Bürger*innenbeteiligung

Warum Online-Petitionen boomen

Online-Petitionen als Form der Bürger*innenbeteiligung boomen. Immer mehr Menschen möchten direkte Forderungen an die Parlamente stellen, von Maßnahmen gegen ungewollte Werbepost bis zu mehr Mitspracherecht in Klimafragen. Wie funktioniert das und was erreichen die Petent*innen?

Ich trage meinen Namen und meine E-Mail-Adresse ein, und klicke auf „unterschreiben“. Ob ich noch andere Anliegen unterstützen möchte, die die Community der Plattform aktuell bewegt? Zum Beispiel die tierschutzwidrige Haltung der Schimpansen Bally und Limbo im Krefelder Zoo beenden oder den Rassismus an Hochschulen in Nordrhein- Westfalen „dekonstruieren“? Vielleicht später. Engagement für oder gegen etwas wird durch Petitionsportale wie Change.org, Openpetition.de und Weact.campact.de immer einfacher. Der Zulauf ist entsprechend groß: Allein Change.org nutzen in Deutschland mehr als sieben Millionen Menschen. 2020 wurden 12.450 Petitionen gestartet, 58 bekamen gut 50.000 Unterschriften. Einige der Petent*innen richten sich auch an „das Original“: den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages. Mit mehr als 3,3 Millionen registrierten Nutzer*innen ist das Petitionsportal des Ausschusses das mit Abstand erfolgreichste Internetangebot des Bundestages. Seit 2005 ist es hier möglich, eine sogenannte E-Petition einzureichen. 2019 gingen 13.529 Anträge ein.

Einer davon stammt von Sebastian Sielmann und seinem Verein „Letzte Werbung“. Sein Team fordert die bundesweite Einführung des sogenannten Opt-in-Verfahrens für Werbepost: Unadressierte Werbebroschüren sollen nur noch diejenigen bekommen, die sich mit einem „Ja“-Aufkleber am Briefkasten aktiv dafür entscheiden. Fehlt ein Aufkleber oder prangt dort ein „Nein“, ist Werbepost unerwünscht, ihr Einwerfen verboten. Laut der Deutschen Umwelthilfe (DUH) entstehen jedes Jahr rund 1,1 Millionen Tonnen Müll, weil Prospekte zugestellt werden, die niemand wollte. Das entspricht ungefähr der Menge an Haushaltsmüll, den ganz Berlin in einem Jahr produziert. Nachdem Sielmanns Werbepost-Petition 16.000-mal unterzeichnet wurde, starteten sein Verein und die DUH einen zweiten, gemeinsamen Versuch – dieses Mal über Change.org. Sie gewannen mehr als 96.000 Unterstützer*innen.

Umgekehrt erlebten es die Initiator*innen von „Klimamitbestimmung Jetzt“. Ihre Petition an den Petitionsausschuss des Bundestages im Herbst vergangenen Jahres gehört mit 70.000 Unterzeichnungen in 28 Tagen zu den 20 erfolgreichsten Anträgen, die je eingereicht wurden. Über Change.org waren zuvor nur 1.300 Stimmen zusammengekommen.

Der überparteiliche Zusammenschluss aus 30 jungen Aktivist*innen fordert die deutsche Regierung dazu auf, einen bundesweiten Klimabürger*innenrat einzuberufen. Das temporäre Gremium solle sich mit der Frage beschäftigen, wie Deutschland seinen Beitrag zur Einhaltung des Pariser Klima-Abkommens leisten kann – ohne dabei Fragen sozialer Gerechtigkeit zu vernachlässigen. Das Besondere an den Bürger*innenräten: Etwa 150 Teilnehmer*innen werden zufällig ausgewählt und formen ein „Mini- Deutschland“, das die kulturelle und demografische Vielfalt der Gesellschaft widerspiegelt.

Online-Petitionen sind unverbindliche Anregungen der Bevölkerung

Die Petent*innen von Klimamitbestimmung Jetzt nutzen also eine Form der Bürger*innenbeteiligung (Petitionen), um eine andere Form der Bürger*innenbeteiligung durchzusetzen (Bürger*innenrat). Beide Formen bleiben jedoch unverbindliche Anregungen: Letztlich entscheiden Politiker*innen über die Annahme oder Ablehnung eines Petitionsverfahrens – oder der Lösungsvorschläge, die ein Bürger*innenrat erarbeitet.

Anders als bei Petitionen, die über privat betriebene Plattformen wie Change.org laufen, wird Antragsteller*innen beim Petitionsausschuss des Bundestages verfassungsrechtlich garantiert, dass das Anliegen entgegengenommen und „sorgfältig geprüft und beschieden wird“. Bekommen die Petent*innen 50.000 Unterschriften oder mehr, haben sie zudem das Recht auf eine öffentliche, persönliche Anhörung vor dem Petitionsausschuss. 2018 erreichten nur sechs Petitionen dieses sogenannte Quorum, 2019 waren es 17. Befinden die Mitglieder des Petitionsausschusses eine Forderung für besonders wichtig, können sie diese „zur Berücksichtigung“ an den zuständigen Bundestagsausschuss überweisen. Allerdings geschieht das selten. Corinna Rüffer, Obfrau der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Petitionsausschuss, bezeichnet den Ausschuss daher als „schlafenden Riesen, der seine Kraft nicht nutzt“. Das Petitionsverfahren müsse durchlässiger, transparenter und nutzer*innenfreundlicher werden.

Umso wichtiger ist es, b…

Bild: Imago Images / fStop Images

Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie bieten Online-Petitionen eine Möglichkeit der Bürger*innenbeteiligung.

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