“: Befasst sich mit den Auswirkungen gefährlicher Chemikalien auf die Gesundheit von Kindern
UN-Bericht „Global Chemicals Outlook“: Informiert über die Rolle des Chemikalien-Managements für nachhaltige Entwicklung

Weltweit gelangen Stoffe wie Pestizide oder Mikroplastik in die Umwelt. Gute Gesetzgebung kann uns vor den Auswirkungen der gefährlichen Chemikalien schützen. Der Future Policy Award zeichnet die besten Maßnahmen aus.

Gastbeitrag von Miriam Petersen

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