Seit vier Jahren sucht Sophie Dowding nach einem Weg, sicher zu verhüten. Drei Östrogen-Gestagen-Kombinationspräparate, eine Mini-Pille und die Kupferspirale – alles frustriert die 20-jährige Psychologiestudentin. Die Kupferspirale ist verrutscht und daher unsicher geworden. Die Nebenwirkungen der Pille wiederum empfindet sie als „schrecklich“: Akne, Stimmungsschwankungen, Kopfschmerzen bis hin zu Ohnmachtsanfällen wegen gesenkten Blutdrucks. Ihren Mitbewohnerinnen in Liverpool geht es ähnlich. Doch an einem Abend im Februar lässt sie die Netflix-Reihe Explained: Sex aufhorchen. Kurz wird in der Folge zu Schwangerschaftsverhütung eine hormonfreie Pille gezeigt. Saheli, so ihr Name, gibt es seit fast 30 Jahren – jedoch nur in Indien. Was hat es damit auf sich?
Das Arzneimittel enthält 30 Milligramm des Wirkstoffs Centchroman beziehungsweise Ormeloxifen. Beide Namen sind gebräuchlich. Der Arzneimittelwirkstoff gehört zur Gruppe der sogenannten Selektiven Estrogenrezeptormodulatoren (SERM). Ormeloxifen hemmt die Östrogenrezeptoren in der Gebärmutter. Die Chance, dass sich dort eine Eizelle einnisten kann, eine Grundvoraussetzung für eine Schwangerschaft, sinkt deutlich. Die hormonelle Tätigkeit des Eierstocks bleibt hingegen unverändert. Ormeloxifen soll in höherer Dosierung auch nach ungeschütztem Sex wirken, als Notfallverhütungsmittel. Der Wirkstoff ist hormonfrei, wirkt jedoch hormonähnlich. Der Hersteller bezeichnet die Empfängnisverhütung als nicht-steroidal.
Im weiblichen Körper regeln eigentlich die Steroidhormone Progesteron (körpereigenes Gestagen) und Östrogen im richtigen Zusammenspiel die Entstehung und Erhaltung einer Schwangerschaft. Im Falle gängiger empfängnisverhütender Pillen werden eben diese Hormone eingesetzt, um genau das zu verhindern. Sie unterbinden etwa den Eisprung. Das kann jedoch die genannten Nebenwirkungen mit sich bringen. Nichts davon soll es aufgrund der anderen Wirkungsweise, so das Versprechen des Herstellers, bei dem indischen Präparat Saheli geben. Nach den ersten drei Monaten mit zwei Pillen wöchentlich, reicht langfristig eine pro Woche.
Doch Ormeloxifen kann den Zyklus verlängern. Laut Richtlinien des indischen Ministeriums für Gesundheit und Familie und der an der Synthetisierung beteiligten Wissenschaftler*innen sei dies bei acht Prozent der Frauen und insbesondere während der ersten drei Monate der Fall. Während bei einer Verhütung mit Gestagen-Östrogen-Pillen weniger als eine von 100 Frauen ungewollt schwanger wird, sind es bei Ormeloxifen zwei von 100 Frauen, wie es in den staatlichen indischen Richtlinien dazu heißt. Die Verhütungsmethode sei vor allem deshalb „vielversprechend“, weil sie auch für stillende Frauen geeignet sei. In klinischen Studien mit stillenden Frauen konnte der Stoff nur in geringen Mengen in der Milch nachgewiesen werden, sodass dies keine Auswirkungen auf Säuglinge habe.
Verhütungsmittel als Teil staatlicher Familienplanung
Der Wirkstoff Ormeloxifen ist seit seiner Synthetisierung eng mit staatlichen Interessen zur Familienplanung und der Begrenzung des Bevölkerungswachstums in Indien verknüpft. Das im Jahr 1951 gegründete staatliche Central Drug Research Institute (CDRI) sollte eine erschwingliche Gesundheitsversorgung ermöglichen. In den 1960er-Jahren förderte die Regierung insbesondere die Forschung zu sicheren und besser verträglichen Alternativen zu hormonellen Verhütungspillen. Im Jahr 1967 konnte das CDRI Ormeloxifen synthetisieren, doch erst 1991 wurde der Wirkstoff zugelassen. Zwei Pharmaunternehmen bekamen die Lizenzen, im Jahr 1992 kam die Pille auf den Markt. Bis heute vertreibt das in einer internationalen Gruppe eingebettete Unternehmen Torrent Pharmaceuticals laut eigener Auskunft den Wirkstoff als Verhütungsmittel. Auch das staatliche Unternehmen HLL Lifecare (HLL) verkauft die Pillen unter dem Markennamen Saheli. Sie sind rezeptfrei in Apotheken erhältlich. Ein Streifen mit acht Tabletten wird für 25 Rupien verkauft, umgerechnet knapp 30 Cent.
Seit Mitte der 1990er wird die Verhütungsmethode staatlich bezuschusst, bis 1996 sollen sie bereits 100 000 Frauen erfolgreich genutzt haben. Um die Pille zu verbreiten und bekannter zu machen, erhält der staatliche Pharmakonzern HLL finanzielle Unterstützung: Für den Zeitraum März 2018 bis März 2019 waren das laut HLL-Jahresbericht 50 Millionen Rupien, das entspricht gut 580 000 Euro. Knapp 66 Millionen Tabletten Saheli hat HLL demnach im selben Zeitraum produziert. Seit April 2016 wird das Verhütungsmittel zudem unter dem Namen Chhaya im Rahmen des staatlichen Familienplanungsprogramms kostenlos in Apotheken, Krankenhäusern und Gesundheitszentren verteilt. Bis dahin setzten nationale Bemühungen, die Geburtenraten zu senken, vor allem auf die nicht ungefährliche und irreversible weibliche Sterilisation und machten sie zur häufigsten Verhütungsmethode in Indien. Über das staatliche Familienplanungspro…
Die hormonfreie Pille ist rezeptfrei in indischen Apotheken erhältlich.