Appell von Journalistin Sara Schurmann

„Als vierte Gewalt sollten wir die Klimapolitik kontrollieren”

Im September 2020 veröffentlichte die Journalistin Sara Schurmann einen offenen Brief, in dem sie ihre Kolleg*innen dazu aufrief, die Klimakrise in ihrem ganzen Ausmaß anzuerkennen und energischer darüber zu berichten. Die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels sei schließlich keine Frage der politischen Einstellung, sondern ein völkerrechtlich festgelegtes, verbindliches Ziel. Kritiker*innen werfen ihr Aktivismus vor. Wie nimmt sie die Reaktionen seitdem wahr – und hat sich etwas verändert im Klimajournalismus?

Dein Brief schlug Wellen. Eine schwedische Tageszeitung hat ihn aufgegriffen; Privatinitiativen übersetzten ihn ins Englische, Französische und Portugiesische. Rund 450 Menschen, darunter Medienschaffende, Wissenschaftler*innen und Privatleute, haben ihn bisher unterzeichnet. Wie bewertest du die Diskussion, die du ausgelöst hast?

Ich finde, dass es noch gar keine richtige Diskussion gab, zumindest nicht mit mir. Ab und zu werden meine Tweets oder der offene Brief zitiert, aber eher in Nebensätzen als die „auf Twitter im Klimabereich sehr aktive Journalistin“. 

Ich habe das Gefühl, dass es meine Kolleg*innen vermeiden, öffentlich darüber zu diskutieren – mein Vorwurf, dass wir mit der Ignoranz der Klimakrise in der Politik- und Wirtschaftsberichterstattung im Endeffekt die Realität verzerren, ist ja auch krass. Allerdings denke ich schon, dass viele ins Grübeln gekommen sind. Einige Kolleg*innen haben den Brief auch als eine Art Selbstverpflichtung unterschrieben, um sich im Alltag daran zu erinnern und entsprechend zu handeln. Ich warte also noch auf die größere mediale Debatte …

Welche Reaktionen hattest du dir denn gewünscht?

Die überwiegenden Reaktionen waren leider: „Viel Erfolg mit deinem Projekt“ – als wäre Klimakrise mein persönliches Problem. Andere haben aber durchaus auch betroffen reagiert, nach dem Motto: „Scheiße, was kann ich tun?“. Letzteres habe ich allerdings selten von Journalist*innen gehört, sondern eher von Privatleuten, die viel weniger gesellschaftlichen Einfluss haben. Diese Haltung würde ich mir mehr von Journalist*innen wünschen.

Dabei wäre doch das Spannungsfeld zwischen Journalismus und Aktivismus anhand der Klimaberichterstattung eine spannende Debatte, etwa für ein Talkshow-Format?

Finde ich auch. Aber fast kein Medium hat den Brief aufgegriffen. Zwar waren die Abrufzahlen des Artikels auf der Plattform Übermedien gut und bei Twitter folgen mir jetzt viel mehr Menschen. Aber dafür, dass so ein offener Brief in der deutschen Medienlandschaft zu dem Zeitpunkt etwas Einzigartiges war – und von durchaus bekannten Menschen unterzeichnet wurde – war die Medienaufmerksamkeit gering. Er wurde kurz im MDR und bei ZAPP erwähnt und im Rahmen eines Beitrages zu Klimaberichterstattung in der Tagesschau zitiert. Aber eine wirkliche Diskussion fand nur in den sozialen Medien statt, besonders viele Journalist*innen beteiligten sich nicht daran. 

Du sprichst mit deinem Brief ja die großen Medienhäuser an und kritisierst sie indirekt. Könnte das die verhaltenen Reaktionen erklären?

Ich glaube, es gibt ganz unterschiedliche Gründe. Die Klimakrise ist komplex. Dennoch denken wohl viele, sie könnten schon einschätzen, wie drängend die Lage ist – schließlich hört man seit 30 oder 50 Jahren regelmäßig vom Klimawandel. Für Leute, die sich noch nicht eingehend damit beschäftigt haben, ist es schwierig zu beurteilen, ob ich Recht habe mit meiner Kritik oder ob ich übertreibe.

Zwei Klimawissenschaftler*innen haben die Fakten im Brief zuvor gecheckt. Einer der beiden meinte, es sei nicht gut, das so emotional zu kommunizieren. Es könne dazu führen, dass Menschen sagen „Jetzt ist’s eh zu spät” und dann nichts mehr unternehmen wollen, um die Krise aufzuhalten. 

Außerdem gibt es viele Kolleg*innen, die seit 30 Jahren das Gleiche sagen wie ich in diesem Brief. Die denken sich vielleicht: „Oh Gott, unter welchem Stein ist die denn jetzt hervorgekrochen?“ Viele Expert*innen und Kolleg*innen, die sich lange mit dem Thema beschäftigen, glauben, dass jede*r die Zusammenhänge inzwischen kennen müsste und verstanden hat, wie akut die Lage ist. 

Müsste man unter Journalist*innen nicht voraussetzen können, dass die Mehrheit einen ähnlichen Wissensstand hat?

Es ist ein wahnsinniger Unterschied, ob man Grundlagenwissen zum Klimawandel hat, ob man anerkennt, dass wir in einer Klimakrise stecken oder ob man sich bewusst ist, was die Klimakatastrophe ist. Also, wie wenig Zeit wir haben, das Ganze abzubremsen und was die Konsequenzen sind, wenn wir es nicht tun. Es kommt bei vielen offenbar oft so an, als seien die 1,5- und 2-Grad-Marken willkürlich gezogene Grenzen und wenn sie so wichtig wären, wü…

Bild: Rebecca Rütten

Die Journalistin Sara Schurmann beschäftigt sich seit einigen Jahren mit der Klimakrise. Seitdem sie verstanden hat, wie schlecht es um das Thema steht, kämpft sie für eine entschlossenere Klimaberichterstattung.

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