Für Inklusionsaktivist:innen ist die Lage eindeutig: Werkstätten für behinderte Menschen schaffen exklusive Strukturen und bewirken so das Gegenteil von Inklusion. Obwohl die Werkstätten behaupten, sie würden die Teilhabe am Arbeitsleben ermöglichen, schaffen sie eine Sonderwelt. Mehr noch: Das System der Behindertenwerkstätten verletzt die Menschenrechte. Deutschland hat 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ratifiziert. Sie gibt die klare Maßgabe, den Arbeitsmarkt inklusiv zu gestalten. Menschen mit Behinderungen haben laut UN-BRK das Recht, frei zu wählen, wo sie arbeiten möchten. Ebenso ist es ihr gutes Recht, ein Entgelt zu verdienen, mit dem sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können.
Inklusion: Werkstätten erfüllen ihren Auftrag nicht
All das ist bei Werkstätten für behinderte Menschen nicht der Fall. Dort haben Menschen mit Behinderungen wenig Kontakt zu Menschen ohne Behinderungen. Sie sind von Sozialhilfe abhängig und erhalten keine faire Bezahlung, die während der Pandemie oft noch gekürzt wurde. Werkstätten sind auch kein geschützter Raum. Sie müssen wirtschaftlich arbeiten. Gefertigt und gepackt wird auch für große, renommierte Unternehmen – nicht selten unter Zeitdruck wie am Fließband.
Anne Gersdorff und Silke Georgi
engagieren sich beide im Verein Sozialhelden in Berlin. Sie arbeiten seit Jahren am Projekt #JOBinklusive mit.Gleichzeitig erfüllen Werkstätten ihren gesetzlichen Auftrag nicht: Nur ein Prozent der behinderten Beschäftigten schafft es zurück auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Zahl an Beschäftigten in Werkstätten nimmt zu. Dort sitzen zum Teil hochqualifizierte behinderte Mitarbeiter:innen, denen einfach keine Alternative geboten wird. Um in einer Werkstatt tätig zu sein, müssen Menschen mit Behinderungen nicht mehr als drei Stunden arbeiten können und gleichzeitig ein Mindestmaß an Wirtschaftlichkeit erbringen. Darüber entscheiden Gutachten der Agentur für Arbeit oder der Rentenversicherung. Die Familie oder Lehrer:innen haben kaum Einfluss. Es kommt sogar vor, dass ein Betrieb bereit ist jemanden einzustellen, das aber nicht darf, weil ein Gutachten eine Arbeitsunfähigkeit ausweist.
Inklusive Arbeit in vielen Unternehmen möglich
Das öffentliche Geld, das in Werkstätten fließt, kann besser genutzt werden. Etwa um Menschen individuell zu begleiten, sodass sie inklusiv arbeiten können. Zahlreiche Beispiele zeigen, dass Menschen mit Behinderungen in selbst gewählten Betrieben arbeiten können. Sie müssen dort nur die Unterstützung bekommen, die sie brauchen. Sicher, Menschen mit Behinderungen, Lernschwierigkeiten oder psychischen Erkrankungen brauchen oft mehr Zeit. Unternehmen sind zumeist noch nicht auf ihre Bedürfnisse eingestellt.
Das lässt sich ändern: Die Unterstützung, die Menschen mit Behinderungen in der Werkstatt erhalten, können sie auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bekommen. Jobcoaches oder Arbeitsassistent:innen könnten eingesetzt werden. Das sind Menschen, die begleitend im Betrieb und bei der Einarbeitung helfen. Meist geschieht das über die sogenannte Unterstützte Beschäftigung, die es seit Jahren in Deutschland gibt. Arbeitgeber:innen können über das sogenannte Budget für Arbeit bis zu 75 Prozent des Bruttoentgelts für einen behinderten Beschäftigten bekommen. In Deutschland entstehen immer mehr Leistungsanbieter, die eine Alternative zu Werkstätten bieten. Doch leider kennt kaum jemand diese Optionen, weil die kleinen Vereine, die sich meist für eine Alternative einsetzen, keine Lobby haben – im Gegensatz zu den Werkstätten für behinderte Menschen.
Wir finden, jede:r kann etwas tun, um die Umsetzung von Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu fördern:
- Informiert euch über die Möglichkeiten, inklusiv zu arbeiten – und erzählt Menschen mit und ohne Behinderungen davon.
- Macht Menschen mit Behinderungen Mut, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu arbeiten.
- Macht Arbeitgeber:innen Mut, Menschen mit Behinderungen einzustellen.
- Wenn du die Möglichkeit hast, biete Menschen mit Behinderungen einen Arbeits- oder Praktikumsplatz an.
Inklusion statt Ausgrenzung: Wie hier auf einem Obst- und Gemüsehof in Sachsen könnten Menschen mit und ohne Behinderungen in vielen Unternehmen zusammenarbeiten.