Das Gesicht einer hellhäutigen Frau verwandelt sich in das eines Schwarzen Mannes. Im Takt zu einem melancholischen Beat transformiert sich das Antlitz immer weiter. Aus dem Off ertönt eine Stimme mit britischem Akzent: „In den letzten 40 Jahren haben die Eigentümer von physischem, finanziellem und geistigem Eigentum einen wachsenden Anteil am Einkommen erhalten, während der Anteil der Menschen, die auf Arbeit angewiesen sind, geschrumpft ist. Heute steht eine winzige, obszön wohlhabende Plutokratie (…) einem wachsenden Prekariat gegenüber. Obwohl es kein Allheilmittel ist, würde das Recht auf ein Grundeinkommen Millionen vor wirtschaftlicher Not retten und Obdachlosigkeit, Selbstmorde und Hunger eindämmen!“
Weltweite Modellversuche
Spätestens seit diese Rede des britischen Ökonomen Guy Standing im Juli 2020 von Massive Attack in deren Song „Eutopia“ gesampelt wurde, war klar: Noch nie hatte das Thema Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) eine solche Aufmerksamkeit, wie seit der Pandemie. Von Berlin bis Seoul wurde die Idee einer von Wohlstand und Erwerbsarbeit losgelösten Grundsicherung in Parlamenten diskutiert. In Deutschland gab es eine Petition, die die sofortige Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens als Reaktion auf die Wirtschaftskrise forderte. In den USA taten sich Bürgermeister:innen im ganzen Land zusammen und führten ein lokales Grundeinkommen ein, das vor allem an People of Color ausgezahlt wird, um strukturellen Rassismus zu bekämpfen. Der ehemalige Präsidentschaftskandidat Andrew Yang will mit seiner BGE-Kampagne Bürgermeister von New York City werden. Weltweit entstehen immer mehr regionale Versuche zum BGE. Einer davon ist die „Expedition Grundeinkommen“, die von einem Berliner Verein geleitet wird. Das Konzept: Seit Februar 2021 kann jede deutsche Kommune durch das Sammeln von Unterschriften ein Volksbegehren auf den Weg bringen, bei dem Einwohner:innen für ein lokales BGE stimmen können. Bei Erfolg soll die jeweilige Gemeinde ab dem Jahr 2023 ein Grundeinkommen in der Höhe von etwa 1.200 Euro drei Jahre lang an teilnehmende Einwohner:innen auszahlen. Die Finanzierung müssten die Kommunen selbst aufbringen: etwa aus den kommunalen Haushaltsbudgets für Entwicklung und Soziales.
„Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) befürwortet die Hälfte der Bevölkerung ein Grundeinkommen und mehr als die Hälfte wünscht sich einen Modellversuch. Diesen Modellversuch wollen wir demokratisch auf den Weg bringen“, sagt Laura Brämswig, eine der Gründer:innen der Initiative „Expedition Grundeinkommen“. Ihr Traum: Die ersten Volksentscheide sollen bereits gemeinsam mit der Bundestagswahl im Herbst 2021 stattfinden. Kommt es zu einem Versuch, hat sich unter anderem das DIW zu einer wissenschaftlichen Begleitung des Experiments bereit erklärt, das bereits den ersten Versuch zum BGE auf Bundesebene vom Verein „Mein Grundeinkommen“ begleitet.
Eine der Städte, die sich schon für den Versuch qualifiziert haben, ist Lüneburg. In der Hansestadt sind bislang etwa 900 Menschen zusammengekommen, die das Bedingungslose Grundeinkommen in ihre Heimat bringen wollen. Unter Ihnen die 50-jährige Bea Novack*. Ihr Gerechtigkeitssinn hat sie zu dem Verein gebracht: sie findet die Lohnunterschiede in Deutschland für verschiedene Berufe willkürlich und unfair. „Manche beziehen ein sehr niedriges Arbeitslosengeld I, bekommen danach menschenunwürdige Hartz-IV-Sätze. Leute in der Pflege verdienen viel zu wenig. Andere fallen durch ihre psychische Krankheit aus dem kapitalistischen System und verlieren ihre Wohnung. Das kann jedem passieren.“ Novack selbst hat beides erlebt: den Luxus eines Führungskraftgehalts – und die Armut nach einem Burnout, das sie krank und arbeitsunfähig machte. Für sie ist das Bedingungslose Grundeinkommen daher die einzig logische Lösung für ein solidarisches System.
„Bedingungsloses“ Grundeinkommen…
Koreanisches Geld: Die südkoreanische Provinz Gyeonggi erregte 2019 Aufsehen: Alle 24-Jährigen Einwohner:innen erhielten ein Grundeinkommen, gefördert durch Mittel der Lokalregierung. Als die Pandemie kam, beschloss die nationale Regierung die zusätzlichen Einkommen allen Bürger:innen auszuzahlen.