Ein Krater zieht sich durch Erftstadt-Blessem, braune Fluten reißen Gebäude und Ackerland mit sich. Autos schwimmen an Fachwerkhäusern vorbei, als wären sie Spielzeug. Der Regen lässt nicht nach, tagelang suchen Einsatzkräfte nach Vermissten, einige Ortsteile in der Eifel sind nicht einmal mit dem Boot erreichbar.
Diese Bilder flimmern auch rund 8.000 Kilometer entfernt in Mosambik auf dem Fernseher von Familie Chikono. „Es hat mir sehr wehgetan, diese Nachrichten zu sehen, ich habe richtig mitgelitten“, sagt Antonia Teixeira Chikono im Juli am Telefon. Es ist erst zwei Jahre her, dass auch sie ihr Haus verloren hat, als der Zyklon Idai über die mosambikanische Küste fegte.
Ortsbesuch in Nhangau im Frühjahr 2020. Antonia Chikono wohnt fünf Kilometer vom Indischen Ozean entfernt, die Fahrt von der Hafenstadt Beira führt auf einer sandigen Piste vorbei an Feldern mit Maniok, Reis und Mais. Ihr Mann Vengai Chikono, der sie in all ihren Projekten unterstützt, übersetzt aus dem Portugiesischen, als die 45-Jährige uns durch ihren blühenden Garten führt. An einer Seite des Grundstücks sind Hunderte Setzlinge von Cashewbäumen aufgereiht, der Sturm hat vielen Dorfbewohnern alles genommen. Warum sie aus eigenen Stücken für die Nachbarinnen Bäume ziehen? „Ich denke, ein Aktivist ist jemand, der die Bedürfnisse der Community sieht und dann handelt“, sagt sie und ihre Augen leuchten.
Wir stehen vor dem Raum, in dem einst ihre Bücherregale untergebracht waren. Besser gesagt: Vor der bröckeligen Wand, die noch vom alten Haus übrig geblieben ist – überall in der Region sieht man noch Schutt liegen. Antonia erinnert sich genau an die Nacht des Sturms, der mit Windgeschwindigkeiten von 165 Stundenkilometern auf die Küste trifft: Ihre Tochter ist gerade mit dem neugeborenen Baby zu Besuch, Antonia bugsiert die ganze Familie ins Wohnzimmer. Als der Wind gegen Mitternacht das Dach wegreißt, steigt das Wasser rasend schnell. In letzter Minute sammelt sie die Pässe und Dokumente der Familie zusammen und bindet sie sich in einer Klarsichtfolie um den Bauch. Erst im Morgengrauen habe sie das ganze Ausmaß der Zerstörung gesehen, erzählt sie.
Die Sturmwarnungen im Radio kannte die siebenfache Mutter gut, sie gehören zum Leben an der mosambikanischen Küste dazu. Aber in jener Nacht vom 14. auf den 15. März 2019 ist alles anders: „Wir hatten keine Ahnung, wie schlimm es wirklich werden würde. Wir konnten uns einfach nicht vorstellen, dass die Vorhersagen über Idai stimmten.“
Zyklon Idai sprengt die Rekorde, nie ist auf der südlichen Hemisphäre ein Sturm zerstörerischer gewesen. Über tausend Menschen sterben, Hunderttausende verlieren ihr Zuhause oder ihre Lebensgrundlage, weil die Überschwemmungen die Ernte vernichten. Die Schäden beziffern sich auf über anderthalb Milliarden Euro, fast fünfzehn Prozent der jährlichen mosambikanischen Wirtschaftsleistung. Noch ein Jahr nach dem Sturm sind nicht alle Krankenhäuser wieder aufgebaut; zwei Jahre später, mitten in der Pandemie, fegt ein weiterer Zyklon über die Region – weitgehend unbeachtet von der weltweiten Öffentlichkeit.
Doch die Wissenschaft zeigt sich alarmiert. Seit im Jahr 2019 Tausende Forschende erstmals in einem offenen Brief von einem Klimanotstand gesprochen haben, sei es weltweit zu „einem beispiellosen Anstieg klimabedingter Katastrophen gekommen“, heißt es in einem neuen Brief der Verfasser. Im August 2021 ist der neueste Report des Weltklimarates IPCC erschienen, der zum ersten Mal Extremwetterereignisse aufgreift und zeigt, dass Starkregen, Hitzewellen und Dürren durch die menschengemachte Klimakrise deutlich an Intensität und Häufigkeit zunehmen.
Anstatt auf die Umsetzung von Klimazielen im Jahr 2030 zu hoffen, wird Antonia Teixeira Chikono selbst aktiv. In den Wochen nach Zyklon Idai organisierte sie mit ihrem feministischen Netzwerk GMPIS Hilfe für die Frauen in der Region, die bei humanitären Organisationen oftmals leer ausgingen: Witwen, Schwangere, alleinerziehende Mütter, Frauen mit Behinderung. Ihnen habe Idai am meisten Probleme bereitet, sagt Chikono. „Frauen konnten sich nicht so schnell in Sicherheit bringen wie Männer, mussten sich um die Kinder kümmern.“
Von der überwältigenden internationalen Spendenbereitschaft für ihr Projekt auf der Plattform Gofundme ist sie bis heute gerührt. Am wichtigsten sei aber der Zusammenhalt in der Gruppe gewesen. „Es hat mein Leben verändert, zu merken, was wir gemeinsam schaffen können.“
Die Dorfgemeinschaft ist aber nicht das Einzige, was in der Krise hilft. Mucandala, Mugorongo, Mutumbutumbu heißen die anderen Verbündeten in der Lokalsprache: Mangroven, ein grüner Schutzwall an der Küste, der bei Stürmen die Wellen bricht und den Wind ausbremst. Mit Kleinbäuerinnen und Fischern aus den benachbarten Dörfern haben Antonia und Vengai Chikono deshalb das Comité dos Mangais gegründet. Mindestens einmal die Woche sammeln sie seither mit dem Komitee ehrenamtlich Samen und ziehen Setzlinge, damit neue Mangrovenwälder wachsen können. Sie gedeihen dort, wo andere Pflanzen sofort absterben würden: in der sengenden Hitze, zwischen Ebbe und Flut im Salzwasser – Überlebenskünstler wie die Dorfbewohnerinnen selbst.
Keine technische Erfindung schützt Küstenregionen so kostengünstig, effektiv und nachhaltig vor Erosion wie die Wurzeln der Mangroven. Würde man diese Ökosystemdienstleistung in Geld umrechnen, schätzen Studien den Wert von Mangroven auf bis zu 1,5 Milliarden Euro – jährlich. Peter Sheng, emeritierter Professor an der Universität Florida, setzt sich seit über zehn Jahren mit dem Wert von Mangroven auseinander. Seine 3D-Simulationen zeigen, dass Mangroven bei tropischen Wirbelstürmen Überflutungen im Landesinneren um bis zu 40 Prozent reduzieren können. Wie groß der Schutz ist, hängt von der Dichte des Blattwerks und der Gesundheit der Pflanzen ab. „Nachdem unsere Studien veröffentlicht wurden, gab es plötzlich großes Interesse vonseiten der Regierung von Florida und der betroffenen Kommunen“, sagt Sheng – im virtuellen Hintergrund seines Zoombildschirms: ein verwunschener Mangrovenwald. Mangroven bremsen nicht nur Stürme aus, sondern speichern gleichzeitig große Mengen CO2. Sie bekämpfen Ursache und Auswirkung der Klimakrise.
Trotzdem werden sie weltweit abgeholzt. Noch im Jahr 2000 war Mosambik das afrikanische Land mit dem zweitgrößten Mangrovenvorkommen, seither sind rund 60.000 Hektar verschwunden. Die größte Zerstörung geht auf Infrastrukturprojekte zur Ausbeutung der riesigen Gasvorkommen zurück, die vor der Küste im Norden Mosambiks gefunden wurden. Auch wo für die internationale Bauindustrie Sand abgebaggert wird, ist für Mangroven kein Platz mehr. In Chikonos Provinz Sofala ist das größte Problem für die Mangroven allerdings nicht der Reichtum an Ressourcen, sondern vielmehr: die Armut.
Wir treffen Silva Ferrão, ein Mitglied des Mangroven-Komitees, im März 2020 mittags am Strand vor Nhangau. Er führt uns durch die Mangroven bis zu einer Lichtung. Hunderte Baumstümpfe stehen da, kurz über dem Boden abgeschlagen, ein einziges Schlachtfeld. Er bleibt ein paar Momente still stehen. „Der Zyklon hat im Dorf viele Häuserzerstört“, sagt Ferrão. „Eigentlich ist es verboten, die Mangroven zu fällen, aber nach dem Sturm gab es für viele Fischer keine andere Möglichkeit, ihr Zuhause wieder aufzubauen.“
Wir laufen ein Stück weiter, immer wieder bleiben unsere Schuhe im Schlick stecken. Er könne die Fischer verstehen, sagt Ferrão, auch er lebt vom Fischfang: Der Sturm habe die Fischpopulationen vertrieben, monatelang gab es kein Einkommen und von der Regierung war keine Nothilfe zu erwarten. Aber Ferrão weiß, wie wichtig die Mangroven für die ganze Gemeinde sind. Deshalb hilft er Antonia und Vengai Chikono dabei, für das Thema zu sensibilisieren: in Schulklassen, beim Einholen der Netze, am Tresen des Dorfkiosk.
Gemeinsam haben sie sich etwas ausgedacht, um mehr Fischerfamilien zu motivieren, bei der Aufforstung mitzuhelfen. Nach dem Zyklon hat Vengai Chikono angefangen, in den Mangroven Bienen zu halten, die bei der Bestäubung helfen und Honig produzieren sollen. „Man muss den Leuten Anreize schaffen“, sagt er. Wenn er erst einmal 100 Bienenvölker in die Mangroven gebracht hat, will er den rötlichen Honig auf dem Markt in der Küstenstadt Beira verkaufen. „Alle vier Monate 1.200 Liter – ein gutes Extra-Einkommen für die Familien.“ Um richtig zu starten, fehlt noch Geld für die Imkerausrüstung und die Bienen-
Königinnen. Arbeiterinnen, Honig, finanzielle Unabhängigkeit, all das würde dann von allein kommen, ist er sich sicher.
Als wir das Ehepaar Chikono an einem Vormittag im August 2021 via WhatsApp-Call anrufen, kommen sie gerade vom Aufforsten. Ihre Gummistiefel sind schlammig, Antonias Stimme ist heiser vom Anleiten der Gruppe. Bisher sind es hauptsächlich Frauen, die regelmäßig bei den Treffen des Komitees auftauchen. „Aber es kommen immer mehr Fischer dazu“, sagt Antonia, sie wirkt erfüllt. Auch Forscher aus der Hauptstadt Maputo und die Kommunalregierung waren schon zu Besuch. „Es ist das Einzige, was mir zur Zeit Hoffnung gibt: dass wir und die Mangroven gemeinsam unser Dorf schützen können.“ 1.500 Samen haben sie an diesem Morgen in den Sand gesteckt, 1.500 Hoffnungen auf ein kleines grünes Herz, das bis zum nächsten großen Zyklon als ausgewachsener Baum Wind und Wellen standhält.
Theresa Leisgang und Raphael Thelen: „Zwei am Puls der Erde – Eine Reise zu den Schauplätzen der Klimakrise“, 2021 erschienen bei Goldmann.
Die Aktivistin Antonia Teixeira Chikono setzt sich in Mosambik für die Bedürfnisse ihrer Community und den Schutz von Mangroven ein. Die tropischen Küstenbäume bremsen nicht nur Stürme aus, sondern speichern gleichzeitig große Mengen CO2. Sie bekämpfen Ursache und Auswirkung der Klimakrise.