Debatte im Journalismus

Was macht gutes Klima-Storytelling so schwer?

Warum tun sich Journalist*innen mit einer engagierten Berichterstattung zur Klimakrise oft schwer? Gerade nimmt eine Debatte dazu Fahrt auf. Es geht auch um die Identität einer Branche, die selbst in der Krise steckt.

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Als die Waldlandschaft im Osten Sibiriens noch eine Mammutsteppe war, war das Klima kalt und stabil. In der Eiszeit gehörte das Land großen Wildtieren. Heute taut dort der Permafrostboden. Der russische Wissenschaftler Sergey Zimov hat einen gewagten Plan, um das Ökosystem zu retten. Er will die Nachfahren der Arten von einst neu ansiedeln: Bisons, Yaks, Rentiere und sibirische Tiger. Denis Sneguirev unterstützt ihn dabei mit dem Dreh eines Dokumentarfilms. Storytellers wie ihm geht es schon lange nicht mehr nur um Informationsverbreitung – es geht um Impact. Deswegen gibt es für das Filmprojekt eine eigene „Impact Producerin“.

Im Journalismus ist eine neue und zugleich alte Debatte entbrannt: Was ist erlaubt, wenn es um den Erhalt der Ökosysteme und ihrer Bewohner*innen geht? Die Journalistin Sara Schurmann ruft Kolleg*innen in einem offenen Brief seit September dazu auf, endlich Haltung zu zeigen. „Wir können das Versagen der Politik nicht einfach nur protokollieren.“ Ihr Appell: Journalist*innen aller Ressorts sollen die Klimakrise in ihrem ganzen Ausmaß anerkennen. Und energischer über sie berichten.

Anfang September publiziert die taz einen Leitfaden für klimagerechte Sprache, am 25. September folgt eine von Klimaaktivist*innen gestaltete monothematische Sonderausgabe. Tags zuvor veröffentlichte der Stern den Titel „Kein Grad weiter“ in Zusammenarbeit mit Fridays for Future. Im Rahmen des Human Rights Film Festival Berlin findet vom 6. bis zum 8. Oktober das Forum „Climate Story Lab“ statt. Journalist*innen, Aktivist*innen und Filmemacher*innen kommen hier zusammen, auch Dokumentarfilmer Denis Sneguirev, um über die Verbindung zwischen Aktivismus und Journalismus zu sprechen – über Geschichten, die mobilisieren.

Klimaberichterstattung – objektiv betrachtet

„Ein Journalist macht sich nicht mit einer Sache gemein, auch nicht mit einer guten.“ Der Satz des 1995 verstorbenen Tagesthemen-Moderators Hanns Joachim Friedrichs ist Sinnbild einer Haltung, über die sich der Nachrichtenjournalismus seit Langem definiert: Journalist*innen wahren Distanz und stellen Ereignisse oder Meinungen ausgewogen dar. Friedrichs wird in der aktuellen Debatte oft zitiert. Objektivität gilt auch heute als redaktionelle Richtlinie – trotz eines starken akademischen Konsenses darüber, dass sie eigentlich gar nicht existiert.

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Medienwissenschaftler*innen wie Caroline Fisher bezeichnen schon das Auswählen von Themen als „subtle advocacy“, als „subtile Interessenvertretung“, weil es dazu führe, dass manche Stimmen und Probleme stärker eingebunden, gefördert oder ignoriert würden als andere. Laut Fisher fällt jede journalistische Arbeit in ein Spektrum von Interessenvertretung, das von „subtil“ bis „offensichtlich“ reicht. Fishers Kollegen Mathew Charles und Ibrahim S. Shaw argumentieren sogar, dass die offensichtlichen Formen, etwa Kommentare, eine tendenziell ethischere Arbeitsweise darstellten. Ein meinungsstarker, lösungsorientierter Journalismus, der Nachrichten nicht nur als Fakten meldet, hätte das Potenzial, die Medienkonsument*innen aus ihrer allgemeinen „Compassion Fatigue“, einer „Mitgefühlsermüdung“ zu reißen. Denn Fakt ist, Fakten bewegen nicht. Der Umweltjournalist Dirk Steffens glaubt: „Man braucht Emotionen, um Handlungsimpulse zu erzeugen. Im Journalismus dürfen wir emotionalisieren – vorsichtig und verantwortungsvoll. Aber vielleicht sind wir zu vorsichtig.“

Diese Vorsicht hat offenbar zur Folge, dass Klimathemen im Journalismus lange nicht nur unterrepräsentiert waren, sondern sogar verzerrt dargestellt wurden. „False Balance“, „falsche Ausgewogenheit”, nennen Medienexpert*innen dieses Phänomen: Journalist*innen sehen sich in der Pflicht, alle Meinungen zuzulassen, und geben dadurch Ansichten ein Podium, die wissenschaftlich widerlegt sind. Durch „False Balance“ ist laut US-Studien der Eindruck entstanden, der menschengemachte Klimawandel und seine katastrophalen Folgen seien noch immer umstritten. Hinzu kommt die Unterrepräsentation des Themas. Ein Beispiel: Die großen US-Fernsehsender schenkten 2019 der Geburt des Babys Archie, prominentester Neuzugang im britischen Königshaus, deutlich mehr Aufmerksamkeit als einem zeitgleich veröffentlichen UN-Report über das drohende Aussterben von einer Million Tierarten. Der Sender ABC berichtete im Laufe einer Woche länger über Archie als im gesamten Jahr 2018 über die Klimakrise. Und in Deutschland?

Die von der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation finanzierte Plattform klimafakten.de hat die Frequenz von Klima- und Umweltthemen bei den drei großen öffentlich-rechtlichen Talkshows untersucht. Diese Formate thematisierten den Klimawandel im Jahr 2017 nur fünfmal explizit, 2018 zwölfmal und im vergangenen Jahr 24-mal. Das entspricht 16 Prozent der Gesamtzahl aller Sendungen. Doch eine erhöhte mediale Aufmerksamkeit bedeutet nicht automatisch mehr Wissen. Eine Untersuchung der Universität Hamburg ergab, dass den meisten Deutschen selbst nach der stark beachteten Klimakonferenz in Paris 2015 nicht klar war, dass die CO2-Emissionen weltweit noch immer steigen, und nicht sinken. Die Ursache sitzt tiefer.

Auch bei Good Impact: Warum wir mehr konstruktiven Journalismus brauchen

Über linke Wertvorstellungen hinaus

„Der bisherige journalistische Umgang mit dem Klima war in vielen Medien zu monoton, ungenau, verharmlosend, vielleicht sogar unzutreffend und sicher nicht ausreichend publikumswirksam und verständlich“, kommentiert Journalismus-Professor Torsten Schäfer aus Darmstadt, der den taz-Leitfaden für klimagerechte Sprache erstellt hat. Journalist Kai Schächtele, Speaker beim Forum „Climate Story Lab” in Berlin, sagt: „Der deutsche Journalismus hat ein systematisches Strukturproblem, ähnlich dem der Politik.“ Was Schächtele meint, ist eine stark interessengeleitete Ausrichtung. Alles richtet sich nach der Frage: Was kommt beim Publikum an? Mit Klimathemen erreiche man nur noch bereits „bekehrte“, umweltbewusste Menschen. Hinterfragt, warum das so ist und wie es geändert werden kann, werde selten.

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Wie gewinnt man möglichst viele für das entscheidende Thema? Antworten, die beim „Climate Story Lab“ gegeben werden, lauten: Diversität, Inklusivität, Publikumsforschung. Für größeren Impact müsse die Klimaberichterstattung bunter, lokaler und zielorientierter werden. Oft reise ein mittelalter, weißer, urbaner Journalist oder Dokumentarfilmer in eine von Überschwemmungen oder Dürren betroffene Region und berichte. Ist er der Richtige für den Job? Bindet er die betroffenen Communitys aktiv ein? Wahrscheinlich nicht. Viele Redaktionen würden sich zu wenig damit beschäftigen, wie sich ihr Publikum genau zusammensetzt und wen die Klimadebatte zynisch oder müde gemacht hat. Das Ergebnis seien „Diskurs-Aussteiger*innen“. Es mangelt also an Geschichten, die allen Menschen das Gefühl geben, repräsentiert und einbezogen zu werden. Gemeint ist damit, dass das Thema Klimaschutz meist aus linksorientierter Perspektive heraus gedacht wird. Werte wie Gleichheit, Gerechtigkeit und Nähe spielen eine übergeordnete Rolle. Journalist*innen skizzieren ohnehin selten eine nachhaltige, positive Zukunft, und noch seltener eine, die auch konservative oder libertäre Wertvorstellungen einschließt und abbildet.

Martin Luther King had a dream, not a nightmare.
Beadie Finzi, Dokumentarfilmerin

Es geht nicht um ein Ende, sondern einen Anfang

„Wir müssen uns von der bloßen Faktenberichterstattung lösen und endlich mehr über Werte sprechen“, sagt auch Carel Mohn, Chefredakteur von klimafakten.de, beim „Climate Story Lab“. „Menschen sind keine leeren Gefäße, in die man Fakten schüttet und Verhaltensänderungen herausbekommt.“ Zu lange habe sich die Klimaberichterstattung überwiegend um abstrakte Daten und Jahreszahlen gedreht. Dabei gehe es doch um etwas, das jede*r versteht: „Das Ende des fossilen Zeitalters!“ Vor allem aber geht es um einen Anfang. Den Anfang von etwas Neuem, Schönem. Genau das fehlt dem bisherigen Klima-Storytelling.

„Martin Luther King had a dream, not a nightmare“, sagt Beadie Finzi, Mitbegründerin der NGO Doc Society, aus London zugeschaltet. Ihre Botschaft: Die vergangenen Jahrhunderte haben gezeigt, dass das Erzählen hoffnungsvoller Visionen den Lauf der Geschichte verändern kann. Allerdings steckt das positive Storytelling noch in der Entwicklungsphase. „Es ist grundsätzlich schwieriger, einen positiven Beitrag zu verfassen als einen negativen“, begründet dies Petra Pinzler von der Zeit. Die Komplexität und der Schmerz, die mit dem notgedrungenen Ende des fossilen Zeitalters einhergehen, lassen sich leicht beschreiben, politische Maßnahmen sind schnell kritisiert. Der Beginn, der doch mit diesem Ende entsteht, bleibt ein unentdecktes und damit unheimliches Terrain.

Auch bei Good Impact: „Wir haben ein Konzept, nach dem Fridays for Future sucht”

Klimaberichterstattung über eine Gesellschaft, in der wir leben wollen

Der Journalist Eric Holthaus hat eine erste Begehung gewagt. Anfang 2020 veröffentlichte das englischsprachige Onlinemedium des niederländischen Correspondent seinen Artikel „In 2030, we ended the climate emergency. Here’s how“. Holthaus beschreibt darin anhand einer Timeline, wie wir uns im Laufe dieses Jahrzehnts verändern könnten – und damit die Welt um uns herum. Mit der Zeit verschwinden die Autos und Parkplätze aus Städten. Raum für bezahlbare Wohnungen, Parks, urbane Farmen und ein entschleunigtes Leben entsteht. Wir definieren unser Verständnis von Technologie neu. Am Ende von Eric Holthaus’ idealistischer Zukunftsvision feiern wir uns dafür, dass wir die globalen Emissionen halbiert haben. Der radikalste Wandel von allen wird Holthaus zufolge jedoch unsere neu entdeckte Fähigkeit sein, eine positive Geschichte über die Zukunft zu erzählen und sie ernst zu meinen.

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„Wie kreieren wir eine Gesellschaft, in der wir leben wollen?“ ist die Frage, die solch konstruktiven Beiträgen unterliegt und das künftige Klima-Narrativ bestimmen könnte. Erfahrungen aus der Corona-Pandemie dürften diese Entwicklung beschleunigen. Weltweit machen neoliberale Ökonomien und ihre Konsumgesellschaften historische Wachstumsschmerzen durch. Aktuelle Studien zeigen, dass sich die meisten Menschen eine nachhaltigere Zukunft wünschen, aber mit „business as usual“ rechnen. Der Wunsch nach einem menschlicheren Wirtschaftssystem, einer sogenannten „wellbeing economy“ besteht, doch vorstellen kann sich einen solchen Wandel kaum jemand. Journalist*innen können helfen, indem sie sich an alle richten, auch an die „Diskurs-Aussteiger*innen“. Geschichten über eine gesündere Zukunft können vom Klimaschutz handeln, ohne, dass der Begriff in der Überschrift oder im Text auftaucht.

Journalismus als vierte Gewalt

Im November 2018 tritt die NDR-Journalistin Anja Reschke auf die Bühne, um einen Medienpreis entgegen, der nach Hanns Joachim Friedrichs benannt ist. Sie bezieht sich in ihrer Dankesrede auf das berühmte Zitat: „Ein Journalist macht sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten.“ Die Aussage sei aus dem Zusammenhang gerissen, sagt sie. In dem Spiegel-Interview sei es darum gegangen, wie man es schaffe, schlimme Meldungen vorzutragen und dabei sachlich zu bleiben, nicht darum, dass man sich als Journalist*in neutral verhalten müsse.

Der Journalismus versteht sich gerne als vierte Gewalt, als Kontrollorgan der Politik. Warum nicht auch in Bezug auf die Ziele des Pariser Abkommens? Schließlich ist es keine Frage der politischen Haltung oder des Geschmacks, ob man die Reduktion von Treibhausgasen für nötig hält. Sie ist unstrittiger Teil eines Vertrags zwischen 187 Staaten, weil sich ohne sie keine lebenswerte Zukunft gestalten lässt.

Illustration: imago images / Ikon Images

Ist ein mittelalter, weißer, urbaner Journalist immer der Richtige, um über die Folgen der Klimakrise zu berichten? Expert*innen plädieren für mehr Inklusivität.

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