Im Politikstudium wurde uns einge-bläut: Die Demokratie haben wir den alten Griechen zu verdanken. Weise Männer entwickelten hier ein ausgeklügeltes System, in dem männliche Bürger eines Stadtstaats gemeinsam und gleichgestellt politische Entscheidungen trafen. Frauen, Sklav:innen, Zugezogene, Männer unter 20 und sogar solche, die einen versklavten Elternteil hatten, durften nicht mitreden – ein Großteil der Bevölkerung war also unfrei und wurde von einer kleinen Gruppe von Männern beherrscht. Dennoch idealisieren wir die Demokratie im antiken Athen als das Gelbe vom Ei – eine Stufe der Zivilisation, die angeblich keine andere Kultur unabhängig von diesem Vorbild erreicht hat. Dieses Narrativ wird bis heute missbraucht, um nicht-westliche Kulturen als primitiv abzuwerten. Dabei hat es protodemokratische Regierungsformen in fast jedem Teil der Welt gegeben – wir reden nur nicht über sie.
Dafür taten das bereits manche der aufgeschlosseneren griechischen Männer. Von den Geschichtsschreibern Herodot und Diodor wissen wir, dass ein Volk des antiken Irans, die Meder:innen, ebenfalls eine Zeit lang in Stadtstaaten lebten. Dort herrschten keine Krönchenträger – die Macht lag bei gewählten Räten. Einen Vorläufer der konstitutionellen Monarchie, wie wir sie heute zum Beispiel noch im Vereinigten Königreich kennen, sehen manche Wis-senschaftler:innen im Partherreich, das sich vom Iran bis zum indischen Subkontinent erstreckte. Dort wurde der König vom sogenannten Magistan gewählt, einer Art Parlament mit zwei Kammern, welches selbst großen Einfluss auf den Monarchen und seine Politik hatte.
Völlig unabhängig von eurasischen Einflüssen entwickelte sich auch bei den Tlaxcaltek:innen – den bei uns weit weniger bekannten Nachbar:innen der Atztek:innen – in Lateinamerika ein Stadtstaatensystem, in dem der Tlatoani, wörtlich der Sprecher, von einem Älteste…
Historisches Dokument einer demokratischen Versammlung