Herr Bilott, lassen Sie uns über Einsamkeit sprechen.
Das ist ein ungewöhnliches Anliegen. Ich bin seit mehr als 20 Jahren verheiratet, habe drei Söhne und habe als Anwalt tausende Bürger des US-Bundesstaats West Virginia in einem Rechtsstreit gegen einen Chemiekonzern vertreten …
… wofür Ihnen gerade der „Right Livelihood Award“ verliehen wurde. Die Jury würdigte Sie als „einen der besten Umweltanwälte der Welt“, dem „einer der wichtigsten umweltrechtlichen Erfolge des Jahrhunderts“ gelungen sei.
Sie können sich also vorstellen, dass ich schon seit längerer Zeit nicht mehr einsam bin. Natürlich war das noch anders, als dieser Fall vor zwei Jahrzehnten begann.
Genau. Und darum geht es. Am Anfang eines Falles, eines Skandals, eines Unternehmens, ist man selten mit tausenden Gleichgesinnten unterwegs. Und auch Ihr Fall hat nicht mit tausenden Mandanten angefangen, sondern mit einem.
Das war Wilbur Tennant, ein Farmer aus Parkersburg in West Virginia. Der rief damals in meinem Büro in Cincinnati an: Er suche jemanden, der ihm helfen könne herauszufinden, woran seine Kühe starben. Sie tranken schaumig-weißes Wasser aus dem Bach, der an ihrer Weide vorbeifloss, der wiederum aus einer Müllkippe in der Nähe kam, auf der die nahegelegene Chemiefabrik des Du-Pont-Konzerns Abfälle deponierte.
Von Cincinnati nach Parkersburg sind es mehr als 300 Kilometer, das ist nicht gerade um die Ecke.
Bevor der Farmer bei mir anrief, hatte er es natürlich bei Anwälten in Parkersburg probiert – aber keiner wollte ihn vertreten. Du Pont war damals der größte Arbeitgeber der Stadt, man macht sich keine Freunde, wenn man den verklagen möchte.
Das dürfte ja auch bei Ihnen eine Überlegung gewesen sein. Und auch bei der Großkanzlei, für die Sie in Cincinnati arbeiten. Hatten die kein Problem damit, einen eigenbrötlerischen Farmer im Kampf gegen einen Großkonzern zu vertreten?
Die Partner in meiner Kanzlei sind verantwortungsbewusste Menschen, und sie sind geduldig. Sie haben in all den Jahren meine Entscheidungen mitgetragen.
Warum haben Sie den Fall überhaupt angenommen?
Das hatte mit meiner Familie zu tun. Der Farmer kannte meine Großmutter. Sie lebte ebenfalls in Parkersburg, und als kleiner Junge hatte ich sie oft dort besucht. Ich kannte den Ort, ich kannte die Leute, ich hätte sie nicht einfach hängen lassen können.
Das klingt, als ob Sie nicht einen Farmer, sondern eine ganze Stadt vertreten hätten.
Nicht von Anfang an – aber so kam es dann. Es stellte sich relativ schnell heraus, dass nicht nur die Kühe eines einzelnen Farmers ein Problem hatten: Der ganze Ort litt gesundheitlich unter der Chemiefabrik.
Lassen Sie uns noch einen Moment auf das „relativ schnell“ schauen. Denn erst einmal standen ja wohl Sie und Ihr Mandant allein gegen den Chemiekonzern und die ganze Stadt.
So ziemlich. Wir erhoben Klage gegen Du Pont, aber wir wussten ja nicht einmal, welche Chemikalien in welcher Weise für die Schäden verantwortlich sein sollten. Ein Gutachten der Gegenseite stellte sogar fest, dass es keinen Zusammenhang zwischen den toten Kühen und den Abfällen der Chemiefabrik gebe.
Da kann man dann schon einmal aufgeben.
Ich wusste aber, dass da etwas nicht stimmte. Und es musste etwas mit der Chemiefabrik zu tun haben. Also war für mich die Schlussfolger…
US-Anwalt Robert Bilott sagt Chemiekonzernen den Kampf an – und siegt mit dem Verbot von umwelt- und gesundheitsschädlichen Substanzen