Synthetische Spinnenseide

Eine glänzende Idee

Für ein Kilogramm Rohseide werden etwa 4000 Kokons des Maulbeerspinners benötigt. Die Raupen werden getötet. Doch mittlerweile gibt es sehr gute, synthetische Alternativen – dank  innovativer Unternehmen aus Japan und aus München: Spiber und AMSilk.

Sie sind sehr fein und reißfest – und sie glänzen. Seidenfasern verfügen über besondere Eigenschaften. Der Stoff gilt seit Jahrtausenden als edel, besonders wertig. Gewonnen werden die Fasern aus den Kokons der Raupe des Seidenspinners. Ein Kokon besteht nur aus einer Faser. Damit die Insekten vor dem Schlüpfen die wertvolle Hülle nicht zerbeißen, werden sie mit heißem Wasser oder Wasserdampf getötet. Wegen der Methode als auch der systematischen Überzüchtung steht die Industrie in der Kritik. Für ein Kilogramm Rohseide werden etwa 4000 Kokons benötigt. Die gute Nachricht ist: Es gibt inzwischen zahlreiche vegane und ökofaire Alternativen.

Das japanische Start-up Spiber etwa fertigt Textilfasern aus künstlicher Spinnenseide, und auch dem süddeutschen Unternehmen AMSilk ist es gelungen, gemeinsam mit Materialforschern aus Bayreuth und der Technischen Universität München Bakterien so zu manipulieren, dass sich Spinnenseidenproteine biotechnologisch herstellen lassen.

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Vom Luxusgut zum Massenprodukt

Aber zurück zum Ausgangsstoff: Bei Seide handelt es sich um eine Endlosfaser. In der Natur ist diese Eigenschaft einzigartig, bei künstlichen Textilfasern wiederum Standard. Seidenfasern bestehen aus Proteinen, genauer: aus langen Ketten der Eiweißmolekühle Fibroin und Sericin. Die besondere Anordnung der Makromoleküle sorgt für Lichtreflexionen und damit auch den berühmten Glanz der Faser. Industriell populärster und en masse gezüchteter Faser-Produzent ist der Maulbeer- oder Seidenspinner.

Die Ursprünge der Herstellung in China reichen wohl bis ins dritte Jahrtausend vor Christus und früher zurück. In der Antike gelangte der Stoff über sich etablierende Handelswege nach Europa – und gab der Tausende Kilometer langen Route seinen populären Namen: die Seidenstraße. Die Beliebtheit des Stoffes ist bis heute ungebrochen. Deswegen werden immer mehr Seidenspinner weltweit – vor allem in China, Japan und Indien – auf riesigen Farmen gezüchtet und lebend getötet, um der hohen Nachfrage gerecht zu werden. Aus dem einstigen Luxusgut ist ein Massenprodukt geworden: Weltweit werden jährlich 609.332 Tonnen Seide produziert. China ist mit 403.021 Tonnen jährlich der größte Seidenproduzent.

Arbeiter:innen in einer Seidenfabrik in der Provinz Jiangsu, Ost-China.

Synthetische Spinnenseide

Seide ist ein wahres Multitalent: Neben den bereits genannten Eigenschaften ist sie, ob ihrer Struktur, sehr hautverträglich, atmungsaktiv, temperaturregulierend, weitgehend knitterresistent und erzielt hochwertige Farbergebnisse. Mit der synthetischen Spinnenseide scheint es aber mittlerweile eine ökofaire Alternative, die der natürlichen Seide in nichts nachsteht.

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Im Gegenteil, dem 2008 als Spin-off der Technischen Universität München, gegründeten Biotech-Unternehmen AMSilk ist es mittels seines patentierten biotechnologischen Verfahrens gelungen, synthetische Seiden-Makromoleküle herzustellen, die mit sämtlichen Vorzügen des natürlichen Pendants aufwarten können: Sie sind laut Hersteller biokompatibel, atmungsaktiv, robust und vielfältig einsetzbar. Vorlage für die Faser der Münchner:innen ist der Faden der Gartenkreuzspinne. Das Team des Start-ups umfasst mittlerweile 30 Mitarbeiter:innen. Textilien aus den synthetischen Spinnenfasern sind vollständig biologisch abbaubar.

Auch das 2007 gegründete japanische Start-up Spiber versucht, den Einsatz von Wissenschaft und Technologie verantwortungsvoll mit natürlichen Ressourcen zu kombinieren. Synthetische Proteine werden durch einen mikrobiellen Fermentationsprozess hergestellt –„Brewed Protein“. Auf Basis der so entstehenden synthetischen Spinnenseide hat Spiber gemeinsam mit der Outdoor-Marke North Face einen Parka entwickelt.

Prototyp von Adidas

Die synthetische Spinnenseide von AMSilk wiederum ist zehnmal dünner als menschliches Haar, sehr stabil und elastisch. Das Verfahren hat der Biochemiker Thomas Scheibel entwickelt, der heute an der Uni Bayreuth den Lehrstuhl für Biomaterialen inne hat. Vereinfacht gesagt, werden dafür Escherichia coli-Bakterien umprogrammiert, sodass sie die Spinnenseiden-Proteine synthetisieren.

Gegenwärtig kommen diese Biopolymere bereits in Form von Mikropartikeln, Hydrogels oder Fasern in der Textilindustrie zur Herstellung von Funktionsbekleidung, in der Medizintechnik sowie in der Kosmetikindustrie zum Einsatz. Und: Gemeinsam mit Adidas wurde Ende 2016 ein Prototyp für einen Laufschuh entwickelt.

imago / agestockfoto

Kokons des Seidenspinners, gebaut aus nur einer Faser pro Stück.

Lesley Sevriens

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