Schwerpunkt: Fortpflanzung

Synthetische Embryos: Was ist ein Mensch und was nicht?

Jacob Hanna forscht an Embryo-Modellen aus Stammzellen, die in Inkubatoren heranwachsen. Ein Gespräch über das Geheimnis des Lebens und die Chancen und Gefahren eines künstlichen Menschen

Herr Hanna, Sie haben am israelischen Weizmann-Institut aus menschlichen Stammzellen sogenannte synthetische Embryomodelle gezüchtet, die einem menschlichen Embryo sehr ähneln und ganze 14 Tage überleben können. Bekommen Sie viele Morddrohungen?

Meine Güte, ganz und gar nicht!

Ich frage das, weil ich mir die meisten Reaktionen auf solche Experimente, sagen wir mal, mindestens defensiv vorstelle.

Da haben Sie allerdings Recht. Es triggert sehr viele Menschen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir genau erklären, was wir da tun und warum wir es tun. Es geht hier nicht darum, eine menschliche Schwangerschaft überflüssig zu machen. Ein Embryo-Modell ist kein echtes Embryo. Da gibt es viele Unterschiede. Ein solches Modell würde nie überleben, wenn ich es in einen Uterus pflanzen würde. Es fehlen zu viele Dinge, die es braucht, um lebensfähig zu sein. Zum Beispiel entwickeln unsere Modelle von Maus-Embryonen eine Art Hirngewebe, aber es ist nicht funktional, da es eben künstlich ist. Unsere menschlichen Embryo-Modelle haben eine Keimscheibe, aber sie können nicht zu einem ganzen Menschen heranreifen.

Und wozu tun Sie das dann?

Wir versuchen die frühesten Schritte der Bildung des Lebens zu verstehen. Ich nenne es die Drama-Time des Embryos, in den ersten paar Wochen wird man von einem kleinen Zellhaufen zu einer Ansammlung von sehr komplexen Organen. In der Zeit danach geht es nur noch um Wachstum. Aber wir wissen praktisch nichts über dieses erste, entscheidende Stadium, da wir ja aus sehr guten Gründen nicht an echten menschlichen Embryonen forschen. Ich würde mich auch immer dagegen einsetzen, das zu tun. Aber wir können es uns nicht leisten, nach keiner Alternative zu suchen. Die meisten Schwangerschaften enden in den ersten vier Wochen der embryonalen Entwicklung. Die meisten Defekte, zum Beispiel durch Alkoholkonsum in der Schwangerschaft oder durch ein Virus, bilden sich ebenfalls im ersten Monat heraus. Und wir können kaum etwas dagegen machen. Deshalb forschen wir an synthetischen Embryo-Modellen: um vielleicht am Ende etwas zu haben, das dem menschlichen Embryo zu 60 bis 80 Prozent ähnelt. Damit könnte die Medizin neue Wege finden, wie sie einem echten Embryo helfen und es retten kann. Durch neue Therapien und vielleicht sogar transplantierbares Gewebe, von dem auch erwachsene Menschen mit beschädigten Zellen profitieren könnten.

Jacob (Yaqub) Hanna, 44, ist ein israelisch-palästinensischer Professor für Molekulargenetik am Weizmann-Institut im israelischen Rehovot. Hannas Veröffentlichungen zur Stammzellforschung wurden von den Fachmagazinen „Science“ und „Cell“ mehrfach ausgezeichnet.

Wo liegt für Sie die ethische Grenze? Wie viele Tage sollte man ein Embryo-Modell züchten, bevor man sagt: jetzt ist Schluss.

Die Grenze könnte der Puls sein. Bis zum Tag 14 ist ein menschliches Embryo wie gesagt ein Haufen Zellen ohne wirkliche Organe. Wir arbeiten gerade an Modellen, die vielleicht bis Tag 21 überleben können. Ab Tag 22 fängt das Herz eines menschlichen Embryos an zu schlagen. Die Frage, wann ein Mensch ein Mensch ist, lässt sich aber natürlich nicht so einfach beantworten. Wir führen diese Diskussion ja auch bei Schwangerschaftsabbrüchen: Manche sagen, ab dem Tag der Empfängnis, manche sagen: entscheidend ist der Turing-Test, also der Test, der auch zur Unterscheidung von Mensch und Künstlicher Intelligenz genutzt wird. Es gibt keine eindeutige Antwort darauf. Aber unsere Forschung folgt immer den aktuellen Gesetzen. In diesem Rahmen bewegen wir uns. Und jeden Verstoß dagegen würden wir streng bestrafen.

Woher kommen die Stammzellen, mit denen sie arbeiten?

Aus IPS-Zellen, die von erwachsenen Menschen gespendet wurden..

…Das sind zum Beispiel Hautzellen, die im Labor durch das Einschleusen bestimmter Gene zu embryonalen Stammzellen reprogrammiert worden sind…

Genau. Oder sie stammen von den Embryos aus erfolglosen Versuchen künstlicher Befruchtung, die sich also nicht weiterentwickelt hatten und daher 20 Jahre lang in Israel eingefroren waren und nun per Gesetz entsorgt werden müssten. Wenn die Eltern dem zustimmen, dürfen wir mit diesen Zellen forschen.

Damit sich das Embryo-Modell aus diesen Stammzellen überhaupt entwickelt, haben sie einen Inkubator entwickelt, in dem es wie im Fruch…

Jacob Hannah

Embryo-Modell im Labor (links) und
Embryo im Uterus (rechts) an Tag 8

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