Kaum hat man einen Fuß in die Wälder von Muir Woods in Nordkalifornien gesetzt, schlägt einem ein kräftiges Aroma entgegen: Es duftet nach würzigem Zedernholz, Hemlock-Tannen, frischen Pinien und fruchtbarer Erde. Ein Sonoma-Streifenhörnchen huscht an den größten Bäumen der Welt vorbei. Die roten Stämme der kalifornischen Küstenmammutbäume ragen bis zu 116 Meter in die Höhe, manche der Giganten sind mehr als 2.000 Jahre alt. Unter ihren gewaltigen Zweigen kommt man sich als Mensch winzig vor, wie in einer lebendigen Kathedrale.
Regenwälder im Norden
„Die wenigsten wissen, wenn sie zwischen den berühmten Mammutbäumen stehen, dass sie sich im größten Regenwald des Nordens befinden“, erklärt Dominick DellaSala. Der US-Amerikaner ist Biologe und Naturschützer, sein ganzes Leben hat er den „vergessenen Regenwäldern“, wie er sie nennt, gewidmet.
„Viele denken beim Wort Regenwald sofort an den wunderbaren Amazonas-Regenwald in Südamerika und an die Heimat der Berggorillas in Ruanda“, erklärt er. „Aber das ist nur eine der Arten Regenwald, die es gibt, und alle haben eine besondere Rolle auf diesem Planeten.“
Neben dem tropischen Regenwald, in dem durchschnittliche Temperaturen von 21 bis 30 Grad Celsius herrschen und es bis zu 1000 Zentimeter pro Jahr regnet, gibt es den gemäßigten Regenwald und seine kleine Schwester, den kühlen borealen Regenwald. Man findet gemäßigte Regenwälder zum Beispiel in Japan oder Südafrika oder eben hier, im Pacific Temperate Rainforest in Nordamerika, dem größten seiner Art weltweit. Er erstreckt sich von Nordkalifornien bis Alaska. Hier fallen nur zwischen 150 und 500 Zentimeter Niederschlag jährlich, doch durch die geringere Temperatur und Verdunstung ist die ewige Feuchtigkeit, die einen Regenwald auszeichnet, auch hier gegeben.
Die Mammutbäume und die riesigen Schwertfarne und Heidelbeersträucher, die an der Westküste der USA wachsen, können über fünf Liter Flüssigkeit am Tag aufnehmen. Im Gegensatz zum Amazonas herrschen in den Regenwäldern des Pazifiks Jahreszeiten, im Sommer wabert der Nebel, im Winter liegt Schnee.
Wie eine Klimaanlage
Wenn DellaSala über dieses einzigartige Ökosystem spricht, hört man ihm an, wie sehr er es liebt. „Gemäßigte Regenwälder haben nicht die spektakuläre endemische Artenvielfalt ihrer tropischen Pendants, aber dafür ein Vielfaches von deren Biomasse“, erzählt er. „Es gibt eine gewaltige Dichte an Moosen und Flechten, unglaublich viele Vogelarten. In den Regenwäldern Alaskas finden sich Grizzlybären und die reichsten Lachsströme der Welt.“
Gemäßigte Regenwälder funktionieren wie eine riesige Klimaanlage. Durch ihren Wasserkreislauf halten sie die regionalen Temperaturen kühl. Spürbar wird das, wenn man vom Hinterland Kaliforniens gen Küste fährt: pralle Sonne und 30 Grad in San José, angenehme 21 Grad in den Wäldern um San Francisco, nur eine Autostunde nördlich. Neben Flüssigkeit speichern die Bäume vor allem Unmengen von CO2. Im Pacific Temperate Rainforest sind es mehr als 1.500 Tonnen pro Hektar. Er ist der dichteste oberirdische CO2-Speicher der Welt, dichter als der Amazonas-Regenwald, in dem durchschnittlich nur 250 Tonnen Kohlenstoffdioxid pro Hektar lagern. Allerdings: Vom tropischen Regenwald ist noch viel mehr übrig als vom gemäßigten. „Vor der Kolonialisierung bedeckten die gemäßigten Regenwälder große Flächen der amerikanischen Küsten, auch die von Europa und Asien. Aber wir Menschen haben über siebzig Prozent zerstört“, sagt DellaSala.
Moment. Regenwald in Europa?
Auch DellaSala konnte es kaum glauben, erzählt er. Im Laufe seines Lebens bereiste er für seine zahlreichen Bücher und Studien über gemäßigte Regenwälder die ganze Welt. Eine dieser Reisen führte ihn nach Schottland, das für die karge Schönheit der Highlands berühmt ist. Doch diese Landschaft ist das Ergebnis brutaler Rodung. Einst war die ganze Küste von Großbritannien und Irland mit dem sogenannten Keltischen Regenwald bedeckt. DellaSala, der von seinem Zuhause in Oregon riesige Mammutbäume gewöhnt war, fand sich plötzlich in verwunschenen Eichenhainen mit kleinen, knorrigen Bäumen wieder. Doch auch hier herrschte der Nebel, typisch für einen gemäßigten Regenwald.
„Heute gibt es ihn in Europa zum Beispiel noch im Kaukasus, in Georgien. In Großbritannien ist heute gerade mal ein Prozent der Fläche mit Regenwald bedeckt. Vor ein paar hundert Jahren war es noch die gesamte britische Küste. Während in den USA vor allem die Holzindustrie die Wälder ausdünnt, sind es im Vereinigten Königreich die Weideflächen für Schafe, Wild und Rinder.“
Wie kann der Westen, der oft am lautesten den Schutz des Amazonas-Regenwalds fordert, seine eigenen Regenwälder retten, Herr DellaSala? „Zuallererst, indem wir sie Regenwälder nennen“, sagt er.
Die Umweltbewegung in Großbritannien tut das bereits. Für seine Online-Aufklärungskampagne „The Lost Rainforests of Britain“ arbeitet der britische Naturschützer Guy Shrubsole mit der emotionalen Macht dieses Wortes, von dem mittlerweile fast jede:…
Gemäßigte Regenwälder haben eine gewaltige Dichte an Moosen und Flechten.
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