Biodiversität in der Stadt

Wie Freiwillige in Berlin eine Düne retten

In Wedding steht eine Sanddüne aus der Eiszeit. Ein Gruppe von Berliner:innen, die sich im Naturschutzbund engagieren, kümmert sich liebevoll um sie. Der Naturschutz auf kleinstem Terrain funktioniert prima.

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Drei Minuten zu Fuß vom U-Bahnhof Afrikanische Straße in Berlin-Wedding steht eine 10.000 Jahre alte Düne. Ihr Hüter heißt Christopher Hartl, hoch gewachsen, schulter-langes blondes Haar, freundliche blaue Augen. Er ist ein paar Minuten zu spät, als er einen Kinderwagen vor sich herschiebend auf das Metalltor zusteuert, das seinen Schützling gegen die Stadt abschirmt. Vor den Gitterstäben hat sich eine kleine Gruppe Menschen eingefunden: Manche sind zum ersten Mal hier und treten etwas unsicher von einem Fuß auf den anderen, andere begrüßen sich herzlich. „Wir gehen erst mal rein, guckt euch auf der Düne um!“, sagt Hartl, während er aufschließt. Wir gehen durchs Tor und betreten eine unerwartete Idylle. Ein von Pflanzen gesäumter Pfad führt vorbei an Blumenbeeten und Gewächshäusern zu der einzigen innerstädtischen Binnendüne Deutschlands. Aus weißem Sand türmt sie sich auf, durchsetzt von Gräsern und blühenden Blumen. Auf ihrem Gipfel thronen ein paar Kiefern und eine Eiche. Dahinter: ein Baumarkt.

Die Weddinger Düne ist ein letztes Überbleibsel des Berliner Urstromtals, das entstand, als die großen Gletscher der Eiszeit schmolzen. Hartl kniet sich hin und sucht nach einer Stelle, „wo der Fuchs mal wieder gegraben hat“. Er hebt vorsichtig eine Prise Sand hoch und lässt sie wieder auf den Boden rieseln. „Der Sand ist feiner als an einem Strand. Erst hat der Eisschild, der die Düne bedeckte, den Sand durch Reibung immer mehr zerkleinert, dann der Wind.“ Die Freiwilligen der AG Düne Wedding, ein Projekt des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu), holen Schubkarren und Werkzeug aus dem Schuppen und strömen aus. Betrachten kritisch die Decke aus Humus und Kiefernnadeln, die die Düne heute statt des Gletschereises bedeckt. Dann heißt es jäten, jäten, jäten. Hartls kleiner dreijähriger Sohn sitzt im Sand und buddelt begeistert.

Unsere Aufgabe ist es, fremde Pflanzenarten zu entfernen und die heimischen Arten zu fördern“, erklärt Hartl. Der Sand der Düne ist weich, hält kaum Wasser und ist nicht sehr nährstoffreich. Auf diese Bedingungen haben sich zahlreiche Pflanzenarten spezialisiert, die auf der Roten Liste von Berlin und Brandenburg stehen. Die hübsche Sand-Strohblume, die gelb zwischen den Gräsern blüht, die Sand-Segge oder das stachelige Silbergras. Schützt man den Sand nicht vor hier fremden Pflanzen wie der Robinie, breiten diese sich aus und düngen die Düne so stark, dass irgendwann die ursprüngliche Flora verdrängt wird. Auch Tiere hängen von dem speziellen Biotop ab, die Zauneidechse, Schmetterlinge, Käfer und Heuschrecken.

Nirgendwo in Deutschland gibt es so viele Binnendünen wie im sandigen Berlin-Brandenburg. Doch das Biotop wird seltener: Wo früher Bison-Herden die Sandberge abgrasten und so erhielten, stehen heute Städte, die Sand zum Bauen nutzten und dafür Dünen abtrugen. Und so ist die Düne Wedding die letzte ihrer Art im urbanen Raum.

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Naturschutz in Berlin: Die Düne als Refugium für bedrohte Arten

Dass die Düne überhaupt so lange überleben konnte, ist das Verdienst des Schul-Umweltzentrums Mitte, auf dessen Gelände sie liegt. In den 50er-Jahren erstand die städtische Gartenarbeitsschule das Gelände, Schüler:innen pflegen hier Obstbeete, ziehen Nutzpflanzen, betreiben Aquaponik, die Gemüseanbau mit Fischhaltung kombiniert. 1976 wurde die Düne zu einem Naturdenkmal, seit 2002 hat sie dank des Berliner Naturschutzgesetzes ein Recht auf ihre natürliche Bodengestalt: Trockensand.

Seit zehn Jahren kümmern sich die Nabu-Freiwilligen um die Düne. Eine, die seit letztem Winter dabei ist, ist die junge Anne-Marie Weiß. „Das ist Blaugrünes Schillergras, das ist Storchschnabel“, erklärt sie den anderen. Sie diskutiert oft lange mit Christopher Hartl, bevor eine Pflanze ausgegraben wird, manchmal sind die Unterschiede zwischen erwünschten und unerwünschten Gästen sehr fein, die Balance muss stimmen. Weiß arbeitet für die Stiftung Naturschutz Berlin, von der die AG viele Samen bedrohter Dünenpflanzen bekommt. So wird die Düne zum Refugium für solche Arten, manchmal werden die Samen sogar zu anderen Dünen in Deutschland geschickt.

Tanja, die eigentlich anders heißt, ist heute zum ersten Mal dabei. Sie stellt sich in den Schatten eines Baumes, es ist ein heißer Maitag, die Arbeit hart. „Meine Kinder sind groß, ich habe etwas mehr Zeit und wollte etwas Sinnvolles tun.“

„Wie ein Tag an der Ostsee“

Für andere steht das Naturerlebnis im Mittelpunkt. „Es hat für mich etwas Kontemplatives, Beruhigendes. Es ist wie ein Tag an der Ostsee!“, sagt eine Ehrenamtliche. Unterstützung erhalten die Freiwilligen auch von Unternehmen wie Starbucks oder Bloomberg, die an „Social Days“ mit 20, 30 Leuten die Düne pflegen. Wegen der Pandemie geriet die Zusammenarbeit mit großen Gruppen ins Stocken, nun will die AG wieder gezielt auf Firmen zugehen. Jeden zweiten Sonntag im Monat treffen sich die Helfenden, zwischen Mai und Oktober. Danach macht Regen die Düne so rutschig, dass beim Betreten zu viel Sand abgetragen würde. Ein generelles Begehverbot wäre nicht gut, der Sand muss aufgelockert werden.

Hartl: „Wir vertreten sozusagen die Bisons.“ Sein Highlight: Vor einigen Jahren sah er etwas Blaues zwischen den Blumen flattern. „Wenig später, im Hochsommer, war es auf einmal ein ganzer Schwarm.“ Die Blauflügelige Ödlandschrecke war zurück, eine stark gefährdete Art: Mit eingeklappten Flügeln sieht sie aus wie eine gewöhnliche Heuschrecke, breitet sie ihre Schwingen aus, wird sie zu einem feenhaften Falter. Dennoch macht sich Hartl nichts vor. „Wir leisten hier nur einen kleinen Beitrag zum Artenschutz. Aber wir schaffen ein Bewusstsein für Natur – und glauben an die Macht von Umweltbildung.“

Bild: Morgane Llanque

Zwischen diesen Bäumen mitten in der Hauptstadt kann man die blauflügelige Ödlandschrecke entdecken, eine stark gefährdete Art – und ein feenhafter Falter.

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