Herr Hanna, Sie haben am israelischen Weizmann-Institut aus menschlichen Stammzellen sogenannte synthetische Embryomodelle gezüchtet, die einem menschlichen Embryo sehr ähneln und ganze 14 Tage überleben können. Bekommen Sie viele Morddrohungen?
Meine Güte, ganz und gar nicht!
Ich frage das, weil ich mir die meisten Reaktionen auf solche Experimente, sagen wir mal, mindestens defensiv vorstelle.
Da haben Sie allerdings Recht. Es triggert sehr viele Menschen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir genau erklären, was wir da tun und warum wir es tun. Es geht hier nicht darum, eine menschliche Schwangerschaft überflüssig zu machen. Ein Embryo-Modell ist kein echtes Embryo. Da gibt es viele Unterschiede. Ein solches Modell würde nie überleben, wenn ich es in einen Uterus pflanzen würde. Es fehlen zu viele Dinge, die es braucht, um lebensfähig zu sein. Zum Beispiel entwickeln unsere Modelle von Maus-Embryonen eine Art Hirngewebe, aber es ist nicht funktional, da es eben künstlich ist. Unsere menschlichen Embryo-Modelle haben eine Keimscheibe, aber sie können nicht zu einem ganzen Menschen heranreifen.
Und wozu tun Sie das dann?
Wir versuchen die frühesten Schritte der Bildung des Lebens zu verstehen. Ich nenne es die Drama-Time des Embryos, in den ersten paar Wochen wird man von einem kleinen Zellhaufen zu einer Ansammlung von sehr komplexen Organen. In der Zeit danach geht es nur noch um Wachstum. Aber wir wissen praktisch nichts über dieses erste, entscheidende Stadium, da wir ja aus sehr guten Gründen nicht an echten menschlichen Embryonen forschen. Ich würde mich auch immer dagegen einsetzen, das zu tun. Aber wir können es uns nicht leisten, nach keiner Alternative zu suchen. Die meisten Schwangerschaften enden in den ersten vier Wochen der embryonalen Entwicklung. Die meisten Defekte, zum Beispiel durch Alkoholkonsum in der Schwangerschaft oder durch ein Virus, bilden sich ebenfalls im ersten Monat heraus. Und wir können kaum etwas dagegen machen. Deshalb forschen wir an synthetischen Embryo-Modellen: um vielleicht am Ende etwas zu haben, das dem menschlichen Embryo zu 60 bis 80 Prozent ähnelt. Damit könnte die Medizin neue Wege finden, wie sie einem echten Embryo helfen und es retten kann. Durch neue Therapien und vielleicht sogar transplantierbares Gewebe, von dem auch erwachsene Menschen mit beschädigten Zellen profitieren könnten.
Wo liegt für Sie die ethische Grenze? Wie viele Tage sollte man ein Embryo-Modell züchten, bevor man sagt: jetzt ist Schluss.
Die Grenze könnte der Puls sein. Bis zum Tag 14 ist ein menschliches Embryo wie gesagt ein Haufen Zellen ohne wirkliche Organe. Wir arbeiten gerade an Modellen, die vielleicht bis Tag 21 überleben können. Ab Tag 22 fängt das Herz eines menschlichen Embryos an zu schlagen. Die Frage, wann ein Mensch ein Mensch ist, lässt sich aber natürlich nicht so einfach beantworten. Wir führen diese Diskussion ja auch bei Schwangerschaftsabbrüchen: Manche sagen, ab dem Tag der Empfängnis, manche sagen: entscheidend ist der Turing-Test, also der Test, der auch zur Unterscheidung von Mensch und Künstlicher Intelligenz genutzt wird. Es gibt keine eindeutige Antwort darauf. Aber unsere Forschung folgt immer den aktuellen Gesetzen. In diesem Rahmen bewegen wir uns. Und jeden Verstoß dagegen würden wir streng bestrafen.
Woher kommen die Stammzellen, mit denen sie arbeiten?
Aus IPS-Zellen, die von erwachsenen Menschen gespendet wurden..
…Das sind zum Beispiel Hautzellen, die im Labor durch das Einschleusen bestimmter Gene zu embryonalen Stammzellen reprogrammiert worden sind…
Genau. Oder sie stammen von den Embryos aus erfolglosen Versuchen künstlicher Befruchtung, die sich also nicht weiterentwickelt hatten und daher 20 Jahre lang in Israel eingefroren waren und nun per Gesetz entsorgt werden müssten. Wenn die Eltern dem zustimmen, dürfen wir mit diesen Zellen forschen.
Damit sich das Embryo-Modell aus diesen Stammzellen überhaupt entwickelt, haben sie einen Inkubator entwickelt, in dem es wie im Fruchtwasser gedeihen kann. Ist das nicht schon eine Art künstlicher Uterus?
Nein, wir würden uns nie anmaßen, dass wir auch nur etwas Ansatzweise so Beeindruckendes wie den menschlichen Uterus gebaut haben. Die Idee solcher Inkubatoren ist recht alt. Schon in den 1960er und 70er Jahren haben Wissenschaftler:innen damit experimentiert. Damals konnten sie ein Embryo darin etwa für einen Tag am Leben erhalten. In Israel haben wir dann mit einer schlichten Box und ein paar Glasflaschen und Rädern angefangen. Man muss die Flüssigkeit so modifizieren, dass sie dem Zustand im Mutterleib ähnelt: Der Druck muss stimmen, die richtige Menge an Zucker, Vitaminen und Hormonen wie Östrogen oder Insulin muss fließen. Das messen und regulieren wir elektronisch rund um die Uhr. Wir haben die Technik sieben Jahre verfeinert und an Embryo-Modellen von Mäusen erprobt.
Wie groß ist so ein Inkubator?
Stellen Sie sich zwei Mikrowellen nebeneinander vor.
In Europa forschen gerade mehrere Universitäten, wie die Uni Aachen, an ähnlichen Flüssigkeits-Inkubatoren, in denen Frühchen am Leben erhalten werden sollen, die zu klein und schwach für den Brutkasten sind.
Ja, diese Kolleg:innen arbeiten am Ende der natürlichen embryonalen Entwicklung, wir am Anfang der künstlichen. Was sie machen, ist extrem wichtige Forschung. Wir können voneinander lernen, vor allem was die Zusammensetzung der Flüssigkeit angeht. Embryo- und Stammzellenforschung ist eine sehr kompetitive Disziplin, jeder will als erster den nächsten Durchbruch schaffen. Aber natürlich tauschen wir uns international aus.
Sie haben vorhin gesagt, dass ein Embryo-Modell in einem künstlichen Inkubator die menschliche Befruchtung und eine Schwangerschaft nicht ersetzen kann. Können Sie ausschließen, dass das irgendwann möglich sein wird?
Im Moment ist das pure Science-Fiction. Aber zu hundert Prozent ausschließen, dass das irgendwann in ferner Zukunft möglich sein könnte, kann ich natürlich nicht.
Bei der Entwicklung von Maus-Embryo-Modellen erreichen sie bereits 13 Entwicklungstage, ein natürliches Maus-Embryo braucht 20 Tage, bis es geboren wird. Die Modelle haben bereits ein Herz und eine Leber. Nehmen wir einmal an, in ferner Zukunft sind wir in der Lage dazu, menschliche Embryo-Modelle zu entwickeln, die so weit kommen. Woher wissen wir dann, dass sie nicht wirklich Menschen sind?
Wie ich schon sagte, würden wir im Moment, selbst wenn wir so weit wären, nicht so weit gehen. Aber diese Diskussion ist wichtig. Wir befürworten sie, wir freuen uns über jede kritische Frage und befinden uns im permanenten Austausch mit Ethik-Expert:innen, mit religiösen Menschen, mit unseren Familien. Ich bin Wissenschaftler, und alles, was ich tun kann, ist wissenschaftliche Fakten zu liefern, auf deren Grundlage wir entscheiden können, welche Forschungsschritte wir gehen sollten, um eventuell einen positiven Impact in der Medizin zu haben, und welche nicht. Jede Kultur und Gesellschaft hat andere Einstellungen und Traditionen, wenn es um diese Art von Forschung geht. Deshalb ist es so wichtig, dass wir einen ständigen Dialog darüber führen und immer transparent sind.
Aber eine vollständige Embryoentwicklung außerhalb eines Uterus wäre nicht automatisch verwerflich, oder? Bei allen Risiken könnte sie zum Beispiel für Transmenschen, queere Menschen, auch für Frauen, für die Schwangerschaft weltweit ja immer noch eine der häufigsten Todesursachen ist, ja durchaus etwas Positives sein.
Ja, tatsächlich habe ich mehrere feministische Freundinnen, die dasselbe sagen. Ich entgegne immer, es ist genau wie mit Atomphysik, eigentlich mit jedem wissenschaftlichen Vorhaben: Jedes Forschungsergebnis kann missbraucht werden. Aber es kann uns auch voranbringen und unglaublich viel Gutes bewirken.
Embryo-Modell im Labor (links) und
Embryo im Uterus (rechts) an Tag 8