Mein erstes Mal...

Für eine Partie ins Brettspiel-Café

Seit der Pandemie spielen wieder mehr Menschen analog – und verlassen dafür sogar das Haus. Lotte Schäfer war im Kölner Bingo Club.

Bis unter die Decke reihen sich bunte Schachteln in den Wandregalen aneinander. Es duftet nach würzigem Kaffee, frischen Schokoladen-Brownies und etwas, das mich in Kindheitserinnerungen schwelgen lässt: ein erdiger Geruch, wie man ihn von Schreibheften oder Buchseiten kennt. Hier stammt er von all den Kartons voller außergewöhnlicher, kniffliger Spiele, die nur darauf warten, für eine Partie auf dem Tisch ausgepackt zu werden. Ich bin im Brettspiel-Café Bingo Club in Köln.

Über die Stadt hat sich heute eine graue Wolke gelegt, der perfekte Tag, um es sich drinnen gemütlich zu machen. Unter meinem Regenschirm bin ich durch die leeren Straßen gehuscht und schließlich im Warmen angekommen. An einem Tisch sitzt Laurenz, schnackt mit dem Kellner und schlürft einen Ingwertee.

Als ich zur Tür hereinkomme, unterbrechen die zwei sofort ihr Gespräch und heißen mich willkommen. Ich erkläre ihnen, dass ich das erste Mal hier bin. Laurenz kommt mehrmals im Monat hierher. Er liebt Brettspiele und „diesen besonderen Ort mit seiner familiären Atmosphäre“, an dem er sie stundenlang spielen und neue Strategien ausprobieren kann. Es steht fest, wir werden eine Partie zocken, oder vielleicht zwei.

Also los, aber was? Die Spielenamen prasseln nur so auf mich ein. Bandido, Cabo, Dorfromantik, Flügelschlag, Siedler, Skip-Bo, Tikal, Würfelhelden, Yahtzee … Es gibt mehr als 630 Brett-, Karten– und andere Spiele. Wer das Analoge mag oder Instagram, Netflix & Co einfach mal für ein paar Stunden vergessen will, ist hier richtig.

Laurenz wählt Dorfromantik aus, das Brettspiel des Jahres 2023, urprünglich ein erfolgreiches Videogame. Ich steige auf einen Stuhl und ziehe den Karton vorsichtig aus dem Regal.

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Laurenz erklärt mir, dass es bei dem Spiel darum geht, Plättchen so zu einer Landschaft zusammenzulegen, dass Aufträge der Dorfgemeinde erfüllt werden. Möglichst lange Bahnverbindungen oder große Ackerflächen schaffen etwa. Es gibt Kärtchen, auf denen Flüsse, Bahngleise, Dörfer, Wiesen oder Felder abgebildet sind. Beim Zusammenlegen der Plättchen entsteht eine neue Landschaft. Je länger ein zusammenhängendes Bahngleis oder ein Fluss ist, desto mehr Punkte erhält man.

16 Uhr. Das Café füllt sich nach und nach mit Gruppen von Freund:innen, Großeltern und ihren Enkelkindern oder Paaren. Wir hören das wachsende Gemurmel und Gelächter im Raum kaum, so tief versinken wir in unseren Landschaften. Mit jedem Spielzug rücken der Regen, die Sorgen und die Welt dort draußen ein Stückchen weiter in die Ferne. Bald fällt mir ein, warum mir das Spiel bekannt vorkommt: Es erinnert mich an Carcassonne, ein Spiel, das ich früher oft mit meinen Geschwistern gespielt habe.

Seit der Pandemie ist der Brettspielmarkt um einiges gewachsen, 2020 wurden nach Angaben des Deutschen Branchenverbandes Spieleverlage ein Fünftel mehr Spiele verkauft als 2019, und die Zahl steigt weiter. Vor allem Erwachsene kommen auf den Geschmack, heißt es beim Verband.

Tatsächlich, auch bei mir im Studium sind Spieleabende angesagt wie lange nicht mehr. Lieber analog spielen statt online gamen. Hoch ist nach Einschätzung des Verbandes auch der Anteil der Brettspielfans unter Älteren, die zu den Abenteuern ihrer Kindheit zurückkehren wollen, um in schwierigen Zeiten Ablenkung zu finden.

Von dem Trend profitierten Vereine, in denen Menschen zum Spielen zusammenkommen. Der größte ist der Ali Baba Spieleclub mit elf Standorten in Deutschland. Gegründet wurde er vor 33 Jahren. Nun stehe der Verein kurz davor, die 1.000-Mitglieder-Marke zu knacken, erklärt Martin Brock, der Vizepräsident des Vereins. In Köln, wo Ali Baba ebenfalls einen Club unterhält, kämen „immer noch jede Woche neue Mitglieder dazu“, erzählt er.

Vor allem die Zeit nach den Ausgangsbeschränkungen habe den Clubs einen Boom verschafft. Viele sehnten sich nach direktem sozialem Austausch. Und was sind das für Menschen, die einem Spieleclub beitreten? „Viele haben bei ihrer Arbeit eher wenig soziale Kontakte, häufig kommen sie aus der IT-Branche“, sagt Brock. „Es sind fast alle Altersklassen dabei, von zwanzig bis sechzig.“

Um erst einmal probezuspielen oder für gelegentliche Besuche, muss man in den Clubs übrigens keine Beitrittserklärung unterzeichnen. Man kann, wie ich an diesem Regentag, einfach so vorbeischauen. Vielleicht keine schlechte Idee, wenn die Familie oder Freund:innen nicht so spielebegeistert sind. Wie mein Freund. Zu meinem Lieblingsspiel, Wizzard, kann ich ihn nur selten bewegen. Halb so schlimm, denke ich, jetzt habe ich ja eine Alternative: ein Wizzard-Abend im Bingo Club.

Bildcredit: Unsplash / Nik Korba

Im Brettspiel-Café in Köln ist die Auswahl riesig. Hier findet man über 630 verschiedene Spiele.

Lotte Schäfer

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