Mein erstes Mal

Stammzellen spenden

Alle 27 Sekunden erkrankt weltweit ein Mensch an Blutkrebs. Stammzellen-Spender:innen werden dringend gesucht. Bruno Kühn hat es gewagt

Dresden, kurz nach acht in der Früh. Sie führen mich in einen Raum und zu einer von acht Sitzliegen. Daneben steht etwas, das mich an einen alten Spielautomat erinnert, in der Luft hängen einige Beutel, von denen Schläuche in eine futuristische Konsole gehen. Dort werden heute Stammzellen aus meinem Blut gefiltert, die hoffentlich einen Menschen gesund machen, der an Blutkrebs erkrankt ist. Es sind Räume der DKMS.

Die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) vermittelt weltweit Stammzellen an Leukämie-Patient:innen. Der Bedarf ist hoch, alle 27 Sekunden erkrankt weltweit ein Mensch an Blutkrebs. Zurzeit sind bei der DKMS mehr als 12,5 Millionen Spender:innen registriert, 120.000 Stammzellspenden wurden bereits vermittelt. Vor drei Jahren war ein Team der DKMS bei mir in der Schule. Dort habe ich mich per Stäbchenabstrich im Mund registrieren lassen. Das war recht easy und cool. 

Ein kleiner Stich, der Leben retten kann

Jetzt stürmt in mir die Angst vor Spritzen und Blut, dass ich nur noch wegrennen will. Gestern bin ich von Hamburg zum DKMS-Zentrum in Dresden gereist, vor vier Wochen lag eine Nachricht im Briefkasten: Ein Match ist gefunden. Und nun ist es so weit. Ich bekomme ein Kopfkissen und eine Decke, ich schwitze beides nass. Ein Arzt beruhigt mich und schiebt mir eine Metallnadel in die linke Armvene, von hier fließt mein Blut in das Filtergerät. Ich sehe Sterne. Die Pflegerinnen geben mir Traubenzucker und Cola. Nun ist mein rechter Arm dran: Eine Ärztin legt eine Plastikkanüle, darüber fließt mein Blut zurück. Bevor wir beginnen, wird mir noch ein wenig Blut abgenommen. 

Es sind noch sieben weitere Spendende mit mir im Raum und wir begegnen uns hier und da mit einem beklommenen Lächeln. Es liegt ein Summen in der Luft, die „Apherese-Maschinen“ rattern, während sie die Stammzellen aus unserem Blut filtern. Die Schwestern sind zuvorkommend und bringen uns die nächsten Stunden Snacks, während wir uns mit unseren mobilen Endgeräten beschäftigen. Auf Grundlage der Stammzellensättigung unseres Blutes wird errechnet, wie lange wir jeweils bleiben müssen. Wir alle haben uns die letzten fünf Tage ein Medikament in das Bauchgewebe gespritzt, das war erstaunlich einfach. Ein bisschen habe ich mich wie ein Held gefühlt. Der Wirkstoff soll den Körper dazu anregen, vermehrt Stammzellen ins Blut abzugeben. Heute werden wir sehen, wie gut das geklappt hat. Unsicher, ob ich morgen noch mal an die Maschine muss, warte ich ohne Spaß.

Stammzellen sitzen im Knochenmark und werden bei einer Krankheit ins Blut geschwemmt, um dort das Immunsystem zu stärken. Stammzellenspenden gleichen eher einer Organ- als einer Blutspende, da wichtige Bestandteile fürs Blut produziert und mit den geschädigten Knochenmarkzellen der Empfänger:innen ausgetauscht werden. 

Manche Spender:innen haben nach drei Stunden genug Stammzellen abgegeben, sie dürfen gehen. Eine Schwester sagt mir: „Deine Blutwerte sind gut, aber es sieht so aus, als würdest du deine Stammzellen zurückhalten.“ Ich verzweifle, doch mich lässt der Gedanke nicht los. Noch 90 Minuten hat mein Körper Zeit. Länger als fünf Stunden am Tag darf man nicht an der Apherese-Maschine hängen, das ist Stress für Milz und Herz. Ich gebe alles, um mir die Person vorzustellen, an die meine Zellen gehen, für sie will ich Zuversicht aufbauen. Ich stelle mir vor, wie meine Zellen und Zuversicht zu dieser Person fließen. Ich rede meinem Körper zu, ich will jemandem das Leben retten. 

Außer mir ist nur noch eine Frau die vollen fünf Stunden da. Nach dem Mittagessen werden wir vorläufig entlassen. Jetzt muss die Spende quantifiziert werden. Ist ein zweiter Durchgang am Folgetag nötig? 

Nach zwei Stunden bekomme ich einen Anruf. Es war genug. Die Anspannung macht einer großen Erschöpfung Platz, es geht zurück nach Hambug. Vorher erfahre ich noch das grobe Alter, das Geschlecht und die Nationalität des Empfängers, aber das bleibt mein Geheimnis.  

Wer gesund und zwischen 17 und 55 Jahren alt ist, kann sich auf der Website der DKMS registrieren. Der Test für den Abstrich im Mund kommt per Post. Sobald ein „genetischer Zwilling“ gefunden ist, gibt es eine Einladung zur Voruntersuchung. Mehr Infos unter: dkms.de

Foto: IMAGO / Rupert Oberhäuser

Ein Pieks allein reicht nicht bei der Stammzellenentnahme. Schon eine Woche zuvor müssen sich Spender:innen selbst täglich ein Medikament in ihr Bauchgewebe spritzen, das den Körper zur Stammzellenproduktion anregt.

Bruno Kühn

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