Histourismus

Zuflucht Lateinamerika

Während in den Vereinigten Staaten das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gekippt wurde, sehen wir südlich der US-Grenze einen historischen Gegentrend: Immer mehr Länder in Lateinamerika haben Abtreibung legalisiert – und wollen US-Amerikaner:innen Zugang dazu verschaffen.

Seit vergangenem Freitag, dem 24. Juni, schwanken meine Eierstöcke und ich zwischen lähmender Fassungslosigkeit und gleißender Wut. Mit dem Sturz des historischen Urteils Roe vs. Wade durch den US Supreme Court können die einzelnen Bundesstaaten Abtreibung ab sofort verbieten und unter Strafe stellen: auch in Fällen von Vergewaltigung, Inzest oder einer Bedrohung des Lebens der Mutter. In Oklahoma ist das Verbot bereits umgesetzt worden. Die Folgen: Reiche Schwangere werden in Highend-Hinterzimmern blütenweißer Privatpraxen für Tausende Dollar abtreiben oder für die Operation ins Ausland geflogen. Ärmere Frauen oder Trans-Personen, insbesondere solche, die nicht weiß sind (die meisten Menschen in den USA, die von Armut betroffen sind, sind of color), werden hingegen entweder gezwungen sein, ein ungewolltes Kind auf die Welt zu bringen oder ihr Leben bei einer illegalen Abtreibung zu gefährden. An den Folgen einer illegalen Abtreibung sterben laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation und dem Guttmacher Institut pro Jahr weltweit etwa mindestens 23.000 Frauen. Zwei bis sieben Millionen leiden nach solchen Eingriffen unter einer Sepsis oder permanenten Schäden.

Ja, als Person mit Eierstöcken möchte ich schreien und toben. Als Person mit lateinamerikanischen Wurzeln möchte ich trösten. Immer wenn es in den USA  menschenrechtlich den Bach runter geht, neigen wir in der westlichen Welt dazu zu glauben, dass alles überall den Bach runtergeht. Doch im südlichen Teil des amerikanischen Doppelkontinents passiert gerade genau das Gegenteil.

Abtreibung in Lateinamerika war noch nie so gesellschaftlich und politisch akzeptiert

Bis 2012 war Abtreibung nur in Guyana und Kuba legal. Im Jahr 2022 ist Abtreibung auch in Uruguay, Argentinien, Kolumbien, Puerto Rico* und Teilen von Mexiko entkriminalisiert und teilweise bis zur 22. Woche oder gar bis zum sechsten Monat erlaubt. Ein echtes Wunder in einem so stark christlich geprägten Raum wie Lateinamerika. Im Vergleich: In Deutschland bleibt eine Abtreibung nur bis zur zwölften Schwangerschaftswoche straffrei. Legal ist sie juristisch nie.

Erklären können die Kehrtwende in Lateinamerika zwei Entwicklungen: Immer mehr linke Regierungen kommen in der Region an die Macht, darunter auch immer mehr Frauen in den Kabinetten. Vor allem auch indigene oder Schwarze Frauen, die wissen, dass Abtreibungsverbote fast immer nur margina…

Bild: IMAGO / ZUMA Wire

Demonstrantin in Kolumbien: 2022 wurde die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen im südamerikanischen Land durchgesetzt.

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