Herr Loffeld, Zehntausende Menschen feierten den neuen Papst auf dem Petersplatz, es scheint ein seltsam anachronistischer Moment. Die Kirchenaustrittsstudie 2023 zeigt: Nur noch gut 23 Prozent der Deutschen sind katholisch, 20 Prozent protestantisch. Das ist nicht mal die Hälfte der Bevölkerung. Steht die Kirche vor dem Aus?
Jan Loffeld: Das glaube ich nicht. Der Anachronismus des Papstes ist natürlich unglaublich sexy. Wenn die Welt zwei, drei Tage auf den Schornstein des Vatikans schaut – in meiner Vorlesung an der Uni hatten wir das die ganze Zeit eingeblendet –, dann sehen wir, welche Gegenrealität Religion bildet. Aber das ist kein Zeichen für Glauben, sondern eher eine Form punktueller Wiederverzauberung, wie wir sie auch Weihnachten erleben können. Der Blick auf die reinen Zahlen zeigt, wie dramatisch Kirche und Glaube faktisch an Bedeutung verloren haben. Das Christentum gerät langsam in eine Minderheitenposition, prägt unsere Kultur allenfalls noch historisch. Doch die wesentliche Frage ist: Welche Rolle sollte es künftig spielen, was wollen wir als Gesellschaft? In Deutschland hat das kirchliche Christentum ja eine wichtige Funktion…
… es stellt Schulen, Krankenhäuser, Kitas…
Loffeld: … und was machen wir als Kirche, wenn wir die Kitas aus den 1970er-Jahren zum Beispiel nicht mehr sanieren können, weil wegen des Mitgliederschwundes das Geld fehlt? In einer Gemeinde meines Heimatbistums Münster gehen gerade die Eltern auf die Barrikaden, weil die kirchliche Kita geschlossen werden soll. Lange hat die Kirche ihr karitatives Engagement allerdings auch genutzt, um Mitglieder zu gewinnen und Leute zum Glauben zu bewegen. Wohltuend, dass es nun weniger passiert. Aber wer fängt das Engagement der Kirchen auf, wenn sie es nicht mehr leisten können? An der Kernfrage kommen wir zudem nicht vorbei: der nach dem Glauben.
Jan Loffeld
studierte katholische Theologie in Münster und Rom, wurde 2003 Priester, und ist seit 2019 Professor für Praktische Theologie an der Tilburg School of Catholic Theology in Utrecht. 2024 erschien sein Buch „Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt“ (Herder Verlag) über den Bedeutungsverlust von Religion in der Gesellschaft.Wird die Religion selbst vielen Menschen gleichgültig?
Loffeld: Ja, denn Glaube ist eben nicht mehr alternativlos. Die Menschen glauben an die eigene Zukunft, an die Familie, an eine wie auch immer geartete Idee, etwas für die Welt zu tun. Die Kirche dachte immer, wenn erst mal die große Frage nach dem Sinn und dem ewigen Leben käme, gäbe es keine Alternative, als nach Gott zu fragen. Aber jetzt sagen die Leute, wir wollen völlig frei bestimmen, sogar über den eigenen Tod. Diese Weltvorstellung ist nicht mehr kompatibel mit einer Religion, die sagt, dein Leben kommt aus Gott und mit Begriffen wie Vorsehung hantiert.
Franziska Schneider: Als Humanistischer Verband merken wir durchaus, dass es trotz der Abkehr von den Kirchen ein starkes Bedürfnis nach Orientierung …
Franziska Schneider ist Referentin beim Humanistischen Verband Deutschland (li.), Jan Loffeld ist Professor für Praktische Theologie in Utrecht.