Johanna, was ist ein genossenschaftlich organisierter Supermarkt?
Ein genossenschaftlicher Supermarkt gehört allen Menschen, die dort einkaufen. Jedes Mitglied zeichnet einen einmaligen Anteil von 100 Euro und kann dafür bei wichtigen Entscheidungen mitbestimmen, etwa über das Warenangebot. Alle Mitglieder arbeiten für drei Stunden im Monat ehrenamtlich im Geschäft mit. Durch die Zusammenarbeit entsteht eine lebendige Gemeinschaft und wir sparen Kosten, die sich in fairen Preisen für gute, nachhaltige Produkte widerspiegeln.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, SuperCoop zu gründen?
Wir kennen ähnliche Modelle bereits aus New York, Paris und Brüssel. Die Beweggründe waren damals andere als heute. Im New York der 1970er-Jahre gab es in vielen Bezirken keine Supermärkte mit frischen, gesunden Lebensmitteln. Aus dieser Not heraus wurde 1973 der erste kooperative Supermarkt gegründet. Ein Regisseur, der einen Film über das Modell in Brooklyn gedreht hat, brachte das Konzept dann nach Europa.
Im heutigen Berlin sehen wir andere Probleme, eine extreme Machtverschiebung hin zum Handel: Supermärkte und Online-Plattformen bestimmen das Geschehen. Dabei sollen sie doch nur die Verteilungsfunktion zwischen Produzent*innen und Konsument*innen übernehmen. Mit SuperCoop wollen wir eine Plattform schaffen, die diese Machtbeziehung wieder ausbalanciert.
Wie organisiert ihr euch?
Das Herz unserer Genossenschaft ist die Generalversammlung, die sich aus allen Mitgliedern zusammensetzt und einmal im Jahr zusammenkommt. Jedes Mitglied hat eine Stimme – unabhängig von der Anzahl an Anteilen. Hier unterscheiden wir uns von Aktiengesellschaften, bei denen die Aktionär*innen mit den meisten Anteilen, also dem meisten Geld, auch ein stärkeres Stimmrecht haben.
Die Generalversammlung wählt Vorstand und Aufsichtsrat, der wiederum den Vorstand kontrolliert. Einmal pro Monat sprechen wir im Plenum über aktuelle Entwicklungen und Themen. Alle Mitglieder können daran teilnehmen und Punkte auf die Agenda setzen. Sehr komplexe Themen werden in Arbeitsgruppen tiefgreifend recherchiert.
Das klingt sehr politisch.
Ja, aber wir vertreten keine bestimmte parteipolitische Meinung, um offen für Menschen mit unterschiedlichen Ansichten und Hintergründen zu bleiben. Trotzdem orientiert sich unser Handeln an gemeinsam festgelegten Werten. Wir unterstützen die Demokratie und stellen uns die Frage: Wenn unser politisches System demokratisch ist, wieso ist unsere Wirtschaft es nicht? Viele Unternehmen handeln autokratisch. Wir wollen eine Alternative aufbauen und die Wirtschaft demokratisieren.
Wollt ihr mit SuperCoop auch Geld verdienen?
Die dreistündige monatliche Mitarbeit bleibt ehrenamtlich. Auch wenn ein Großteil der Arbeit durch die Mitglieder selbst erledigt werden kann, nehmen einige Aufgaben so viel Zeit in Anspruch, dass es auch Angestellte geben wird, die fair entlohnt werden sollen. Unsere Antriebskraft liegt aber in der Unzufriedenheit mit dem aktuellen System und dem Wunsch nach einer Alternative für den Einkauf von fair und nachhaltig produzierten Lebensmitteln, nicht im Geld.
Welche Produkte möchtet ihr anbieten?
In unseren Produktleitlinien halten wir fest, wie wir unsere Produkte beschaffen und welche sozialen und ökologischen Kriterien diese erfüllen müssen. Mit hohen Standards kommt man jedoch schnell zu einem teuren und beschränkten Angebot. Wir haben den Anspruch an ein Vollsortiment, um so divers und inklusiv wie möglich zu sein. Durch Transparenz und Teilhabe wollen wir auch Menschen mit anderen Kaufmustern zu nachhaltigem Konsum bewegen. Hier zeigt sich, dass sich soziale und ökologische Nachhaltigkeit widersprechen können, weil nachhaltig produzierte Produkte oft teuer sind. Wir können diese Spannungsfelder nicht sofort lösen, aber wir können sie offenlegen. Unser Sortiment ist nicht perfekt, doch über das Bereitstellen von Informationen können wir die Konsument*innen in die richtige Richtung lenken. Beispielsweise arbeiten wir an Score Cards, auf denen die Produktionshintergründe und der Grad an Nachhaltigkeit eines Produkts dargestellt werden.
Wie setzt sich der Preis eurer Produkte zusammen?
In herkömmlichen Supermärkten ist die Zusammensetzung des Preises eine Black Box, in die Konsument*innen keinen Einblick haben. Da fällt der Aufschlag je nach Produkt anders aus: Während manche Produkte unter ihrem Wert angeboten werden, etwa Milch, haben andere einen sehr hohen Aufschlag. Das ist oft bei nachhaltigen und biologisch angebauten Produkten der Fall, weil viele Konsument*innen bereit sind, mehr dafür auszugeben. In unserer Kooperative soll auf den Einkaufspreis aller Waren eine Bruttomarge von 20 bis 25 Prozent gerechnet werden, mit der wir laufende Kosten wie die Miete decken. So wollen wir die Preisentstehung eines Produkts offenlegen und mehr Menschen den Einkauf nachhaltiger Produkte ermöglichen. Momentan stellen wir unser Sortiment zusammen und sprechen mit dem Großhandel und Landwirt*innen. Daraus ergeben sich dann auch die genauen Preise.
SuperCoop befindet sich momentan in der Gründungsphase. Wie war euer bisheriger Werdegang? Was ist der aktuelle Stand?
SuperCoop ist 2019 aus der Begeisterung einiger Menschen für die Idee entstanden. Wir kannten uns alle vorher nicht und wollten das Konzept nach Berlin bringen. Weil dieses Projekt nur funktioniert, wenn genügend Mitglieder mitmachen, haben wir die Idee in einer Crowdfunding-Kampagne beworben. Mit Erfolg: Fast 500 Personen haben uns unterstützt, sodass wir von den Einnahmen einen Prototyp mit erstem Produktverkauf starten konnten. So konnten wir das Modell testen, an Berlin anpassen und es mit unseren Mitgliedern gemeinsam weiterentwickeln. Im Oktober 2020 haben wir unsere Genossenschaft offiziell gegründet. Aktuell haben wir etwa 120 Mitglieder und sind im Gespräch für unsere erste Ladenfläche in Berlin-Wedding.
Was macht dir am meisten Spaß?
Die Arbeit in der Gemeinschaft. Bei einem so großen Thema wie nachhaltigem Konsum fühlt man sich schnell allein. Durch die Arbeit mit Gleichgesinnten merke ich, dass es viele andere Menschen gibt, die sich einen fairen, transparenten und nachhaltigen Lebensmittelhandel wünschen. Viele Mitglieder sind sehr engagiert. Das motiviert und gibt mir das Gefühl, wirklich etwas bewegen zu können.
Ist die Corona-Pandemie eine Herausforderung für dieses Gemeinschaftsgefühl oder eine Chance?
Wir erleben die Pandemie schon als Herausforderung. Bei einer dreistündigen Schicht im Supermarkt kommen Personen miteinander in Kontakt, die sich sonst vielleicht nicht kennenlernen würden. Durch die Kontaktbeschränkungen ist das nur schwer möglich. Wir versuchen dennoch, die Gemeinschaft auf digitalem Wege weiter aufzubauen und die Mitglieder einander näherzubringen.
Da Supermärkte offen bleiben, können wir unser Projekt glücklicherweise weiterhin verfolgen und es an die derzeitige Situation anpassen. Wir bauen gerade einen Online-Shop auf, über den unsere Mitglieder die Ware auch bestellen und abholen können. Außerdem planen wir weitere Abholstellen in anderen Stadtvierteln, um auch Berliner*innen außerhalb der direkten Nachbarschaft zu erreichen.
Gibt es solche Initiativen auch in anderen deutschen Städten?
Ja, unter anderem in Köln, München und Hamburg. Wir stehen in engem Austausch mit ihnen und helfen einander. Alle sind an einem möglichst großen Erfolg aller Projekte interessiert. Da es sich um lokale Organisationen handelt, gibt es keine Konkurrenz. Wir sehen uns als eine gemeinsame Bewegung, die auch in Deutschland immer mehr Fahrt aufnimmt.
Gemeinsam mit einem engagierten Team will Johanna Kühner (ganz rechts) SuperCoop gründen, den ersten genossenschaftlich organisierten Supermarkt Berlins.