Nachhaltiger Tourismus

Darf man noch Urlaub in den Alpen machen?

Der Klimawandel trifft die Alpen hart. Kann man überhaupt noch guten Gewissens im Winter in die Berge reisen? Und wenn ja, wie und wohin?

Heidi lebt natürlich immer noch auf ihrer Alm: Romanfiguren sind recht sesshaft. Alles andere aber ist in Bewegung. Die Torfmosaikjungfer, eine Libelle mit einer Flügelspannweite um die zehn Zentimeter, ist schon umgezogen. Mit ihrer Freundin, der Nordischen Mosaikjungfer, hat sie jetzt eine WG ein paar Stockwerke weiter oben: 300 Höhenmeter, um ganz genau zu sein. Dafür fühlt sich in ihrem alten Zuhause, dem Hochmoor, nun die Feuerlibelle wohl, die einst nur in Südeuropa vorkam. Libellen sind gute Indikatoren für den Klimawandel, weil sie so mobil sind. Andere Arten müssen weichen, wenn sich Lebensräume verschieben. Und das tun sie in den Alpen in atemberaubender Geschwindigkeit.

Alpentourismus: „Der Werbung sollte man nicht trauen“

Das Hochgebirge ist das Fieberthermometer Europas. „Die Alpen haben sich in letzter Zeit um gut zwei Grad erwärmt, etwa doppelt so viel wie das Flachland“, sagt Kulturgeograf Werner Bätzing. Er erforscht seit Jahrzehnten die Region und hat sich als „Alpenprofessor“ einen Namen gemacht. „Leider beschleunigt sich die Erwärmung jetzt signifikant.“ Das sorgt für mehr und mehr Stürme und Überschwemmungen, aber auch für das Abschmelzen der Gletscher. Bis 2050 dürfte die Hälfte aller Eisflächen der Alpen verschwunden sein, prognostizieren Schweizer Forscher – diese Entwicklung sei nun nicht mehr aufzuhalten. Die Folge: Noch mehr Steinschlag und Felsstürze in hoch gelegenen Regionen, dazu Erdrutsche und Schlammlawinen, die bis zum Talboden reichen.

Darf man da noch guten Gewissens in die Berge reisen? Vom Tourismus leben dort schließlich viele Menschen. Wenn ja, wie und wohin könnte es im Winter gehen? Der Werbung sollte man dabei nicht trauen. „Wenn ich sehe, dass in Hamburg, Berlin oder sonst wo ein Wintersportort angepriesen wird, würde ich dort sicher nicht hinfahren“, kommentiert Thomas Frey, der Alpenbeauftragte des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND). Wer viel Budget ausgibt fürs Marketing, muss das erst mal haben – und wieder reinverdienen können.

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Pause für alpinen Spaßtourismus

Corona sorgt diesen Winter für eine Zwangspause bei den extremen Formen des alpinen Spaßtourismus – selbst im für enthemmte Partys berüchtigten Ischgl sind die Après-Ski-Exzesse abgesagt. Und doch wird auch zu Beginn der neuen Saison wieder überall gelockt mit den schnellsten Liften, den längsten Pisten, den höchsten und den größten Skigebieten. Um jeden Preis wachsen oder sterben scheint die Devise: Die Österreich-Werbung plant laut Homepage die „größte und breiteste Winterkampagne der letzten Jahrzehnte“, und bei den Eidgenossen nebenan rufen die Seilbahnbetreiber laut „Die Schweiz fährt Ski!“

Wer das Wettrüsten nicht mitmachen will, besorgt sich beim Verein Mountain Wilderness für zehn Euro den Guide Wilde Winter. Der Untertitel („Wo der Schnee noch aus dem Himmel fällt“) ist Programm: Vorgestellt werden 22 Orte, die auf Speicherteiche und Schneekanonen verzichten. Deutschlands steilste Skiabfahrt bei Oberammergau ist dabei, aber mit dem Mieminger Plateau auch eine Region in Österreich, die ihre Lifte abgebaut hat und auf rodelnde Familien setzt. Oder es geht nach Juf, die höchste ganzjährig bewohnte Siedlung der Schweiz: Der Postbus bringt einen siebenmal am Tag bis auf 2.126 Meter.

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Aber ist man als Alpin-Skifahrer nicht automatisch ein Umweltschwein? Sollte man eher Langlaufen, Schlittenfahren, Winterwandern? „Schnee und Kälte sind immer faszinierend“, sagt Alpenforscher Werner Bätzing. Er rät zu einem entspannenden Aufenthalt in einem der 29 über die Alpen verstreuten Bergsteigerdörfer. Dort setzt man darauf, die Alpen wie früher mit der eigenen Muskelkraft zu erleben, statt mit künstlichen Aufstiegshilfen. Das hält auch Naturschützer Thomas Frey für einen guten Kompromiss, warnt aber: „Ich kann als Schneeschuhgänger, der in den letzten Winkel vordringen will, mehr kaputt machen als ein Skifahrer auf einer seit Jahrzehnten bestehenden Piste.“ Statt nach Geheimtipps zu suchen, solle man sich lieber an die Beschränkungen halten.

Was die Klimabilanz angeht, sind Skilifte und Schneekanonen nicht die größten CO2-Sünder im Alpentourismus. 75 Prozent der Emissionen entfallen auf den Verkehr. Um das Klima zu schützen, darf man also nicht im Auto anreisen. Die 21 Gemeinden, die sich als „Alpine Pearls“ vermarkten, machen einem das leicht: Sie geben Besuchern eine Mobilitätsgarantie: Von A nach B geht es vor Ort mit Bus und Ruftaxi, manchmal aber auch mit Pferdekutsche oder E-Mobil.

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Alpentourismus: Wenn die Anreise zum Highlight wird

BUND-Experte Thomas Frey sucht sich seine Touren in den Alpen sogar danach aus, ob bereits die Anreise zum Highlight werden kann. In der Schweiz zählen die Strecken der Rhätischen Bahn zum UNESCO-Welterbe, in Österreich bietet die Murtalbahn tolle Ausblicke. In Italien geht es von Cuneo nach Ventimiglia, in Slowenien von Jesenice nach Nova Gorica. Auch im Allgäu führt eine schöne Strecke in die Berge. Die Außerfernbahn zuckelt von Kempten im Allgäu über Reutte in Tirol bis nach Garmisch-Partenkirchen. „Gut zweieinhalb Stunden für 93 Kilometer: Schnell ist man da nicht unterwegs“, meint Frey. Doch weil die Fahrt selbst ein Erlebnis ist, vergeht die Zeit wie im Flug.

Good to know

Wilde Winter
Hier kommt das Weiß noch vom Himmel statt aus der Schneekanone: Der Verein Mountain Wilderness stellt in einem Guide 22 alpine Ski- und Tourengebiete vor.
mountainwilderness.de

Mach mal langsam!
Weniger, dafür besser: Das ist die Philosophie der 29 Bergsteigerdörfer. Dort setzt man sich für klassischen Alpinismus und behutsame Entwicklung ein.
bergsteigerdoerfer.org

Urlaub ohne Auto
Anreise mit Bus und Bahn, dann auch vor Ort mobil: Die „Alpine Pearls“ sind 21 Gemeinden in fünf Ländern, die sich für Nachhaltigkeit im Verkehr einsetzen.
alpine-pearls.com

Bild: imago images / Eibner Europa

Die Aussicht von der Bergstation der Wildspitzbahn im österreichischen Mittelberg bietet eine spektakuläre Kulisse. Auch wenn es durch Corona diesen Winter etwas ruhiger werden wird – die Berge sind durch den Klimawandel und Overtourism stark gefährdet.

Helge Bendl

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