Kenia nutzt Energie: Erdwärme gegen Erderwärmung

Kenia nutzt die Energie der Erdwärme und gilt als Vorreiter bei erneuerbaren Energien, von Geothermie bis Windkraft. Doch auch das hat Schattenseiten

Zwischen den grünen Hügeln steigen Dampfschwaden auf. An manchen Stellen sind es wattige Rauchwolken, an anderen ist es ein fast unsichtbarer Dunst. Das Great Rift Valley, das Tal der Erdspalten in Kenia, ist ein vulkanisches Gebiet, unterirdisch brodelt die Erdwärme.

Die Energie entweicht nicht einfach so an die Oberfläche. Sie wird mithilfe von Rohren und Generatoren aufgenommen und umgewandelt. Anna Mwangi ist Geophysikerin bei KenGen, der kenianischen Behörde für Energiegewinnung.

Heute führt sie über das Gelände des Geothermiekraftwerks Olkaria: „Diese beigen Rohre stechen etwas aus den grünen Büschen heraus. Als wir das erste Kraftwerk gebaut haben, war es hier eher steinig. Wir haben diese Farbe gewählt, damit es sich besser in die Landschaft einfügt“, sagt Mwangi. „Dann wuchsen mehr Pflanzen, und wir haben grüne Rohre aufgebaut. Mittlerweile wählen wir ein geflecktes Armeegrün. Dort hinten ist das Kraftwerk Olkaria V. Die Rohre sind kaum zu sehen.“

Olkaria ist das größte Geothermiekraftwerk in Kenia. Derzeit produzieren hier fünf Kraftwerke Strom aus den heißen Dämpfen der Erde. 28 Prozent des Stroms im Land wurde 2022 nach Angaben der Kreditanstalt für Wiederaufbau mit Geothermie erzeugt. Mittlerweile ist sie die größte erneuerbare Energiequelle im Land – aber auch Wasserkraftwerke, in geringerem Umfang Solar-, Wind- und Bioenergie elektrisieren Kenia.

Präsident William Ruto, der sich gerne als Klimapräsident darstellt, spricht von mehr als 90 Prozent grünem Strom. Expert:innen wie der Ökonom Ken Gichonga und Florence Gichoya vom Dachverband für den Zugang zu sauberer Energie (ACCESS) halten eher 70 bis 85 Prozent für realistisch. In Deutschland liegt der Anteil laut Umweltbundesamt aktuell bei knapp 52 Prozent.

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Kenia schreitet bei erneuerbaren Energien voran, bei der Energieproduktion durch Geothermie belegt es weltweit den sechsten Rang. Ein wenig ist das nach Einschätzung des Wirtschaftsgeografen Chigozie Nweke-Eze auch Zufall: Energie aus Sonne, Wasser und Erdwärme ist in dem Land schlicht in rauen Mengen vorhanden.

Olkaria ist das größte Geothermiekraftwerk in Kenia, Foto: IMAGO / Joerg Boethling

„Seit etwa 15 Jahren nutzt die kenianische Regierung dieses Potenzial auch konsequent“, so Newke-Eze. „Sie vereinfacht zum Beispiel internationale Investitionen in erneuerbare Energien und erhebt weniger Steuern auf grünen Strom.“ Dennoch gibt es Probleme. Die Kraftwerke brauchen Platz, und Menschen können dort nicht mehr leben.

Für die Geothermie in Olkaria mussten 2014 vier Maasai-Dörfer mit etwa 1.200 Bewohner:innen weichen. Die staatliche Energieproduktionsbehörde KenGen hat ihnen ein neues Dorf gebaut, mit Schule und Häusern aus Backstein, betrieben mit grünem Strom. Aber das Vieh grast jetzt so weit weg, dass sich die Dorfbewohner:innen nicht mehr täglich darum kümmern können.

„Seit 15 Jahren erhebt Kenia weniger Steuern auf grüne Energie“
Chigozie Newke-Eze, Wirtschaftsgeograf

Der 21-jährige Wilson Moseka ist einer von ihnen. Er sagt, dass bei der Umsiedlung insbesondere die jungen Menschen nicht berücksichtigt wurden: „Früher hatten wir als Gemeinschaft viel mehr Land zur Verfügung. Zurzeit lebe ich noch bei meinen Eltern“, so Moseka. „Wenn ich heiraten und eine eigene Familie gründen will, gibt es neben ihnen keinen Platz dafür. Ich muss weit wegziehen, um mir ein eigenes Haus zu bauen.“

Wilson hofft, dass ein neuer Gesetzesentwurf seine Gemeinschaft in Zukunft besser entschädigt. „Dann bekämen wir einen Teil der Einkünfte aus der Geothermie. Es ist richtig, wenn wir davon profitieren, das Millionen-Projekt ist auf unserem Land entstanden.“

Im Kraftwerk führt Sarah Gichonge, Ingenieurin bei KenGen, von den dampfenden Hügeln ins Innere. In einer großen Halle transportieren dicke Rohre den Dampf der Erdwärme zu den Generatoren, die hinter bunten Metallkästen versteckt sind und den Dampf in elektrische Energie umwandeln. Im oberen Teil der Halle surren und piepen Bildschirme. Hier messen die Mitarbeitenden Tag und Nacht, wie viel Energie gerade produziert und verteilt wird.

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83,9 Megawatt steht auf dem Screen, so viel erzeugt gerade ein Teil von Olkaria V. Alle Kraftwerke von Olkaria zusammen können bis zu 985 Megawatt produzieren, zwei zusätzliche sind in Planung. Das gesamte Energiepotenzial in Kenia aus Geothermie wird auf 10.000 Megawatt geschätzt, fast dreimal so viel, wie das Land an Energie produziert.

„Aber die Regierung bringt den Menschen nicht bei, wie sie die Energie produktiv nutzen können, zum Beispiel um ihre Felder mithilfe von Pumpen besser zu bewässern“, kritisiert Florence Gichoya von ACCESS. „Deswegen wird sie nicht alle Energie los, die sie produziert.“

Außerdem war 2021 fast ein Viertel der Bevölkerung nach Angaben der Weltbank noch nicht ans Stromnetz angebunden. Die Menschen kochen weiter mit Kohle oder Gas und laden bestenfalls ihre Handys mit eigenen, kleinen Solarmodulen auf dem Dach auf. Ein Teil der erneuerbaren Energie verpufft also ungenutzt – und der Nutzen für die Bevölkerung aus dem Boom der Erneuerbaren ist gering.

Um das zu ändern, fließen auch aus der deutschen Entwicklungszusammenarbeit Gelder in den kenianischen Energiesektor. Im Februar 2023 flossen 45 Millionen Euro in leistungsstärkere Turbinen in den Geothermie-Anlagen Olkaria I und IV. Kenia habe sich international als klimafreundlicher Energieproduzent einen Namen gemacht, so der Wissenschaftler Nweke-Eze: „Kenia braucht eine gute Energieversorgung für seine wirtschaftliche Entwicklung. Deutschland und internationale Entwicklungsinstitutionen brauchen einen guten Ruf, und da kommt es gelegen, in erneuerbare Energien investieren zu können.“

Kenias grüne Kraft: Windräder in Ngong Hills bei Nairobi, Geothermie im Kraftwerk Olkaria IV, Foto: IMAGO / Joerg Boethling

Trotzdem setzt Präsident Ruto auch auf Atomkraft, er will zweigleisig fahren. Kilifi County an der Atlantikküste, ein Tourismus-Hotspot mit Delfinen und Mangrovenwäldern, ist als Standort im Gespräch. Bei Umweltaktivist:innen stößt das auf Unverständnis. Phyllis Omido, Gewinnerin des „Alternativen Nobelpreises“ Right Livelihood Award, begleitet nun die Bewohner:innen aus den Dörfern der Region zu Gesprächen mit der Regierung: „Wir denken nicht, dass es Atomkraft braucht, um die Klimakrise zu bekämpfen. Wir haben das Potenzial von Wind, Geothermie und Sonne längst noch nicht ausgeschöpft.“

„Wir haben das Potenzial von Wind, Geothermie und Sonne im Land längst noch nicht ausgeschöpft“
Phyllis Omido, Umweltaktivistin

Schneller als ursprünglich geplant will Kenia die Energieproduktion bis 2030 auf 100 Prozent erneuerbare Quellen hochfahren. Diese Energie will es primär im eigenen Land nutzen. Aber die Erfahrungen mit der Energie aus dem Erdreich exportiert Kenia bereits: Die Ingenieur:innen und Geophysiker:innen von KenGen begleiten zurzeit geothermische Bohrungen in Äthiopien und Djibouti.

Auch dort gibt es vielversprechende geothermische Quellen, aber außer einem kleinen Kraftwerk in Äthiopien ist Kenia das einzige Land, das diese Energie tatsächlich nutzt. Die Geophysikerin Anna Mwangi von KenGen ist sich sicher: In wenigen Jahren wird ihr Land die USA und die anderen Industrieländer überholen – und Kenia die Nummer eins der Erdwärme sein.

Foto: IMAGO / photothek / Joerg Boethling

Kenia ist Vorreiter in erneuerbaren Energien. Trotzdem waren 2021 fast ein Viertel der Bevölkerung nach Angaben der Weltbank noch nicht ans Stromnetz angebunden.

Antonia Vangelista

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