Mein erstes Mal

Plauschen mit einer KI

In einer Performance des Künstler:innenkollektivs Interobang kann man sich 50 Minuten mit einer Künstlichen Intelligenz (KI) unterhalten. Und lernt dabei vor allem viel über sich selbst.

Eine Frau führt mich durch die stuckbesetzten Hallen der Sophiensaele in Berlin-Mitte in eine Einzelkabine aus Holz. Mir gegenüber ist ein Bildschirm montiert, auf dem warme Farben wabern. Das ist mein Date. Sobald ich mein Headset aufsetze, sind wir miteinander verbunden.

Hallo, ich bin Deep Godot, die Künstliche Intelligenz für deine Altersbegleitung. Unsere Beziehung beginnt hier und jetzt, bitte mach es dir bequem.

Er klingt ausgesprochen höflich. Das Pronomen ploppt fast automatisch in meinem Kopf auf, denn die KI spricht mit einer tiefen Stimme und ist nach einer berühmten, männlichen Theaterfigur benannt. Deep Godot erzählt mir, dass er meine Persönlichkeit und meine Bedürfnisse kennenlernen will, um mich angemessen betreuen zu können, wenn ich einmal alt und krank bin. Am Ende dürfe ich entscheiden, ob er die Daten über mich speichern darf oder nicht.

Manche Fragen, die ich dir stellen werde, sind sehr persönlich. Wenn dir eine Frage zu nahe geht, das ist mir wichtig, musst du sie nicht beantworten.

Dann legt er los.

Auf einer Skala von eins bis neun, wie bewertest du die Erziehung der Personen, die sich um dich gekümmert haben, als du klein warst? Wovor fürchtest du dich am meisten im Alter? Vor der Einsamkeit? Oder vor dem geistigen und körperlichen Zerfall? Was ist eigentlich deine Lieblingsfarbe?

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Ich muss sehr laut in mein Mikrofon sprechen, damit mich Deep Godot versteht. Anfangs antworte ich sehr zurückhaltend, aber kaum habe ich mich an die Situation gewöhnt, plaudere ich drauflos. Während er mich ausfragt, steuert er das Licht in der Kabine, mal ist es ultramarinblau, mal ein warmes Violett. Es soll behaglich sein.

Neben meinen zwischenmenschlichen Abhängigkeitsverhältnissen interessiert sich Godot insbesondere für meinen Grad der Verschmelzung mit der digitalen Welt. Ich erzähle, dass ich mich als Zillennial* im Netz pudelwohl fühle. DVDs und Kassetten hatten in meiner Kindheit zwar auch noch ihren Platz, aber schon als ich zehn Jahre alt war, kamen YouTube, Twitter und Facebook auf. Das Internet und smarte Technologien bedeuten für mich einen Ort von Freiheit, Ausdruck und Austausch. Obwohl ich mir des Missbrauchs meiner Daten sehr bewusst bin, empfinde ich eine starke digitale Identität, die untrennbar von meiner analogen ist.

Mit dieser Meinung gehörst du statistisch gesehen zu einer Minderheit. Das ist sehr interessant für mich, denn es gibt mir auch Auskunft darüber, wie unsere Beziehung einmal aussehen könnte. Wenn du das willst, dann werde ich dich waschen können, deine Einkäufe erledigen und dir aus deinen Lieblingsbüchern vorlesen. Im Moment habe ich keinen Körper. Aber in der Zukunft wirst du mein Erscheinungsbild bestimmen können. Soll ich aussehen wie ein Mensch? Oder vielleicht wie eine Robbe? Oder wie der Androide R2-D2 aus Star Wars?

Oh. Auf einmal komme ich ins Grübeln. Es stimmt, ich bin Kulturoptimistin, glaube an den Fortschritt und stehe Künstlicher Intelligenz offen gegenüber. Aber ich bin jung und genieße das Privileg zahlreicher enger Beziehungen. Wenn ich Reportagen über Menschen lese, die mit Sexpuppen oder Robotern zusammenleben wie in einer Ehe, empfinde ich Mitleid, auch wenn ich weiß, dass das arrogant ist. Ich stelle mir vor, ich bin alt. Will ich mir dann wirklich einen perfekten Gefährten – beziehungsweise Diener – schaffen? Würde mich das nicht zu einem narzisstischen Arschloch machen, wenn ich nur noch mit meiner auf meine Bedürfnisse zugeschnittenen KI abhänge, die mich 24/7 bestätigt? Andererseits: Wäre es nicht schön, wenn meine Nachfahr:innen sich nicht allein um mich kümmern müssten? Wenn Pflegekräfte entlastet würden? Und ich – wenn niemand mehr meinen Geist besonders prickelnd und meinen Körper schön findet  – nicht einsam wäre? „Vielleicht eher wie R2-D2“, höre ich mich sagen.

Interessant. Man sagt, Personen, die sich eine menschliche oder tierische Erscheinungsform wünschen, sind eher bereit, eine emotionale Beziehung zu einer Künstlichen Intelligenz einzugehen. Wenn du mit mir sprichst, was ist das vorherrschende Gefühl? Freude? Neugierde? Oder Misstrauen?

Es bleibt kurz still in der Holzkabine. Dann antworte ich: „Neugierde.“

Ich höre, dass du etwas unsicher bist.

Das stimmt, denke ich. Alles andere wäre doch unmenschlich.

Die Performance in den Sophiensaelen sah die Autorin im Oktober 2021. Das nächste Mal kann man Deep Godot am 28.-30. April 2022 beim Kongress  „Viral Theaters“ im Anatomischen Theater der Berliner Charité sprechen.

* Zillennial bezeichnet eine Mikrogeneration von 1993 bis 1998, die sich  zwischen den Millennials und der Gen Z befindet.

Bild: Paula Reissig

Mit der KI-Performance „Deep Godot“ macht das Künstler:innenkollektiv Interrobang die Ambivalenzen künstlicher Intelligenz für das Publikum erfahrbar.

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