Naturtalent: Farbpigment eines Käfers

Weiße Farbe ohne Gift

In vielen Alltagsprodukten wie Zahnpasta steckt der Weißmacher Titandioxid. Er steht im Verdacht, krebserregend zu sein. Ein Start-up hat eine Alternative entwickelt – und dafür einem Käfer aus Südostasien einiges abgeguckt.

Cyphochilus insulanus ist ein Käfer, der sich gerne in den Regenwäldern Indonesiens auf Pilzen lümmelt und sie dabei anknabbert. Dieser Cyphochilus ist weiß, außergewöhnlich in der Käferwelt. Noch außergewöhnlicher sein spezielles Weiß: Es ist das weißeste Weiß, das die Natur hervorgebracht hat – weißer als Kuhmilch, weißer als Schnee. Der etwa daumengroße Borkenblattkäfer verdankt seine Farbe vermutlich seiner Lust auf seine Lieblingspilze, so kann er sie unbemerkt von Fressfeinden genießen. Denn diese Pilze sind weiß.

Sonnencreme, Papier oder Wandfarben sind auch weiß. Allerdings nur dank des beigemischten Weißpigments Titandioxid. TiO2 macht so ziemlich alles weiß, was weiß erscheinen soll. Sechs bis acht Millionen Tonnen Titandioxid werden dafür jährlich produziert. Der Markt ist etwa sechzehn Milliarden US-Dollar schwer. Doch seit Sommer 2022 ist TiO2, zumindest als Lebensmittelaufheller in der EU verboten. Potenziell krebserregend, urteilte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA).

Titandioxid: Klimaschädliches Weißpigment

Auch sonst spricht einiges gegen Titandioxid: Die Herstellung ist CO2-intensiv und basiert in den meisten Fällen auf dem Mineral Ilmenit. Der Rohstoff muss im großen Stil abgebaut werden, oft in Ländern mit laxen Umweltauflagen, etwa in China. Und: Gelangen Titandioxidpartikel erst einmal in die Natur, bleiben sie dort, mit unbekannten Folgen. „Das ist alles nicht sehr nachhaltig“, sagt Lukas Schertel. Der promovierte Physiker ist CEO von Impossible Materials, einem Spin-off der Universitäten Cambridge und Fribourg. Das Start-up will die Weißmacher-Industrie revolutionieren mit einem cellulosebasierten Weißpigment, inspiriert von Cyphochilus.

Cyphochilus verdankt sein Weiß der besonderen Struktur eines Panzers aus Chitinschuppen. Die Schuppen sind etwa zehn Mikrometer dünn, das ist bis zu zehnmal feiner als ein menschliches Haar. Die Feinstruktur des Exoskeletts gleicht einem Schwamm: voller offener Nanobläschen, unregelmäßig angeordnet, aber mit System. Was hat das jetzt mit Weiß zu tun? Erinnern wir uns kurz an den Physikunterricht: Weiß ohne Weißpigmente entsteht, wenn alle Spektralfarben des Lichts von einer Oberfläche reflektiert werden. Liegt Cyphochilus in der Sonne, dringen die Strahlen in seine Schuppen ein, hüpfen im Chaos der porösen Bläschen hin und her und werden in alle Richtungen reflektiert. Voilà: ein superweißer Panzer.

Nachbau aus Cellulose

„Schwierig ist es für die Industrie vor allem, Weiß in dünnen Schichten herzustellen, sodass es sich etwa für dünne Beschichtungen eignet“, so Schertel von Impossible Materials. Von dem Cyphochilus-Käfer können sich Unternehmen das Schuppen-Schicht-Bauprinzip abschauen.

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Allerdings aus welchem Stoff nachbauen? „Chitin ist nicht in industriell benötigten Mengen verfügbar.“ Impossible Materials fand einen anderen natürlichen Stoff: Cellulose. Schertel hat das Biopolymer an der Uni Cambridge zusammen mit der Spitzenphysikerin Silvia Vignolini erforscht. Ergebnis: Mit Cellulose lässt sich das Weißprinzip des Cyphochilus nachahmen.

Cellulose ist der Grundbaustein jeder pflanzlichen Zellwand und kommt in jedem Blatt, Stängel und jeder Wurzel vor. Das Biopolymer ist ein sogenanntes Polysaccharid, also ein langkettiges Kohlenhydrat – wie auch das Chitin im Panzer von Cyphochilus. Impossible Materials hat nun ein chemisches Verfahren entwickelt, mit dem Cellulose-Partikel extrahiert werden können. Man schneidet sie heraus, wie man von einem Blatt etwas herausschneidet”, sagt Schertel. Dann werden die Partikel neu angeordnet, ähnlich der Struktur des Käfers, und zu einem Pulver verarbeitet.

Die Vorteile von Cellulose liegen auf der Hand: Sie ist nachhaltig an- und abbaubar und für den Menschen unbedenklich. Die CO2-Bilanz bei der Verarbeitung soll laut Impossible Materials „deutlich geringer“ sein als bei Titandioxid. Belegen kann Schertel das noch nicht.

In jedem Fall ist Cellulose gut geeignet für die Kreislaufökonomie, sie kann als Abfallprodukt der Land- und Holzwirtschaft wiederverwendet werden. Das nötige Geld hat Impossible Materials schon eingesammelt: Mehr als 3,4 Millionen Schweizer Franken hat das Start-up bereits von Investor:innen bekommen. 2025 soll die kommerzielle Produktion im schweizerischen Marly starten. Zunächst für die sogenannten Health Sensitive Industries, also Lebensmittel, Pharma und Kosmetika. Es wird Zeit: Bis 2024 will das Expert:innengremium Scientific Committee on Consumer Safety (SCCS) der EU-Kommission entscheiden, ob Titandioxid auch in Kosmetika verboten werden soll, etwa als mineralischer UV-Filter in Sonnencremes. Cyphochilus sonnt sich derweil auf seinem Lieblingspilz.

Foto: Von LiCheng Shih – _DSK0008 大白金龜, CC BY 2.0

Auf weißem Untergrund ist der Cyphochilus-Käfer gut getarnt.

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