Am Freitag startet digital das zweitägige klimapositive Festival der Landschaft der Metropole Ruhr. Melanie und Sebastian, ihr habt gemeinsam mit eurem Team das interdisziplinäre Format entwickelt. Warum?
Sebastian Schlecht: Das Ruhrgebiet ist eine Region, die sich ständig „umgräbt“, im engeren und weiteren Wortsinn, um die industriellen Hinterlassenschaften, etwa des Bergbaus und der Stahlkonzerne, zu ver- und bearbeiten. Transformation ist das Hauptthema seit Jahrzehnten. Entstanden sind so im Laufe der Jahrzehnte Hochschulen, Initiativen, Projekte, kulturelle Angebote, die sich intensiv und vielseitig der Fortentwicklung der Region widmen. Dieser gewohnte, dokumentierte Strukturwandelprozess wird jedoch gerade von den Zwängen des Klimawandels und seinen urbanen Herausforderungen überholt. Eine neue Dynamik entsteht. Der Vielfalt dahinter wollen wir dem kostenlosen Festival einen neuen diskursiven Rahmen geben.
Wofür steht lala.ruhr?
Melanie Kemner: Unser Netzwerk ist eine Plattform für den kreativen Austausch zur Entwicklung von urbanen Zukunftslösungen für die Metropole Ruhr. Wir verstehen uns als offenes kommunikatives Labor für die Landschaft Ruhr, kurz lala.ruhr. Die Idee von lala.ruhr ist bereits Ende 2019 entstanden, aktuell mit diesem Festival kooperieren mit dem Regionalverband Ruhr und leisten damit einen Beitrag im Projekt „Offensive Grüne Infrastruktur“.
Was macht den Ort, das Ruhrgebiet so besonders?
Sebastian: Oft wird vergessen, dass das Ruhrgebiet mit fünf Millionen Menschen eine der größten Metropolen Europas ist. Hier ist der beste Ort, um die Transformation zu diskutieren und zu erleben, weil wir ständig mit der Anforderung uns weiterzuentwickeln konfrontiert waren und sind. Genau das meint übrigens der Begriff „Maloche“, der mit dem Ruhrgebiet assoziiert wird. Es geht darum, sich selbst aus bestehenden Problemen herauszuarbeiten.
Wie funktioniert das beim Festival genau, was soll es liefern?
Sebastian: Es geht uns als Netzwerk lala.luhr insbesondere jetzt beim Festival um die Entwicklung von Handlungsempfehlungen, die hin zu einer grünen, klimapositiven und lebenswerten Infrastruktur führen – nicht für die Menschen, sondern mit den Menschen.
Melanie: Der konkrete Output ist für uns entscheidend. Wir arbeiten dazu mit in dem Festival in 14 „Werkstätten“. Im Vorfeld haben wir offen eingeladen, uns Konzepte für entsprechende Workshops zu schicken, die lösungsorientiert sind, also auf Umsetzbarkeit abzielen. Die Resonanz war groß. Wir sind begeistert von dem regionalen, aber auch internationalen Feedback. Was in den „Werkstätten“ erarbeitet wird soll nach dem Festival, wenn möglich, Realität werden, nutzbar sein, sich weiterentwickeln. Wir wollten explizit, dass die Vortragenden den von ihnen moderierten Workshop, direkt in ihre Arbeit oder Ihren Alltag einbinden können – etwa an der Uni, in der Kommune, im Verband und gleichzeitig alle Teilnehmenden motivieren, das Thema voranzutreiben.
An welchen konkreten Themen wird beim Festival gearbeitet?
Sebastian: Es ist eine Mischung aus fachlicher Tiefe und Engagement. Themen sind etwa die zukünftige Nutzung der Straße. Oder aber die Frage, wie man Fußballplätze, von denen es unzählige hier gibt, klimapositiv im Stadtraum (um-)gestalten kann. Wie kann mit Hilfe von VR eine Stadt der Zukunft anhand des Ruhrgebiets visualisiert werden? Es wird zudem um Biodiversität und auch um Social Impact gehen. Der letztgenannte Workshop richtet sich etwa an Social Entrepreneurs, die für den Bereich Landschaft Konzepte und Geschäftsmodelle entwickeln.
Melanie: Auch die kreative Nutzung von Brachflächen, von denen wir im Ruhrgebiet mehr als genug haben, ist Thema. Und, wir arbeiten in einer vierteiligen Veranstaltungsreihe am Freitag und Samstag an einem neuen Narrativ für die Region: Wie wollen wir gemeinsam die Zukunft des Ruhrgebiets erzählen?
Welche Strukturen gibt es bisher für die Entwicklung grüner Infrastruktur im Ruhrgebiet?
Sebastian: Auf der ganzen Welt transformieren sich gerade Städte immer schneller in Richtung grüne Infrastruktur: Barcelona, Paris, Bangkok, wo man hinguckt ist fast egal. Der Klimawandel nimmt die Städte in die Zange. Ein Beispiel: Luftverschmutzung verursacht unglaublich hohe ökologische und soziale Folgekosten. Aber es gibt ein hohes Lösungspotential innerhalb der Städte. Dynamik und Geschwindigkeit sind ansteckend – insbesondere für das Ruhrgebiet. Es gibt also einen neuen globalen Handlungsrahmen und eine regionales Potential. Und genau diesen Möglichkeitsraum wollen wir nutzen. Im Ruhrgebiet ist Strukturlosigkeit eine „Qualität“. Bisher wird die Entwicklung grüner Infrastruktur von den Städten oft einzeln forciert. Wir wollen alle Akteur*innen, also auch Verbände, Unis, Bürger*innen, für einander sichtbar machen und einen Rahmen zum Austausch schaffen. Aus kleinen grünen Einzelthemen soll schnell ein großes gemeinsames Thema werden, sodass alle gemeinsam Verantwortung übernehmen können.
Auch, weil momentan der gewohnte Verwaltungsaufwand vieles verlangsamt?
Sebastian: Wir haben mit dem Festival ein Format entwickelt, an dem alle vorhandenen Institutionen und andere Akteur*innen mit ihren aktuellen Strukturen teilnehmen können. So umgehen wir Verteilungs- oder Revierdebatten. Dafür steht das Festival und so können alle konstruktiv mitmachen.
Melanie: Unser großer Vorteil ist, dass wir als Netzwerk lala.ruhr relativ agil arbeiten und schon von Beginn an interdisziplinär unterwegs sind. Deswegen können wir problemlos und flexibel mit allen zusammenarbeiten. Unsere Vision und unser Ziel ist die Biennale der Landschaft für die Metropole Ruhr, die auch eine internationale Dimension hat.
Hier geht’s zum Festival-Programm. Nahezu alle Veranstaltungen sind leider schon ausgebucht. Frei bleiben aber der Zugang zum englischen Festival-Podcast und zur Abschlussveranstaltung mit der Ergebnispräsentation am Samstag.
Grün, Siedlung, Stadion, Halde, Baustelle: Ähnliche Eigenschaften wie die hier am Beispiel von Bochum-Wattenscheid gezeigten, findet man im Ruhrgebiet an vielen Orten. Oder wie Einheimische gerne mit einem Augenzwinkern sagen: Wir haben halt viel Landschaft.