Kilometerhohe-Hochhäuser, an denen Leuchtreklame-Hologramme flimmern. Tonnen von Beton, Glas und Stahl. Eine Armada fliegender Autos, die durch den undurchdringbaren Smog in eine düstere Zukunft düst.
Klingt nach einem bekannten Szenario? Fritz Langs Metropolis, Blade Runner, Star Wars, Das fünfte Element von Luc Besson. Sie alle zeichnen ein Bild der Stadt der Zukunft als Wüste aus Zement und toxischen Dämpfen, in der die Armen ihr Dasein fristen müssen, während sich die Reichen in künstlichen Paradiesen weit weg von der stinkenden Metropole verschanzt haben. Unsere Vorstellung von den Megacitys der Zukunft ist von Dystopien geprägt – den fiktiven und den realen.
Diktaturen wie Nazi-Deutschland, die Sowjetunion oder Nordkorea, aber auch turbokapitalistische Staaten wie die USA und Japan hatten und haben ein großes Faible für graue Quader-Städte mit absurden Dimensionen, die das Individuum einschüchtern sollten, statt ihm gutzutun. In der Sowjetunion wollte Stalin einen Turm bauen lassen, der höher sein sollte als die Freiheitsstatue in New York, um seinen „Triumph über den Kapitalismus zu demonstrieren“ und es ist kein Zufall, dass vier der fünf höchsten Gebäude der Welt 2023 in autokratischen Staaten wie Saudi-Arabien und China stehen.
Dem CO2-Moloch strotzen
Mit dem Streben nach der Stadt als Phallus-Monument der politischen Überlegenheit, der Industrie und der Finanzmärkte kam Mitte des vergangenen Jahrhunderts auch der Siegeszug des Autos. In West-Berlin wurden die Trambahn-Schienen abgerissen, um den Automobilen mehr Platz zu machen, mit den Karossen kamen Feinstaub und Abgase, mit den modernistischen Betonbauten von Le Corbusier der Asbest, mit der Globalisierung der Konsumgesellschaft der Plastikalbtraum. Ergebnis: ein ewig Müll produzierender, qualmender Kessel, den wir heute gern „Moloch“ nennen. Der Begriff kommt aus der Bibel und bezeichnet einen Ritus in Kanaan, bei dem Kinder dem Feuer geopfert wurden. Ziemlich passend eigentlich, wenn man bedenkt, dass Städte den Treibhauseffekt, der unseren Planeten jedes Jahr heißer macht, so stark anfeuern wie kaum etwas anderes.
4,4 Milliarden Menschen auf der Erde leben in urbanen Räumen, das heißt: nicht in ländlicher Umgebung. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass sich diese Zahl bis 2050 mehr als verdoppeln wird. Bereits heute sind Städte für etwa 75 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs und mehr als 70 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. 40 Prozent gehen auf das Konto der Baubranche. Wenn wir also nicht lernen, Städte anders zu denken und zu bauen, können wir den Kampf gegen die Klimakrise nicht gewinnen. Doch wo anfangen, um dem Moloch zu entkommen? Gar nicht mehr bauen, ist keine Option. Denn wie Lesley Lokko, die diesjährige Kuratorin der Architekturbiennale Venedig, sagt: 80 Prozent der Gebäude und Infrastrukturen, die es bis zur Jahrhundertmitte für die rasant wachsende Weltbevölkerung im Globalen Süden braucht, müssen erst noch gebaut werden.
Hochhäuser: Utopie statt Dystopie
„Die Bevölkerung auf der vorhandenen Fläche gut zu verteilen, ist die Grundlage für eine nachhaltige Stadt. Auf Hochhäuser können wir also nicht verzichten“, sagt Brent Toderian und rückt seine Baseballcap mit Supermanlogo zurecht. Bei ihm in British Columbia ist es zehn Uhr morgens, in Berlin bereits Abend, als er sich zum Video-Gespräch einfindet. Toderian ist einer der gefragtesten Stadtplaner der Welt und hat Metropolen wie seine Heimat Vancouver und das kolumbianische Medellín – berühmt für sein innovatives Design – mitentworfen.
Sowohl im Globalen Süden als auch in Europa und Nordamerika, sagt Toderian, geht den Städten der Wohnraum aus. Durch mangelnde Arbeits-, Kultur- und Bildungsangebote wird das Landleben immer unattraktiver, die meisten Menschen zieht es daher in den urbanen Raum. Dadurch wird er weltweit jedes Jahr voller und teurer. „Sehr viele Menschen ziehen daher in Vororte. Die sind städteplanerisch und klimatechnisch ein Albtraum: Alles ist auf das Auto ausgerichtet, Pendelverkehr verpestet die Luft. Der Raum wird völlig unökonomisch mit Einfamilienhäusern und Straßen versiegelt.“
Wenn wir die wachsende Weltbevölkerung also in klimaresilienten Städten unterbringen wollen, davon ist Brent Toderian überzeugt, dann braucht es in den Vororten ein besseres Angebot von öffentlicher Infrastruktur und Lebensqualität. Und in der Stadt mehr Dichte im Wohnraum. Daher kämen wir auch in Europa, wo die Menschen traditionell kleine Häuser bevorzugen, nicht an höheren Gebäuden vorbei.
Sind wir damit nicht verdammt nah an der Dystopie grauer, menschenfeindlicher Hochhausschluchten? Toderian schüttelt den Kopf. Gerade kommt der Stadtplaner aus einem Beratungsgespräch mit Vertreter:innen der isländischen Hauptstadt Reykjavik. “Wir reden dort momentan über achtstöckige Gebäude. In Nordamerika ist das nicht hoch, für Isländer:innen schon. Dennoch wäre eine solche Aufstockung gegenüber den in Europa üblichen vier- bis fünfstöckigen Häusern in Altstädten schon ein enormer Fortschritt. Wir müssen den Raum für Wohnungen in einer Stadt vergrößern, ohne ihn dabei in die Breite zu ziehen.“
Wolkenkratzer aus Lehm
Für Hubert Klumpner gibt es nicht die eine Lösung. Der Professor für Architektur und Städtebau an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und Gründer des Büros Urbanthinktank_next ist Preisträger des Goldenen Löwen der Architekturbiennale Venedig und Experte für sogenannte Informal Settlements, also ungeplante Siedlungen in Metropolregionen, in denen Menschen oft unter unwürdigen Bedingungen und ohne Anschluss an öffentliche Infrastruktur leben. „Wenn wir im letzten Jahrhundert eines gelernt haben, dann dass die westliche Art, Städte zu bauen, gescheitert ist. Es kann nicht die Antwort sein, New Yorker Wolkenkratzer, wie sie Anfang des 20 Jahrhunderts erfunden wurden, anderswo blind zu kopieren.“
Wertvolle Ressourcen aus dem Boden zu entnehmen und daraus unter Einsatz hoher Umweltkosten Zement zu brennen, könne mit dem heutigen Wissen um die Klimakrise nicht mehr gerechtfertigt werden. Es brauche also Alternativen. „Jahrtausend alte Gebäude aus Lehm, wie im Jemen oder Westafrika, sind nachhaltig und vernakulär, also den regionalen Anforderungen eines Ortes entsprechend angepasst. Auch der Beton des alten Roms wurde mit viel weniger Hitze gebrannt als der moderne, und ist wesentlich stabiler und langlebiger. Wenn wir Hochhäuser bauen, dann muss sich deren Konstruktion und Material ebenfalls aus den klimatischen und geografischen Bedingungen ergeben. Mit zukünftiger Technik werden wir vielleicht ,lebendige‘ Hochhäuser sehen, aus Materialien wie Lehm oder Mycelium, also Pilzfäden.“
Klingt gut. Aber wie sieht ein solches lebendiges Hochhaus konkret aus? Am ersten echten Frühlingstag Berlins Mitte Mai strömen statt Autos Kunstschaffende und Architekt:innen über die Auffahrrampe der Kant-Garagen, eines ehemaligen Parkhauses im Westen der Stadt. Auf der Berlin Design Week sprechen am Nachmittag zwei Menschen, die sich mit „lebendigen Gebäuden“ auskennen. Sie arbeiten für das Architektur- und Ingenieurbüro Arup mit Sitz in London. Obwohl das Unternehmen mit Bauwerken berühmt geworden ist, die zwar ikonisch, aber alles andere als klimafreundlich sind (etwa das Sydney Opera House), konzentriert es sich mittlerweile auf resilientes und grünes Design.
„Das Wort nachhaltig verwenden wir eigentlich nicht mehr, es ist angesichts der Klimakrise zu wenig“, sagt Lena Raizberg, Architektin für Arup auf dem Panel. Sie spricht lieber von restaurativem und regenerativem Design: „Die Faustregel dafür lautet: Ein Gebäude muss mehr Ecological Gain einbringen als Ecological Loss verursachen.“
Ein Haus aus Algen
Ein solches Haus müsste dafür aus ökologischen und wiederverwerteten Baustoffen bestehen. Arup verwendet zum Beispiel die Verkleidungs-Fliesen des niederländischen Start-ups Pretty Plastics, die zu 100 Prozent aus dem Abfall der Bauindustrie hergestellt werden. Dieses Vorgehen nennt man Urban Mining. „Idealerweise muss das Haus der Zukunft aber auch Sauerstoff durch Begrünung sowie erneuerbare Energie erzeugen“, sagt Raizberg.
In Hamburg hat Arup bereits vor elf Jahren ein 15-stöckiges Wohngebäude mit lebendiger Fassade gebaut. Auf einer Betonschicht sind Bioreaktor-Paneele angebracht, in die Wasser und Nährstoffe gepumpt werden. So entstehen Algen, aus denen dann in einem Kreislaufsystem Biogas und Solarenergie erzeugt werden, die das Haus mit Strom versorgen. Noch eine ziemliche Nischenlösung, gibt Arup zu. Und eine, die nur in Kombination mit anderen Technologien funktionieren könnte. Die gibt es zuhauf: Wärmepumpen, Abwärme aus der Kanalisation, Solarziegel, Windturbinen auf dem eigenen Balkon. „In der Stadt von übermorgen würde die Energie, die aus all diesen Quellen gewonnen wurde, in einem KI-gesteuerten Smart Grid auf die gesamte Stadt verteilt werden“, erklärt Raizbergs Kollege, der Architekt Rudi Scheuermann.
Grüne Städte: Ein Plus für unsere Gesundheit
Dieses Konzept nennt Arup Planetary Centric Design. Der Clou: Je mehr wir beim Bau unserer Städte die Natur in den Mittelpunkt stellen, desto besser ist das auch für uns Menschen. Eine grüne Stadt ist nicht nur ästhetisch und
gut für das Klima, sondern wirkt sich auch stark auf die mentale und körperliche Gesundheit von Menschen aus: So fand das Finnische Institut für Gesundheit und Wohlfahrt 2023 in einer Studie heraus, dass Stadtbewohner:innen, die drei- bis viermal die Woche Grünflächen besuchen, mit einer 33 Prozent geringeren Wahrscheinlichkeit Psychopharmaka
zu sich nahmen, bis zu 36 Prozent weniger Medikamente gegen Bluthochdruck benötigten und bis zu 26 Prozent weniger gegen Asthma. Eine klimaresiliente Stadt ist auch eine lebenswertere Stadt.
Zum Glück ist das bei vielen Metropolen-Planer:innen bereits angekommen. Städte wie Paris oder Singapur, beide einst stark versmogt, geben mittlerweile Millionen dafür aus, ihre Städte flächendeckend zu begrünen: In Singapur sollen bis 2030 eine Million neue Mangroven gepflanzt werden. Die Pflanzen speichern dreimal so viel CO2 wie andere Baumarten. In der französischen Hauptstadt wurde die Innenstadt in den letzten sechs Jahren unter Bürgermeisterin Anne Hidalgo stark verkehrsberuhigt, um den Eiffelturm und den Arc de Triomphe, aber auch in den Außenbezirken entstehen riesige neue Parks. Bis 2030 werden 80 neue U-Bahnstationen gebaut, die die Vororte mit dem Zentrum verbinden. „Anne Hidalgo hat sich die sogenannte 15-Minuten-Stadt, in der Menschen innerhalb einer Viertelstunde ihre Wohn-, Arbeits- und Freizeiträume zu Fuß, mit dem Rad oder über öffentliche Verkehrsmittel erreichen sollen, ganz oben auf die Agenda gesetzt“, sagt Brent Toderian. Dadurch spare man Pendelverkehr und CO2.
Das reicht aber nicht, sagt Rudi Scheuermann. „Viele behaupten, Berlin zum Beispiel sei bereits eine sehr grüne Stadt, weil wir so viele Parks haben. Aber für eine wirklich lebendige und atmende Stadt braucht es Grün in allen Dimensionen“, erklärt der Architekt. Hierfür müsse man auch die Straßen und Häuser selbst begrünen, denn nur so könnten Hitzeinseln in der Stadt effektiv bekämpft werden. Singapur macht das mit seinen von Pflanzen überwucherten Wolkenkratzern schon seit vielen Jahren vor. Rudi Scheuermann erzählt von der 20/20-Prozent-Berechnung. Sie besagt: Wenn man in Berlin nur 20 Prozent jedes fünften Gebäudes begrünen würde, könnte man damit das Stadtklima langfristig um drei Grad senken. In Megastädten wie Hongkong könnten es laut Arup sogar elf Grad sein.
Urbane Farmen
Warum zum Beispiel bepflanzt man also in Berlin nicht die Wände der vielen alten Industriegebäude mit Moos, schlägt Scheuermann vor. Das stabilisiert nicht nur mit der Zeit rissig gewordenen Beton und sorge daher für eine langlebigere Bausubstanz, sondern sei auch ein erstklassiger Feinstaubbinder. Ebenso könnten die ewigen Baugerüste der Hauptstadt temporär begrünt werden, statt jahrelang trostlos herumzustehen. Wie es noch geht, zeigt das Unternehmen Clear Channel, das in den Niederlanden, Großbritannien, Dänemark, Schweden, Frankreich und Belgien großflächig bienenfreundliche Bushaltestellen im Auftrag von Städten installiert: Auf den ungenutzten Dächern von Bushaltestellen werden Beete voller Thymian und Wildblumen angelegt, die Bienen Nahrung und Rast bieten, außerdem natürlich ebenfalls CO2 filtern.
Grüne Flächen können aber nicht nur Bienen, sondern auch Menschen satt machen. Auch hier ist Paris ein Vorreiter: Auf dem Dach der Expo entsteht auf 14.000 Quadratmetern die größte Stadt-Farm der Welt. In Atlanta, USA, gibt es sogar einen offiziellen Direktor für Urbane Agrikultur, der Urban Farming insbesondere für arme Menschen fördern soll, die so Zugang zu kostenlosen und frischen Zutaten haben sollen.
Wir brauchen eine mutige Politik
Wir sehen also: Wir haben bereits die nötigen Werkzeuge, um dem Moloch den Rücken zu kehren. Um ihm vollständig zu entkommen, sind Stadtplaner:innen jedoch vor allem auf eine mutige Politik angewiesen, die Metropolen für alle Menschen gleich zugänglich macht. Eine grüne Stadt, die nur den Eliten zur Verfügung steht, bleibt eine Blade-Runner-Stadt.
„Die Frage nach Nachhaltigkeit“, sagt Hubert Klumpner, „ist durch die Deklaration der Menschenrechte entstanden. Das Recht auf Wohnen, auf Unversehrtheit und Gesundheit, all das hängt mit einer Ökologisierung der Städte zusammen. Eine diverse, lebenswerte Stadt, die Menschen verbindet, Ungleichheiten und Unsicherheiten überwindet, das ist, was Stadtplanung erreichen muss.“
In der Peripherie zwischen Barranquilla und Cartagena in Kolumbien baut Klumpner, der sein Leben zwischen der Schweiz und Südamerika aufteilt, gerade mit der ETH Zürich und der „Pies Descalzos“-Stiftung von Sängerin Shakira eine „Growing School“. Das Konzept: Ausbildung und Teilhabe müssen das Zentrum sein, von dem sich urbane Entwicklung ausbreitet. „Es gibt dort eine Schule, Krippen, Sportanlagen, eine große Halle für Veranstaltungen und Theater, eine Bibliothek, Makerspaces und eine Abendschule für Eltern. Stadtplanung ist ein wesentlicher Teil unserer gemeinsamen Zukunft, von der wir niemanden ausschließen dürfen.“
Ein bewachsenes Hochhaus in Singapur: Grüne Städte tragen auch zu einer besseren Gesundheit bei.