Kolumne: Histourismus

Mehr Cash für Care-Arbeit

Heute streiten wir über die Höhe von Elterngeld und Kindergrundsicherung. Doch wie kam es überhaupt dazu, dass der Staat private Care-Arbeit  finanziell unterstützt? Was können wir von anderen Staaten lernen?

Virginia Woolf – einfach die Beste. 1938 veröffentlichte sie ihren feministischen Essay Three Guineas (dt: Drei Guineen) und verlangte unter anderem den Zugang von Frauen zu akademischer Bildung sowie die direkte, staatliche Bezahlung von verheirateten Frauen, damit sie „sich selbst gehören“ und ihren freien Willen ausüben können. Die Idee: Der Staat und die Wirtschaft, also die Domänen der Männer, funktionieren nur, weil Frauen unbezahlte Sorgearbeit leisten. Deshalb seien wohlverdiente Guineen (eine alte britische Münzeinheit) fällig. Das Wort Care-Arbeit kannte Virginia Woolf natürlich nicht, denn der Begriff Arbeit wurde und wird meist nur mit Erwerbsarbeit in Verbindung gebracht, die außerhalb der häuslichen Sphäre stattfindet. Pflegt jemand einen kranken Elternteil, erzieht Kinder oder schmeißt den Haushalt, so war das 1938 – und, seien wir ehrlich, auch noch 2023 – in der öffentlichen Wahrnehmung nicht Arbeit, sondern Frauensache per Naturgesetz.

Dass wir heute zumindest ein Wort und ein wenig öffentliches Bewusstsein für Care-Arbeit haben, verdanken wir unter anderem folgenden Umständen: 1945 gelang der Abgeordneten Eleanor Rathbone nach langem Kampf die Erfüllung von Virginia Woolfs Wunsch. Gegen den Willen vieler männlicher Abgeordneter setzte sie die Verabschiedung des Family Allowance Act durch, der ersten Form von Elterngeld, bzw. Kindergeld in Großbritannien. Fortan bekamen Mütter wöchentlich Geld ausgezahlt, über das sie (zumindest auf dem Papier) unabhängig von ihren Ehemännern verfügen konnten.

Erst 1974 führte Schweden als erstes Land der Welt ein Elterngeld für Mütter und Väter ein. Die Bundesrepublik brauchte sage und schreibe bis 1986, um ein Erziehungsgeld für den hauptbetreuenden Elternteil zu etablieren, das 2007 vom Elterngeld abgelöst wurde. Und 1995 wurde das Pflegegeld als finanzielle Ersatzleistung für pflegende Angehörige eingeführt, wovon vor allem Frauen profitieren. 1996 begann der Karibikstaat Trinidad und Tobago, den ökonomischen Wert der unbezahlten Sorgearbeit zu erfassen.

All diese Leistungen haben zwar die Verteilung unbezahlter Care-Arbeit beeinflusst, jedoch stagniert die Bereitschaft von Männern, dabei mehr als das Nötigste zu übernehmen. Nach einer Oxfam-Studie leisten Frauen in Deutschland 52 Prozent mehr unbezahlte Fürsorgearbeit als Männer. Und laut einer Analyse des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung nehmen – Stand 2022 – drei von vier Vätern immer noch nur zwei Monate Elterngeld in Anspruch; meist gemeinsam mit der Mutter, sodass sie nie allein für die Care-Arbeit verantwortlich sind. So verfestigt sich die Rolle der Frau als Sorgearbeiterin – die sie später dann auch nach und nach für andere Pflegebedürftige, wie Schwiegereltern und Enkelkinder, übernimmt.

Was lernen wir daraus? Es braucht mehr als drei Guineen. Nämlich die Bereitschaft, Care-Arbeit nicht nur zu entschädigen, sondern sie finanziell und kulturell genauso hoch zu bewerten wie Erwerbsarbeit. Und es braucht Sanktionen. So wie in Island: Dort haben beide Eltern Anspruch auf sechs Monate Elterngeld – entscheidet ein Elternteil sich dagegen, wird die Bezugsdauer halbiert.

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Bild: IMAGO / United Archives International

Die britische Abgeordnete Eleanor Rathbone kämpfte in den 1930er Jahren für eine Art Kindergeld im Vereinigten Königreich.

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