Die Utopie

Zivile Seenotrettung legalisieren

Täglich ertrinken Flüchtende auf dem Weg über die Meere. Seenotretter:innen versuchen zu helfen, doch ihr Engagement wird zunehmend kriminalisiert. Wie sähe eine Welt aus, in der die zivile Seenotrettung legal wäre?

Das ist das Problem:

2023 war eins der tödlichsten Jahre im zentralen Mittelmeer. 2.678 Menschen starben nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) allein auf dieser Fluchtroute. Da Asylanträge nur auf europäischem Boden gestellt werden können, riskieren Menschen ihr Leben, um ihr Recht auf Asyl in Anspruch nehmen zu können. Die für eine legale Einreise nötigen Dokumente wie eine Aufenthaltserlaubnis oder ein Visum bekommen viele nicht; in akuten Notsituationen fehlen ihnen zudem häufig Zeit und Geld für den Versuch, diese zu organisieren. Während die Europäische Union (EU) in Abschottung und die Grenzschutzagentur Frontex investiert, wird das Sterben im Mittelmeer zum Normalzustand. Seit 2014 arbeiten zivile Seenotrettungs-Initiativen verstärkt dagegen an. Die Organisation Sea-Watch wirft der EU und ihren Mitgliedstaaten „willentliches Versagen“ vor und fordert diese auf, die Rettung der Menschen im Mittelmeer zu organisieren und finanzieren.

Das ist der Impuls:

Europaweit wird die zivile Seenotrettung in den zurückliegenden Jahren zunehmend kriminalisiert. In Deutschland beschloss die Ampel-Regierung im Oktober 2023 eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes, laut der Seenotretter:innen künftig Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren drohen könnten. Diese Befürchtung teilen einige Jurist:innen öffentlich. Sie kritisieren eine ihrer Meinung nach undurchsichtige Formulierung bezüglich der „Hilfe zur unerlaubten Einreise“. Da der Entwurf mit Blick auf diese Hilfe zwischen Handlungen ohne und mit persönlichem Vorteil – etwa finanziellem Gewinn – keinen Unterschied mache, seien humanitäre Tätigkeiten von deren Strafbarkeit nicht ausgenommen. Auch über 50 Organisationen sprechen sich in einer gemeinsamen Erklärung gegen die Gesetzesänderung aus; mehr als 130.000 Menschen haben bis Mitte Januar die Petition „Keine Haft für zivile Seenotrettung“ unterzeichnet. Sie argumentieren, die Änderung stehe im Widerspruch zur menschenrechtlichen Pflicht, Menschen in Not zu retten – und stelle einen Bruch des Koalitionsvertrags dar, demzufolge Seenotrettung nicht behindert werden soll.

Das ist die Lösung:

Die Organisationen fordern die Bundestagsabgeordneten auf, sich für sichere und legale Fluchtwege sowie für ein staatlich koordiniertes Seenotrettungsprogramm einzusetzen. Der Migrationsforscher Maurice Stierl von der Universität Osnabrück erklärte stellvertretend für zahlreiche Expert:innen gegenüber dem ZDF: „Wenn das gesamte System auf die Abwehr von Migrant:innen […] und eben nicht auf deren Rettung ausgerichtet ist, dann ist es nicht verwunderlich, dass wir weiterhin derart viele Todesfälle zu beklagen haben.“ Tatsächlich ist die Schaffung legaler Fluchtrouten der beste Weg, um Menschenschmuggel zu bekämpfen. Solange diese fehlen, ist eine starke Zivilgesellschaft, die sich für die Rechte von Geflüchteten ein- und der Kriminalisierung von Seenotretter:innen entgegensetzt, unabdingbar. Seenotrettung ist eine moralische Pflicht. Sie darf kein Verbrechen sein.

Foto: IMAGO / Tim Wagner

Die Crew der Sea-Watch 3 vor dem Seenotrettungsschiff Alan Kurdi im Hafen von Burriana, Spanien.

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