Schwerpunkt: Schatzinseln

Wie sich Paris neu erfindet

Die französische Hauptstadt war lange bekannt für ihre schmutzige Luft und elitäre Stadtplanung. Nun will Bürgermeisterin Anne Hidalgo – die jüngst ihre Kandidatur für die französische Präsidentschaftswahl 2022 ankündigte – ökologische Entwicklung mit sozialen Projekten verbinden. Gelingt das? Ein Spaziergang durch Paris.

Als die berühmteste Kirche der Welt auf der Seine-Insel Île de la Cité inmitten von Paris Feuer fing, weinten und beteten die Menschen. Kurze Zeit später flatterten die gewagtesten Entwürfe von Architekturbüros aus aller Welt in das Pariser Rathaus, um den abgebrannten Dachstuhl der Kathedrale neu aufgebaut ins 21. Jahrhundert zu befördern. Darunter waren die Pläne des französischen Architekten Vincent Callebaut: Er träumte von einem Gewächshaus aus Kristall auf dem Dach der Notre-Dame. In einem Artikel über sein Projekt schrieb Callebaut: „Dieses Feuer ist ein Echo der gegenwärtigen Identitätskrise der Kirche sowie der ökologischen Herausforderungen, denen wir durch den Klimawandel gegenüberstehen.“

Seine Idee rief im Netz vielfach Entzücken hervor und wurde Tausende Male geteilt. Sie passt in den Zeitgeist eines neuen Paris, das eine nachhaltige und soziale Stadt sein will: das Paris von Bürgermeisterin Anne Hidalgo.

Unter ihrer Führung erlebt die französische Hauptstadt eine grüne Wiedergeburt: Im Kampf gegen Hitzeinseln lässt sie derzeit um den Eiffelturm, vor dem Rathaus und auf den Champs-Élysées Parks und Wälder anlegen. Im Juli hat sie ein Tempolimit von 30 Kilometern pro Stunde für ganz Paris durchgesetzt. Parallel dazu wird ein Großteil der Innenstadt verkehrsberuhigt. Wohin das Auge sieht, pesen Menschen auf den grünen und himmelblauen Leih-Fahrrädern der Stadt durch die Straßen. Eine Jahreskarte kostet nur 29 Euro.

Auch das Ufer der Seine, einst eine halbe Autobahn, wird nach und nach zur Flanierpromenade mit Stränden und Sportanlagen umgebaut. An der Brücke Pont Marie spielt ein Frauen-Trio fröhlichen Jazz vor dem Péniche Marcounet, einem Restaurant auf einem Lastkahn, vor dem die Gäste auf von Dünengras gesäumten Euro-Paletten einen Aperó zu sich nehmen. Die Straße davor hat sich durch Kreide in ein Kunstwerk verwandelt: zwei in die Unendlichkeit gestreckte Arme reichen sich die Hände.

All das in einer Stadt, die noch 2015 auf der Liste der Orte mit der weltweit schlimmsten Luftverschmutzung kurzzeitig vor Neu-Delhi den ersten Platz belegte und den Ruf genießt, fast keine Grünflächen zu besitzen. Hidalgo will die Stadt den Autos entreißen und den Pariser:innen zurückzugeben. Aber wirklich allen Pariser:innen?

Ein digitales Symposium über die Zukunft der Stadt im Juli. „Paris hatte bis in die 1970er nie einen Bürgermeister, es war im Besitz des Élysée-Palasts, keine Stadt für die Menschen“, sagt der Jurist Olivier Renaudie. Ansonsten sei es bei der Stadtplanung – wie im Rest der Welt – vor allem um die Vormacht des Autos gegangen. Seit den 60er-Jahren drückt die Ringstraße Boulevard périphérique der Stadt die Luft ab und trennt das Paris der orange beleuchteten Sandsteinbauten von den teilweise von Armut und Kriminalität geprägten Banlieues. Der Stadtkern kapselte sich von den Vororten ab, ist eine Insel innerhalb der Île-de-France selbst geworden.

Aufbruch in die 15-Minuten-Stadt

Auf dem Symposium präsentiert man nun das Projekt einer geeinten Metropole: auch die Vorstadtviertel sollen durch Parks und kulturelle Angebote lebenswerter werden. 100.000 Bäume sollen allein um die Périphérique gepflanzt werden. „Bis 2030 werden außerdem 60 neue U-Bahnstationen fertiggestellt sein, die die Vorstadt mit der Innenstadt verbinden“, erklärt Marine Binckli von Grand Paris Express, das den Bau der neuen Linien seit 2015 umsetzt. Das Metronetz wird nach der Erweiterung das größte Europas sein, noch vor London und Moskau. Ziel ist es, anstatt einer zentrierten Stadt eine Kiezkultur zu etablieren, ähnlich wie in Berlin. Hidalgo ist Verfechterin der sogenannten 15-Minuten-Stadt, in der man alles, was man zum Leben braucht, innerhalb einer Viertelstunde zu Fuß, auf dem Rad oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen kann.

Dafür sollen Dutzende „ökologische Viertel“ gebaut werden, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Eines davon in Pantin, einer eigenständigen Stadt, die aber zum Metropol-Raum von Paris gehört und als Stadtteil betrachtet wird. 2016 wurde es in einem Ranking der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur schmutzigsten Stadt Frankreichs gewählt. Heute residieren Luxusfirmen wie Hermès unmittelbar neben armen Hochhaussiedlungen. Die Mieten steigen.

Gleichzeitig gilt Pantin als wegweisend für den Anschluss der Banlieues an die Stadt: Mit dem Kulturpark Cité de la musique und der Philharmonie von Stararchitekt Jean Nouvel direkt an der Grenze zur Innenstadt wurden hier in den vergangenen Jahren Gebäude gebaut, die sich früher niemand an der Périphérique hätte vorstellen können.

Von der Metro-Station Hoche der Linie 7 geht es 15 Minuten durchs Viertel, bis man stillgelegte Schienen erreicht. Ein großes, in bunten Farben bemaltes Bahnhofsgebäude steht dort. Eine Gruppe von Menschen sitzt lachend auf rustikalen…

Bild: Jonas Freist-Held

Das Paris von Anne Hildago, der Bürgermeisterin: Straßen verwandeln sich in Kunstwerke, Autos werden immer mehr aus der Stadt verbannt. 

Weiterlesen