Als Andrea Herold vor vier Jahren ihre Arbeit verlor, fiel für sie mehr weg als das Einkommen. Sie verlor die Gewissheit darüber, wer sie ist – als Mensch. „Es hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen“, sagt die heute 58-Jährige. Fast 35 Jahre lang hatte die Österreicherin im Einkauf in derselben Firma gearbeitet. „Verantwortungsvoller Job, weltweit Kontakte. Ich bin in der Arbeit aufgegangen.“
2019 ging die Firma in Konkurs, Herold verlor die Stelle, rutschte in eine Depression. „Ich hatte das Gefühl, dass es keinen Grund mehr gab, morgens aufzustehen.“ Nicht einmal war sie in jenem Jahr in ihrem Garten, manchmal fehlte ihr die Kraft zum Zähneputzen. Nur wenn ihre beiden Kinder zu Besuch kamen, tat sie alles, um zumindest einen Teil der Fassade als starke Mutter aufrechtzuerhalten.
Staatliche Jobgarantie ohne Zwang
So wie Andrea Herold geht es vielen langzeitarbeitslosen Menschen ohne Aussicht auf eine neue Stelle. In Herolds Alter sind die Chancen auf einen neuen Job gering, erst Recht mit Depressionen. Als in dem niederösterreichischen 3.600-Einwohner:innen-Ort Gramatneusiedl, in dem sie wohnt, 2020 ein Experiment beginnt, ist Herold noch in Therapie. 2022 stößt sie hinzu. Damit beginnt ein neuer Lebensabschnitt – mit Jobgarantie. Denn allen Langzeitarbeitslosen wird ein Job geboten – je nach ihren körperlichen und psychischen Möglichkeiten. Ob man eine Arbeit annimmt, entscheidet jede:r selbst. Es ist eine staatliche Jobgarantie, keine Arbeitspflicht. Zudem können die Teilnehmenden über ihre Einsatzfelder mitentscheiden.
Forschende der Universitäten Oxford und Wien haben das Projekt wissenschaftlich begleitet. Die Ergebnisse sind ermutigend: Eine Jobgarantie kann ein hilfreiches zusätzliches Programm im Besteckkasten der Maßnahmen für Erwerbsarbeitslose sein. Das Experiment rückt nebenbei eine Annahme zurecht, die auch in Deutschland oft wie ein Naturgesetz behandelt wird: dass es Zwang und Kontrolle braucht, um arbeitslose Menschen zur Arbeit zu bewegen. Vielmehr scheint es andersherum zu klappen: mit Unterstützung, Ermutigung und Vertrauensbildung.
Angestoßen haben das Experiment die Ökonomen Maximilian Kasy und Lukas Lehner von der Universität Oxford, zusammen mit Sven Hergovich, dem damaligen Leiter des Arbeitsmarktservice (AMS) Niederösterreich. Der AMS ist so etwas wie das Jobcenter hier. Gemeinsam wollten sie herausfinden, was geschieht, wenn alle einen Job bekommen, die einen haben möchten. Einfach so. Nur eine achtwöchige Vorbereitung gehört zum Programm.
Arbeitslosigkeit führt zu Apathie und Depression
<…Die Jobgarantie hilft den Teilnehmenden zurück ins Leben zu finden.